Der Dominikaner Marie-Dominique Philippe mit Papst Johannes Paul II.
Schweiz

Sex-Pater Marie-Dominique Philippe hinterlässt «Schatten» auf Freiburger Fakultät

Marie-Dominique Philippe lehrte fast 40 Jahre Theologie in Freiburg. Heute ist bekannt: Zusammen mit seinem Bruder Thomas und dem Arche-Gründer Jean Vanier waren sie die Köpfe hinter einer kruden erotischen Mystik. Diese lebten sie mit hunderten Frauen aus. An einem Studienabend stellt sich die Universität Freiburg ihrer Vergangenheit.

Annalena Müller

«L’Affaire». Zu deutsch: «Die Sache». So lautet der Titel des Buches des Historikers Tangi Cavalin. Auf 766 Seiten beleuchtet Cavalin das System Philippe. In Auftrag gegeben hat die Studie Nicolas Tixier, Provinzial der französischen Dominikaner.

Am Dienstagabend widmete die Universität Freiburg «Der Sache» einen Studienabend. Besonders für die theologische Fakultät ist es auch eine Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. Und der Frage: haben wir wirklich nichts gesehen?

Grosses Interesse

Das Auditorium B ist am Dienstagabend fast voll besetzt. Neben Studierenden und Forschenden finden viele Freiburger und Freiburgerinnen den Weg in den Hörsaal. Darunter auch ehemalige Schüler von Marie-Dominique Philippe.

Bischof Morerod im Gespräch mit Tanja Itgenhorst (links) vor Beginn der Veranstaltung.
Bischof Morerod im Gespräch mit Tanja Itgenhorst (links) vor Beginn der Veranstaltung.

Auch Vertreter der Kirche sind gekommen. Bischof Charles Morerod bleibt zwar nur kurz. Aber zahlreiche Angehörige des Dominikanerordens sowie Vertreter anderer Ordensgemeinschaften und des Klerus folgen der gesamten Veranstaltung.

Akademische Auseinandersetzung

«Es ist ein Schatten, der über unserer Fakultät liegt» sagt der Dekan der Theologischen Fakultät, Joachim Negel, zum Auftakt. Deshalb habe man dem Thema «Philippe» einen Studienabend geradezu widmen müssen.

Der Historiker Tangi Cavalin hat ein Buch über die Gebrüder Philippe geschrieben.
Der Historiker Tangi Cavalin hat ein Buch über die Gebrüder Philippe geschrieben.

Die Auseinandersetzung mit den Gebrüdern Philippe auf dem Podium ist eine akademische. Cavalin berichtet über die ungewohnte Situation, eine Auftragsarbeit auszuführen. Vertreter und Vertreterinnen der theologischen und historischen Fakultäten versuchen, das Phänomen Philippe biblisch und kirchenhistorisch zu fassen.

Nicht abstrakt, sondern konkret

Für viele der anwesenden Freiburger und Freiburgerinnen ist das Phänomen – besonders Marie-Dominique – kein abstraktes. Marie-Dominique Philippe war über vier Jahrzehnte hinweg eine prägende Figur der Universität und des katholischen Freiburg.

von links nach rechts: Joachim Negel, Tanja Itgenhorst, Marie-Jo Thiel und Fabrice Hadjadj versuchen das Phänomen Philippe zu verstehen
von links nach rechts: Joachim Negel, Tanja Itgenhorst, Marie-Jo Thiel und Fabrice Hadjadj versuchen das Phänomen Philippe zu verstehen

Im Gespräch mit kath.ch erzählt ein früherer Student von Marie-Dominique Philippe. Dieser sei eine ausnehmend charismatische Figur gewesen. Ihn habe immer einen «Hof an Gefolgsleuten» umgeben, die ihn geradezu verehrten.

«Er war ein Überzeugter»

«Für uns Schweizer Studierende war das seltsam.» Sagt der Mann, der anonym bleiben möchte. Hunderte französische Studierende seien Philippe nach Freiburg gefolgt. Sogar grosse Vorlesungsräume habe der Theologe mühelos gefüllt.

Marie-Dominique Philippe war charismatisch. Als Professor hat selbst grosse Hörsäle mühelos gefüllt.
Marie-Dominique Philippe war charismatisch. Als Professor hat selbst grosse Hörsäle mühelos gefüllt.

Der Student von damals glaubt nicht, dass Philippe ein Manipulator war. Oder sexbesessen. «Philippe war ein Überzeugter». Überzeugt von der erotischen Mystik, die sein Bruder Thomas entwickelt hatte und die Marie-Dominique, Thomas und Jean Vanier lebten.

Das Schweigen dauert an

Der ehemalige Student kann sich nicht vorstellen, dass Marie-Dominique auch in Freiburg Affären mit Frauen unterhalten hat. Er glaubt, dass sich das bei seinen Aufenthalten in Frankreich abgespielt habe. «Das wäre doch mittlerweile herausgekommen.»

«Sie wirkten wie ein verliebtes Paar.»

Aber wäre es das? Zweifel scheinen angebracht. Ein früherer Journalist, der ebenfalls anonym bleiben möchte, berichtet von einem Ereignis aus den 1980er-Jahren. Damals habe er Marie-Dominique und Mère Myriam, Gründerin der «Fraternité de l’Immaculée», zusammen in Freiburg gesehen. Das Bild habe sich ihm eingebrannt. Obwohl er damals nicht den Finger darauflegen konnte.

Der klerikale Nimbus

Rückblickend sei es klar: Die beiden waren körperlich zu nah, zu intim miteinander. «Sie wirkten wie ein verliebtes Paar.» Aber in den 1980ern sei ihm nicht einmal die Idee gekommen, dass da etwas sein könnte. Es war zu dieser Zeit schlicht unvorstellbar.

Plakat für den Studienabend an der Universität Freiburg,
Plakat für den Studienabend an der Universität Freiburg,

Dieser Punkt scheint für das allgemeine Verständnis zentral: Obwohl die Beziehung zwischen Mère Myriam und Marie-Dominique in Freiburg offensichtlich – scheinbar sogar öffentlich – war, hat niemand sie gesehen.

Auch ein gesellschaftliches Phänomen

Und selbst diejenigen, die das Paar zusammen sahen, haben nicht verstanden, was sie sahen. Zu fern war der Gedanke, zu unvorstellbar die Möglichkeit. Zu gross der Nimbus des Klerikers und des Stars der theologischen Fakultät.

Der Studienabend hat viele ins Auditorium gelockt.
Der Studienabend hat viele ins Auditorium gelockt.

Der Historiker Tangi Cavalin meint wohl genau dieses «Sehen ohne zu verstehen», wenn er davon spricht, dass das Phänomen der Gebrüder Philippe, nicht nur biographisch und theologisch, sondern gerade auch gesellschaftlich zu untersuchen sei.


Der Dominikaner Marie-Dominique Philippe mit Papst Johannes Paul II. | © zVg
18. Mai 2023 | 16:00
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