Der Jesuit Andreas Schalbetter  bei seiner Führung, hier in der Ignatius-Kapelle
Theologie konkret

Dichtend zu Gott finden: Der Walliser Jesuit Andreas Schalbetter ist auf Spurensuche des Glücks

Heute beginnt in Ägypten die UN-Klimakonferenz. Der Jesuit Andreas Schalbetter (57) stammt aus dem Wallis und ist jedes Mal entsetzt, wenn er den Aletsch-Gletscher schmelzen sieht. Er verzichtet auf Flugreisen, Fleisch gibt’s nur am Sonntag. Das neueste Projekt des Uni-Seelsorgers in Basel: ein religiöser Gesprächskreis mit Medizin-Studierenden.

Eva Meienberg

«Ich komme aus einem kleinen Dorf und einer grossen Familie», sagt Andreas Schalbetter. Heute lebt der Priester in einer kleinen Jesuiten-Kommunität in der Stadt Basel mit zwei Mitbrüdern an der Herbergsgasse 7. Dort, im Katholischen Studentenhaus, befindet sich auch das Büro des Seelsorgers.

Andreas Schalbetter mit Theologie-Studierenden an der Uni Luzern, 2019.
Andreas Schalbetter mit Theologie-Studierenden an der Uni Luzern, 2019.

Es ist stockdunkel im Gang. Das Licht schaltet Andreas Schalbetter aber dennoch nicht ein. Er will Strom sparen. Aus diesem Grund benutzt er kaum den Lift, verzichtet auf das Auto und, wann immer möglich, auf Flugreisen.

Andreas Schalbetter ist mittelgross und schlank. Seine leicht rötlichen Haare sind nicht mehr so dicht. Den blauen Schal hat er um den Hals geschlungen wie ein Dirigent. Auf der dunkelblauen, sportlichen Freizeitjacke prangt das Logo der Jesuiten. Es ist einfach, sich den drahtigen Mann als Tourengänger vorzustellen.

Andreas Schalbetter unterwegs mit den Schneeschuhen bei der Rieder Furka 2016
Andreas Schalbetter unterwegs mit den Schneeschuhen bei der Rieder Furka 2016

Andreas Schalbetter ist als fünftes von sieben Kindern in Grengiols aufgewachsen. Das Bergdorf befinde sich am Tor zum Goms, erklärt der Walliser. Eine einzigartige Tulpe wachse nur dort. Und während einiger Zeit liege das Dorf im Winter gänzlich im Schatten.

Kindheit in Grengiols

Gefragt nach Erinnerungen aus der Kindheit, erzählt der 57-Jährige vom Hausberg Bättlihorn. Von den Streifzügen durch die Arvenwälder mit Geschwistern, Cousinen und Cousins. Vom Sonntags-Raclette auf dem Feuer mit der Familie und der geringen Feinstaub- und Lichtverschmutzung, die die Sterne in Grengiols hell und klar erscheinen lassen.

Andreas Schalbetter ist keiner, der seine Lebensgeschichte aus dem Stegreif erzählt. Lieber verdichtet er seine Erinnerungen und Erlebnisse in lyrische Texte. Vergangenes Jahr ist ein Gedichtband von ihm erschienen.

        
Tanz Die Brise bringt die Kiefern zum Singen Der Wind beschwingt die Äste der Lärchen Der Friede tanzt im Schwanken der Bäume Dein Hauch du Gott beschwinge uns alle In deinen Tanz

Lange sprechen wir über das Wallis mit seinen Bergen, Wäldern und Gletschern, die in Andreas Schalbetters Erzählungen oft zu Metaphern werden. «Das Faktum der Berge, ihre Schönheit, hilft einer natürlichen Religiosität», sagt er. Gott lasse sich besonders entdecken in der Wüste, am weiten Meer und in den Bergen. Die Schöpfung sei durchlässig für das Göttliche, das Unaussprechliche.

Christoph Albrecht SJ, Andreas Schalbetter SJ und dBruno Brantschen SJ bei einer Bergtour im Lötschental 2010
Christoph Albrecht SJ, Andreas Schalbetter SJ und dBruno Brantschen SJ bei einer Bergtour im Lötschental 2010

Andreas Schalbetters Vater betrieb mit seinem Schwager eine Sägerei und war Organist in der Kirche St. Peter. Die Mutter sang im Kirchenchor und er bald auch. Fast alle Schalbetter-Kinder spielten ein Instrument. Andreas Schalbetter spielte Klavier und später Orgel. An Weihnachten oder an manchen Sonntagen musizierte die Familie gemeinsam.

