Annalena Müller
Kommentar

Die Moral gebietet, der Ukraine beizustehen

Der Westen will den Krieg in der Ukraine am liebsten vergessen. Die anfängliche Unterstützung weicht einer Kriegsmüdigkeit – «nota bene im Westen.» So lange sich die Ukraine zur Wehr setzen will, so lange müsse der Westen sie dabei unterstützen. Das «gebieten die Moral, die Solidarität und der kategorische Imperativ», schreibt Annalena Müller im Kommentar zum zweiten Jahrestag.

Annalena Müller

«Ich brauche keine Mitfahrgelegenheit, sondern Munition!» Mit diesen Worten soll der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj das Evakuierungsangebot der USA im Februar 2022 abgelehnt haben. Medial wurde er damit im Westen zum Helden. In den ersten Monaten war die Unterstützung für die Ukraine immens. Offene Grenzen, Willkommenskultur und Hilfsleistungen – das waren Tenor und kategorischer Imperativ in den Monaten nach dem 24. Februar 2022.

Kriegsmüdigkeit

Heute, da der Krieg ins dritte Jahr geht und zum Abnutzungskrieg geworden ist, macht sich «Kriegsmüdigkeit» breit. Nota bene: im Westen. In der Schweiz überlegt man laut, ob man den «Schutzstatus S» für ukrainische Flüchtlinge aufheben solle. «Wer weiss, wie lange sich das da im Osten noch hinzieht.» Letzte Woche versprach die Münchner Sicherheitskonferenz dem vom Krieg geplagten Land Waffen – für 2025. Gleichzeitig stehen ukrainische Soldaten teilweise ohne Munition, dafür mit einer Nagerplage, im Schützengraben.

Die Gräber gefallener Soldaten in Lemberg sind mit Fahnen geschmückt.
Die Gräber gefallener Soldaten in Lemberg sind mit Fahnen geschmückt.

In der warmen, sauberen, sicheren Schweiz hört man die Mahner und Mahnerinnen, die auch Putin verstehen. Der russische Präsident fühlte sich schliesslich von der Nato bedroht; die Invasion der Ukraine als Defensivschlag. Sie mahnen an: Auch Selenskyj sei kein «lupenreiner Demokrat», die ukrainische Elite genauso korrupt wie die russische und überhaupt: Die Bergpredigt.

Welt- und geschichtsfremd

Wenig irritiert mich so sehr wie Doppelmoral. Zumal, wenn man damit halbherzige Unterstützung moralisch legitimieren will. Ich frage mich: Woher kommt der Anspruch, dass ein Verteidigungskrieg automatisch ein Krieg von Gut gegen Böse sein muss? Auf der einen Seite das durch und durch edle Opfer mit reiner Weste, auf der anderen Seite der böse Täter ohne jegliche rational nachvollziehbare Motivation? Das ist, mit Verlaub, weltfremd. Und geschichtsfremd ist es obendrein.

Dass der Verweis auf die Bergpredigt ein Verstecken und kein praktikables Argument ist in einer Welt, in der die regelbasierte Ordnung nicht mehr gilt, macht Justitia et Pax-Generalsekretär Bürgstein deutlich. Und ich stimme ihm und den Kommissionen in Deutschland und Luxemburg zu: So lange sich die Ukraine gegen den russischen Angriff zur Wehr setzen will, so lange müssen wir sie dabei unterstützen. Das gebieten die Moral, die Solidarität und der kategorische Imperativ.

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Annalena Müller | © Mattia Vacca
24. Februar 2024 | 17:00
Lesezeit: ca. 2 Min.
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