Cathrine Berger, Rita Famos und Bischof Markus Büchel
Schweiz

«Die Seelsorge im Gesundheitswesen ist ein zentrales Herzstück unserer kirchlichen Institution»

Erstmalig organisierte die Schweizerische Bischofskonferenz zusammen mit der Evangelischen Kirche Schweiz und dem Berufsverband der Spitalseelsorgenden eine nationale Tagung. Rund 140 Teilnehmende waren an der Universität Fribourg – auch Bischof Markus Büchel. Es soll eine nationale Koordinationsstelle ins Leben gerufen werden.

Sabine Zgraggen 

Als am 1. März 2022 die ökumenische Gesundheits-Charta der beiden grossen Kirchen scheiterte, gab es vielerorts lange Gesichter. Denn die Spital-, Heim- und Psychiatrieseelsorge steht vor einigen Herausforderungen betreffend ihrer Rolle, ihres Auftrages und ihrer Zukunft als eine im Gesundheitswesen bestmöglich integrierte eigene Fachdisziplin – oder eben nicht.

Massgeblich mitorganisiert hat der Berufsverband für Seelsorge und spezialisierte Spiritual Care: Susanne Altoè und Heiko Rüter
Massgeblich mitorganisiert hat der Berufsverband für Seelsorge und spezialisierte Spiritual Care: Susanne Altoè und Heiko Rüter

Damals hatte sich die Evangelische Kirche zurückgezogen, da gewisse demokratische Prozesse der Kantonalkirchen noch nicht durchlaufen waren.  

Erleichterung und Freude

Zwei Jahre später nun die allseitige Erleichterung und Freude darüber, dass die Fachtagung stattfinden konnte. Dass es ein hohes und auch drängendes Interesse am Themenfeld Kirche und Gesundheitswesen gibt, zeigte sich auch daran, dass viele Anmeldungen abgewiesen werden mussten. Der Hörsaal der Universität Fribourg bot nur begrenzt Platz.  

Rita Famos, Präsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz
Rita Famos, Präsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz

Mit der Teilnahme von Rita Famos und Bischof Markus Büchel wurde zudem deutlich, dass die christlichen Kirchen nur ökumenisch den Kernauftrag wahrnehmen können, für die Kranken in der heutigen Gesellschaft da zu sein.

Das blaue Tuch und der Himmel

Rita Famos blendete zu Anfang ein Bild ein, das zeigt, wie vier Menschen einen Kranken tragen. Im Bild wäre der Kranke gut und fast schon entspannt gebettet auf einem blauen Tuch: «Das blaue Tuch spiegelt ein Stück Himmel wieder», so Famos. Es sei ihr Wunsch, dass wir uns während der zwei Tage von diesem Bild leiten lassen. «Denn wir wollen geleitet werden vom Glauben ans Heilwerden». 

Im grossen Hörsaal der Uni Fribourg: 140 angemeldete Teilnehmende aus dem Bereich Gesundheitsseelsorge
Im grossen Hörsaal der Uni Fribourg: 140 angemeldete Teilnehmende aus dem Bereich Gesundheitsseelsorge

Die eingangs zitierten biblischen Bezugsverse klangen in den Ohren der Teilnehmenden zwar vertraut, sie spiegeln aber die heutige Sprache, in denen sich professionelle Seelsorge im Gesundheitswesen bewegt, nicht mehr wider.

«Verkündigung und Bekehrung zum Glauben waren in früheren Zeiten das Ziel.»

Heiko Rüter

Heiko Rüter, Präsident des Berufsverbandes, formulierte es so: «Verkündigung und Bekehrung zum Glauben waren in früheren Zeiten das Ziel. Doch die Entwicklung im Heute hat das freie Gespräch als Ausgangslage. Das Gegenüber rückt ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Seelsorge wird nun verstanden als Mitteilung des Individuums.» Er und die Co-Präsidentin, Susanne Altoè, haben die Tagung massgeblich gestaltet. 

Professorin Isabelle Noth von der Uni Bern will die reformierte Seelsorge theologisch stärker reflektiert wissen.
Professorin Isabelle Noth von der Uni Bern will die reformierte Seelsorge theologisch stärker reflektiert wissen.

Mit Spannung erwartet wurden die Referate aus dem theologischen Forschungsbereich, namentlich dem Institut für Praktische Theologie der Universität Bern mit der Professorin Isabelle Noth und dem Lehrstuhl für Spiritual-Care Zürich, vertreten durch Professor Simon Peng-Keller.

Mit roter Bibelausgabe

Noth trat mit einer roten Bibelausgabe ans Rednerpult und betonte ihre Forschung im Feld des reformierten Seelsorgeverständnisses, das zur heutigen Gesundheitsseelsorge vernachlässigt werde.

Sie skizziert die kirchliche Gesundheits-Seelsorge eher als ein kritisch zu bleibendes Gegenüber zu den Gesundheitsinstitutionen. «Religionspolitische Moves», so Noth, seien eher, um sich Erfolg und Anerkennung zu sichern. Auch wenn Religion out sei, sollten wir diese Art von Kränkung ertragen. 

