Der Erzbischof von Izmir, Martin Kmetec, in Prag.
Theologie konkret

Erzbischof von Izmir über das Erdbeben in der Türkei: «Wir Menschen sind schwach und verletzlich»

Die Zahl der Todesopfer in der türkisch-syrischen Grenzregion ist auf 25’000 gestiegen. «Dieses Erdbeben sprengt alle Dimensionen. Es ist eine Katastrophe», sagt der Erzbischof von Izmir, Martin Kmetec. Wie schon beim Erdbeben von Lissabon 1755 gebe es keine Antwort auf die Frage, warum Gott dieses Leid zulasse.

Raphael Rauch

Wie geht es Ihnen?

Erzbischof Martin Kmetec*: Das Erdbeben macht mich sehr, sehr betroffen. Die erschütterte Region ist weniger als 700 Kilometer von Izmir entfernt. Meine Diözese ist nicht direkt betroffen. In der Türkei haben wir leider auch Erfahrung mit Erdbeben. Immer wieder bebt bei uns die Erde. In den letzten Jahren wurden immer wieder Kirchen durch Erdbeben beschädigt. Doch dieses Erdbeben sprengt alle Dimensionen. Es ist eine Katastrophe. 

Die Kirche in Iskenderun nach dem Erdbeben.
Die Kirche in Iskenderun nach dem Erdbeben.

Sie haben diese Woche beim synodalen Prozess in Prag die Türkei vertreten. Kamen Ihnen die Debatten surreal vor?

Kmetec: Ich bin sehr gespalten. Meine Gedanken sind ständig bei den Menschen in der Türkei. Ich bekomme auch ständig Nachrichten und Fragen. Natürlich denke ich darüber nach, was ich tun soll, wenn ich zurückkomme. Es ist nicht einfach, meine Gedanken ausschliesslich auf den synodalen Prozess zu lenken.

«Wir können so eine Frage nicht auf mathematische Weise beantworten.»

Das grosse Erdbeben von Lissabon 1755 hat eine Theodizee-Debatte ausgelöst: Wie kann Gott so viel Leid zulassen? Haben Sie darauf eine Antwort?

Kmetec: Nein. Wir haben nicht auf alles eine Antwort. Erst recht nicht können wir so eine Frage auf mathematische Weise beantworten. Die Erde ist voller Leid. Die Existenz des menschlichen Leidens ist ein grosses Geheimnis. Doch Gott selbst ist in dieses Geheimnis eingetreten, sodass diese Welt nicht das letzte Wort über unsere Existenz bedeutet. Dieses schlimme Erdbeben und diese nationale Tragödie haben keinen Sinn. Sie zeigen, dass wir als Menschen schwach und verletzlich sind.

Monika Maire-Hefti ist Präsidentin von Caritas Schweiz.
Monika Maire-Hefti ist Präsidentin von Caritas Schweiz.

Verhält sich Europa solidarisch genug?

Kmetec: Ja, sehr. Ich spüre hier in Prag, aber auch weltweit eine grosse Welle der Solidarität. Wir sind dafür sehr dankbar. Es ist jetzt sehr wichtig, Caritas Internationalis zu unterstützen. Und nicht nur die Türkei braucht Hilfe, sondern auch die Menschen in Syrien.

«Christus ist an unserer Seite.»

Was macht Ihnen Hoffnung?

Kmetec: Die Tatsache, dass ich an Gott glaube, die Tatsache, dass wir erlöst sind und die Tatsache, dass Christus an unserer Seite ist. Das Evangelium macht uns Hoffnung. Wir sind dazu berufen, es weiterzugeben. Nächstenliebe und Solidarität sind Quellen der Hoffnung.

Ihre Mutter in der Türkei hat ihre Wohnung durch das Erdbeben verloren, die Nachbarsfamilie ist tot: Aysel Günüs Tasan in Baar ZG.
Ihre Mutter in der Türkei hat ihre Wohnung durch das Erdbeben verloren, die Nachbarsfamilie ist tot: Aysel Günüs Tasan in Baar ZG.

In der Schweiz, noch mehr aber in Deutschland gibt es eine grosse türkische Diaspora. Doch die Türkinnen und Türken sind meistens muslimisch und alevitisch geprägt. Wie ist es, in der Türkei katholisch zu sein?

Kmetec: Es bedeutet, Teil einer Minderheit zu sein. Es bedeutet, bescheiden zu sein. Es bedeutet, stark im Glauben zu sein.

Der Samichlaus ist mit dem Schiff unterwegs nach Brunnen.
Der Samichlaus ist mit dem Schiff unterwegs nach Brunnen.

Die Lieblingsheilige vieler Kinder ist der heilige Nikolaus, der aus Myra stammt. Sind Sie stolz darauf, in der Türkei Bischof zu sein – in der Heimat des heiligen Nikolaus?

Kmetec: Der heilige Nikolaus lebte in einer Zeit, als es noch keine Türkei gab. Die türkische Bevölkerung kam erst später in dieses Gebiet. Also können wir nicht sagen, dass er Türke war. Aber er hat im Gebiet der heutigen Türkei gelebt – und das schafft natürlich eine besondere Verbindung. 

* Der Kapuziner-Minorit Martin Kmetec (66) stammt aus Slowenien und ist Erzbischof von Izmir.


Der Erzbischof von Izmir, Martin Kmetec, in Prag. | © Raphael Rauch
12. Februar 2023 | 05:00
Lesezeit: ca. 2 Min.
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