Katholisch im Wallis

«In den 1970er-Jahren war das Wallis eine kulturelle Einheit mit zwei Sprachen», sagt der Jesuit über seinen Heimatkanton. Die meisten Menschen hätten am Sonntag den Gottesdienst besucht. Der Pfarrer sei eine Institution gewesen. In Grengiols etwa habe er geholfen, die Sennerei, die Raiffeisenbank und den Konsumverein zu gründen. «Der Pfarrer war bei uns Ende des 19. Jahrhunderts ein Entwicklungshelfer.» Heute sei durch materielle Sicherheit und Säkularisierung der Glaube am Schwinden.

Primiz in Grengiols. Andreas Schalbetter und seine Familie, 1995.
Primiz in Grengiols. Andreas Schalbetter und seine Familie, 1995.

«Mit 17 Jahren, nach einer Glaubenskrise, kam ich beim Bestaunen der Schönheit der Natur mit vernünftigen Überlegungen zum Entschluss, dass die Wahrscheinlichkeit grösser ist, dass es ein göttliches Du gibt», sagt Andreas Schalbetter. Bei seinem Entscheid sei er geblieben, in seinem Glauben standhaft, wie sein Lieblingsbaum, die Lärche. Sie brauche wenig Wasser und wachse langsam, klinge aber wunderbar, wenn der Wind die hängenden Äste des schwerfälligen Baumes bewege.

        
Schauen und eintauchen Vor mir ein See aus blauem Gold Ich blick entzückt und staune endlos Berge aus Silber umringen ihn In stillem Schweigen schau ich zeitlos Eintauchen will ich in Gottes Meer aus Gold und Liebe das mich erfrischt

Eigentlich wollte Andreas Schalbetter nach dem Diplom am Kollegium Spiritus Sanctus in Brig und dem Abschluss des Lehrerseminars in Sitten Musik studieren. Aber nach einem Aufenthalt in der damaligen südafrikanischen Republik Transkei auf einer Missionsstation und verschiedenen Berufungserlebnissen in Taizé und Assisi habe er sich für das Theologiestudium entschieden.

Auf dem Weg zur inneren Freiheit

Bereits während des Theologiestudiums in Freiburg absolvierte Andreas Schalbetter seine ersten 30-tägigen Exerzitien. «Exerzitien beschreiben einen inneren Weg zur grösseren Freiheit, zu einer Lebensentscheidung: Wer Exerzitien praktiziert, nimmt sich bewusster wahr als Teil der Schöpfung, also von Gott geliebt, gewollt und ins Dasein gerufen», schreibt Andreas Schalbetter in seinem Gedichtband. Seit 2003 leitet er ignatianische Exerzitien und hat viele Menschen geistlich begleitet.

        
Vom Innersten zum Äussersten Vor Gott stehen Für die Welt einstehen Sich Grenzen zugestehen Krisen überstehen Im Innersten stehen Zum Äussersten gehen

Das Theologiestudium führte den Priesteramtskandidaten nach Rom an die Gregoriana. Ein Kommunikationslehrgang an die Universität nach Innsbruck und das Terziat, als Vorbereitung auf die letzten Gelübde der Jesuiten, nach Dublin und in den Kosovo.

«Je weiter ich in meinem Leben von unserem Dorf entfernt war, desto mehr habe ich verstanden, wie wichtig unsere Gletscher sind.» Jedes Mal, wenn er ins Wallis zurückgekommen sei, habe er mit blossem Auge sehen können, wie der Aletsch-Gletscher sich zurückziehe.

        
Traumhafter Himmelskörper Schwebend fliegt unser Planet wie ein blaugrünes Juwel durch den Raum des Universums Wie lange noch dürfen wir diesen Ball bestaunen der mit geballter Kraft lautlos seine Kreise zieht Beenden und wenden wir Kinder unserer Erde selbstvernichtende Wege Bekriegen wir uns nicht Entziehen wir uns nicht den Boden unter den Füssen Erhalten wir uns rein Wasser Acker und Luft Besinnen wir uns täglich neu voll des Staunens auf unseren Ursprung

Andreas Schalbetter will die Energiewende aktiv mittragen. Nach dem Noviziat sei er zehn Jahre lang nicht geflogen. In ihrer Jesuiten-Kommunität essen sie nur am Sonntag Fleisch, was er gut findet. Die jährliche Reise nach Marokko mit den Studierenden hat er auf den Simplon im Wallis verlegt.

Ökologie, soziale Gerechtigkeit und Spiritualität

Aber individuelle Massnahmen genügten nicht, sagt Andreas Schalbetter, es brauche politische Entscheide. In seiner Arbeit ermutige er die Studierenden, Partei zu ergreifen. Aber zuallererst sei er Theologe, Ordensmann und Priester. Ökologie und soziale Gerechtigkeit will der Jesuit mit seiner Spiritualität verbinden. «Religion kann das Urvertrauen stärken und den Menschen den Grund geben, aus Rücksicht auf kommende Generationen zu verzichten», sagt Andreas Schalbetter.