Professor Simon Peng-Keller vertritt den Ansatz von Seelsorge als Gesundheitsberuf.
Professor Simon Peng-Keller vertritt den Ansatz von Seelsorge als Gesundheitsberuf.

Demgegenüber entfalte Simon Peng Modelle, wie Seelsorge im Gesundheitswesen heute gedacht und verstanden werden kann. Modell drei schliesslich sieht die Seelsorge in den Institutionen als Gesundheitsberuf, der das bio-psycho-soziale Modell um die spirituelle Dimension zu erweitern helfe. Im interdisziplinären Feld hat Seelsorge die Rolle als Expertin für spirituelle und religiösen Bedürfnisse. Hierbei spiele die Konfession oder Religion nicht mehr die entscheidende Rolle. 

«Qualität vor Konfession»

Marcel Lanz, Geschäftsleiter einer Heimeinrichtung in Wohlen, ergriff die Stimme für die Pflegeheimbewohnerinnen und Bewohner: «Was beschäftigt die Menschen? Es sind Ängste, Scham, Wut, Loslassenkönnen, Beziehungsprobleme, Ohnmacht, Schmerz und Sterbewunsch. Und manchmal auch der Glaube. Nicht Religiosität!» Deshalb gehöre die Seelsorge institutionell dazu. Irgendwann an der Tagung fiel der prägnante Satz «Qualität vor Konfession.» 

Professor Pierre-Yves Brandt verweist auf dringend notwendige Qualitätsstandards auch für die kirchliche Seelsorgearbeit.
Professor Pierre-Yves Brandt verweist auf dringend notwendige Qualitätsstandards auch für die kirchliche Seelsorgearbeit.

Auf hohem Niveau zogen sich diese Gedankenansätze durch die Ateliers und weiteren Fachreferate. Besonderes Aufsehen erregte auch der Fachbeitrag über Qualitätskriterien in der heutigen Seelsorge von Professor Pierre-Yves Brand von der Uni Lausanne an Tag zwei: «Es gibt auch neue Gruppen nicht religiöser Zugehörigkeit. Wenn die Kirchen nicht so defensiv wären, könnten sie sich vorbildlich um Qualitätsstandards für diese neuen Gruppen aufstellen»! Das sei aber dringend nötig, wollen wir in der säkularen Gesellschaft Auskunft über «das Heilsame» durch gelebte Spiritualität geben. 

Zusammenarbeit mit muslimischer Seelsorge

Dass die christlichen Kirchen vielerorts bereits pionierartig die enge Zusammenarbeit mit muslimischer Seelsorge tätigen, zeigte auch das sehr gut besuchte Atelier von Prof. Hansjörg Schmid und Claire Robinson, vom Schweizerischen Zentrum für Islam und Gesellschaft.

Hier werden bereits vergleichbare universitäre Ausbildungslehrgänge für Interessentinnen muslimischer Seelsorge lanciert, wenngleich die Zugangswege diverser sind und flexibler gehandhabt werden müssen. 

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Bischof Markus Büchel, Vizepräsident der SBK und Ressortverantwortlicher für Pastoral, trat anfangs des zweiten Tages ans Rednerpult: Er habe hier früher studiert und sich damals gedacht «da vorne möchte ich niemals stehen», heute nun sei es soweit, sagte er schmunzelnd.

«Helfen Sie uns Leitenden auf dem Weg zur Veränderung!»

Bischof Markus Büchel

Mit grosser Dankbarkeit und einem eindringlichen Aufruf wandte er sich an alle Akteurinnen und Akteure der heutigen Krankenpastoral: «Helfen Sie uns Leitenden auf dem Weg zur Veränderung! Lassen Sie uns hören, was Sie aus den Begegnungen mit den Menschen erfahren und lernen. Sie stehen an einem privilegierten Ort, wo Sie das Evangelium leben und deuten. Sie lernen, was die Frohe Botschaft im Heute bedeutet. Nehmen Sie uns synodal in die Pflicht, damit wir uns verändern können!» 

Wertvolle Zusammenarbeit in Ateliers (vierter von links): Arndt Bünker, Leiter des SPI, der die Tagung für die SBK organisierte
Wertvolle Zusammenarbeit in Ateliers (vierter von links): Arndt Bünker, Leiter des SPI, der die Tagung für die SBK organisierte

Ökumenische Sternstunde

Mit dem Versprechen, dass sich sowohl die Spitzen der Evangelischen Kirche Schweiz und der Schweizer Bischofskonferenz gemeinsam mit dem Berufsverband dafür einsetzen werden, die Idee einer nationalen Koordinationsstelle nochmals zu erwägen, endete diese Tagung. Es war eine ökumenische Sternstunde im wichtigen Dialog sowohl mit der theologischen Forschung, wie der an der Basis der im Gesundheitswesen längstens gut integrierten und breit akzeptierten Seelsorge. 


Cathrine Berger, Rita Famos und Bischof Markus Büchel | © Sabine Zgraggen
29. Januar 2024 | 15:00
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