Doris Strahm (links) und Silvia Strahm Bernet in Basel.
Schweiz

Doris und Silvia Strahm: «Zusammen sind wir stark – das war ein prägendes Gefühl»

Die Theologinnen Doris Strahm und Silvia Strahm Bernet werden am Sonntag mit dem Herbert-Haag-Preis ausgezeichnet. Die Schwestern sind Pionierinnen der feministischen Theologie und sprechen im Podcast «Laut + Leis» über die feministische Bewegung, ihr Buch «Mächtig stolz» und über ihre Beziehung.

Sandra Leis

«Verbindlichkeit, Langjährigkeit und Treue», das sind die Stichworte, mit denen Silvia Strahm Bernet die Beziehung zu ihrer Schwester charakterisiert. Und Doris Strahm sagt: «Engste Gesprächspartnerin, Mitdenkerin und lebenslange Freundin.»

Seit Kindheit sind die beiden eng miteinander verbunden, in Zürich aufgewachsen, katholisch sozialisiert und dann als junge Erwachsene die grosse Sinnkrise: Der geliebte Vater stirbt mit nur 47 Jahren. Auf der Suche nach Antworten entscheiden sich die Schwestern für ein Theologiestudium – zuerst evangelische Theologie in Zürich, dann katholische in Luzern.

Der Augenöffner

Heute sind Silvia und Doris Strahm 68 und 70 Jahre alt. Der Auslöser, sich mit feministischer Theologie zu befassen, geht zurück aufs Jahr 1976. Damals erschien das Papier der Glaubenskongregation über die Nichtzulassung der Frauen zum Priesteramt. «Wir waren voll im Studium, und das war ein Totalschock. Dieses Papier war für mich der Augenöffner, mich ganz grundsätzlich mit Feminismus zu beschäftigen. Nicht nur in der Kirche, auch in der Gesellschaft», sagt Silvia Strahm. 

Silvia Strahm Bernet: «Mit dem Herbert-Haag-Preis wird auch die feministische Bewegung gewürdigt, von der wir Teil sind.»
Silvia Strahm Bernet: «Mit dem Herbert-Haag-Preis wird auch die feministische Bewegung gewürdigt, von der wir Teil sind.»

Und Doris Strahm ergänzt: «Männer wollten mit diesem Papier bestimmen, wer wir Frauen sind, was wir können und dürfen. Und dann haben sie sich auch noch auf Gott berufen. Das war ein Skandal.» Es gab zahlreiche Proteste, und die feministische Theologie wurde in der Schweiz zu einer Bewegung, an der Tausende von Frauen teilnahmen.

Vielstimmiges Vermächtnis

Davon erzählt das Buch «Mächtig stolz». Die Herausgeberinnen Doris und Silvia Strahm haben während zwei Jahren akribisch Archive durchforstet, Weggefährtinnen aufgefordert, Texte zu schreiben, und realisiert, wo sie selber überall dabei waren. Entstanden ist ein vielstimmiges Vermächtnis, das vierzig Jahre feministische Theologie und kirchliche Frauenbewegung in der Schweiz dokumentiert. 

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Die «Fama» und die Frauensynoden

Fragt man die Pionierinnen nach den Highlights, so kommt wie aus einem Mund die feministisch-theologische Zeitschrift «Fama», die bis heute besteht. «Wir waren sieben katholische Theologinnen und hatten den Mut, eine eigene Zeitschrift zu gründen, denn es gab Texte, die wir sonst nirgends publizieren konnten», sagt Doris Strahm.

Für Silvia Strahm waren zudem die Frauensynoden sehr wichtig. Eine Synode in Luzern ist ihr ganz besonders in Erinnerung geblieben: «Wir haben Schiffe gemietet und sind mit Hunderten von Frauen den ganzen See entlanggefahren, und überall am Seeufer hat’s Interventionen gegeben. Das war eine Ermächtigung.»

«Fama»-Redaktion 1998: Vordere Reihe v.l.n.r.: 
Silvia Strahm Bernet, Ursula Vock, Monika Hungerbühler / Hintere Reihe v.l.n.r.: Jacqueline Sonego Mettner, Li Hangartner, Doris Strahm, Dorothee Dieterich, Barbara Seiler
«Fama»-Redaktion 1998: Vordere Reihe v.l.n.r.: Silvia Strahm Bernet, Ursula Vock, Monika Hungerbühler / Hintere Reihe v.l.n.r.: Jacqueline Sonego Mettner, Li Hangartner, Doris Strahm, Dorothee Dieterich, Barbara Seiler

Überhaupt die Power: «Zusammen sind wir stark – das war ein prägendes Gefühl», erinnert sich Doris Strahm. «Das war sehr lustvoll und leidenschaftlich bei aller Kritik und allem, was uns bewusst geworden ist an Unterdrückung.»

Was bleibt?

Die Blütezeit der feministischen Theologie war in den 1980er- und 1990er-Jahren. Heute schlägt sie keine hohen Wellen mehr. Wie es weitergeht, ist offen. «Es ist nicht einfach ein Prozess der feministischen Theologie oder der Frauen. Die ganze Kirche bröckelt weg, und die Theologie verliert ihre Basis», sagt Silvia Strahm.

Doris Strahm: «Was bleibt, sind Bücher, die Bibel in gerechter Sprache oder die IG feministischer Theologinnen.»
Doris Strahm: «Was bleibt, sind Bücher, die Bibel in gerechter Sprache oder die IG feministischer Theologinnen.»

Gleichwohl sind die beiden alles andere als frustriert: Sie sind neugierig auf das, was kommen wird – möglicherweise auch ausserhalb der Institution Kirche. «Was bleibt, sind Bücher, die Bibel in gerechter Sprache oder die Interessengemeinschaft feministischer Theologinnen, die bis heute existiert», sagt Doris Strahm.

«In der katholischen Kirche hat die feministische Theologie nicht viel erreicht», konstatiert Silvia Strahm. «Doch sie hat Mut gemacht, viele Initiativen ins Leben gerufen, und in einem guten Sinn vor allem jene Frauen verändert, die dabei waren.»

Die grosse Ehre

Vor gut drei Jahren hat Doris Strahm für ihr jahrzehntelanges Engagement von der Universität Bern die Ehrendoktorwürde erhalten. Jetzt geht’s weiter: Die beiden Schwestern werden mit dem renommierten Herbert-Haag-Preis ausgezeichnet. Vergeben wird er an Personen, Publikationen und Institutionen, die sich für Freiheit und Menschlichkeit innerhalb der Kirche einsetzen. Nach vielen Jahren wird heuer wieder explizit feministische Theologie ausgezeichnet.

Silvia und Doris Strahm an einer Tagung an der Paulus Akademie Zürich in den 1990er-Jahren.
Silvia und Doris Strahm an einer Tagung an der Paulus Akademie Zürich in den 1990er-Jahren.

«Am meisten freut mich, dass wir den Preis zusammen erhalten», sagt Doris Strahm. «Weil wir soviel gemeinsam gemacht haben in den Anfängen, und jetzt gegen Ende unseres Lebens dieses Buch als Schwestern-Projekt gestemmt haben.» Und, so Silvia Strahm: «Gewürdigt wird auch die feministische Bewegung, von der wir Teil sind.» 

Die Schwestern haben vieles gemeinsam gemacht und gemeistert. Eines unterscheidet sie: Doris Strahm ist 2018 gemeinsam mit anderen prominenten Feministinnen aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten; Silvia Strahm ist geblieben. Im Podcast erklären beide sehr plausibel, weshalb sie sich für den jeweiligen Weg entschieden haben.

Preisverleihung und Buch:
Der Herbert-Haag-Preis 2024 geht an die Schweizer Theologinnen Doris Strahm und Silvia Strahm Bernet sowie an Norbert Lüdecke, emeritierter Professor für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn. Die Preisverleihung findet am Sonntag, 3. März, um 15.30 Uhr in der Lukaskirche in Luzern statt.

Doris Strahm und Silvia Strahm Bernet (Hg.): Mächtig stolz. 40 Jahre feministische Theologie und Frauen-Kirche-Bewegung in der Schweiz. 304 Seiten, efef-Verlag 2022.


Doris Strahm (links) und Silvia Strahm Bernet in Basel. | © Sandra Leis
1. März 2024 | 09:00
Lesezeit: ca. 3 Min.
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