Andreas Schalbetter in jungen Jahren.
Andreas Schalbetter in jungen Jahren.

Dann schlägt Andreas Schalbetter eine Pause vor, er habe so viel gesprochen. Wir brechen auf zu einer Hausführung. Der 1960er-Jahre-Bau ist behäbig und etwas düster. In der Bar gibt’s Kaffee. Andreas Schalbetter verzichtet – aus ökologischen Gründen. Auch das Teetrinken reduziere er. Gerade im Sommer tue es auch kühles Wasser vom Hahn.

Seit über 20 Jahren begleitet der Seelsorger Studierende an verschiedenen Hochschulen in Zürich, Luzern, Bern und Basel. Im Moment formiere sich gerade ein Kreis aus Medizin-Studierenden, die regelmässig über medizin-ethische Fragen austauschen wollen.

Andreas Schalbetter und die Living-Stones-Guides in der Jesuitenkirche in Luzern
Andreas Schalbetter und die Living-Stones-Guides in der Jesuitenkirche in Luzern

Besonders viel Energie habe er in die «Living Stones» in Basel gesteckt, erzählt der Jesuit. «Living Stones» ist ein internationales Netzwerk, in der sich junge Menschen anhand von christlicher Kunst mit ihrem Glauben auseinandersetzen. Dazu zählen zwei internationale Sommerkurse auf dem Simplon, die er mitorganisiert hat.

Jungen Menschen einen Zugang zum Glauben ermöglichen

«Ganz ehrlich, ich bin nicht der Freund von ‹alles ist relativ›», sagt Andreas Schalbetter über seine Arbeit als Studierendenseelsorger. Er wolle jungen Menschen auf ihrem Weg begleiten und ihnen einen Zugang zum christlichen Glauben ermöglichen. «Ich bin Katholik, Priester und Jesuit und will den Menschen Hoffnung geben, ihr Leben in Jesus Christus zu verankern.»

«Es gibt einen atheistischen Zug in der Kirche von heute», sagt Andreas Schalbetter – angesprochen auf sein Gedicht «Morsche Balken». Er nehme einen Aktivismus wahr, manchmal auch bei sich selbst, der von der Kernbotschaft der Kirche wegführe. Der Hauptauftrag laute: «Wir stehen für den Glauben an Jesus Christus und seine Botschaft ein. Und wir bauen die Gemeinschaft der Christinnen und Christen auf.» Alles kirchliche Engagement für Ökologie und soziale Gerechtigkeit müsse an den Glauben rückgebunden sein.

        
Morsche Balken Morsche Kirchen- Balken brechen ein Hauch uns allen deinen Atem ein Richte auf die am Boden zerschellt Rufe Propheten die Kirche zu beleben

Für Andreas Schalbetter ist die Diagnose klar: Die Volkskirche ist gestorben, Strukturen einer bekennenden Kirche müssten erst aufgebaut werden. Angst vor diesen Veränderungen hat der Jesuit nicht. Er vergleicht die Situation mit einem Waldbrand: Die meisten alten Bäume sind weg – aber dann wächst Neues.

Zugang zur Eucharistie

Wichtig sei, dass das Volk Gottes Zugang habe zur Eucharistie. Da sei der Bischof gefordert. Papst Franziskus habe eine Dezentralisierung in der Kirche eingeleitet, regionale Lösungen seien möglich. Aber klar sei auch, dass die kleine Schweiz der Weltkirche nichts diktieren könne.

Andreas Schalbetter feiert Gottesdienst mit jungen Erwachsenen in der Kirche St. Clara in Basel.
Andreas Schalbetter feiert Gottesdienst mit jungen Erwachsenen in der Kirche St. Clara in Basel.

Zum Abschluss möchte Andreas Schalbetter noch ein Gedicht vorlesen. Es handelt vom stürmischen Tohuwabohu, das Christus in einen Garten verwandelt.

        
Im Auge des Sturms Losgelassen der Sturm zu entwurzeln die Eiche Entbunden die Bö die Wellen aufzutürmen kopfüber die Boote Wagen wir uns vor in das Auge des Sturms in die Ruhe Von der Mitte her im Auge des Sturms das Chaos neu ordnen Von Jesu Mitte her das stürmische Tohuwabohu in einen Garten verwandeln

Andreas Schalbetters Buch «Auf der Spurensuche des Glücks. Gedichte» ist im Echter-Verlag in Würzburg erschienen.


Der Jesuit Andreas Schalbetter bei seiner Führung, hier in der Ignatius-Kapelle | © Vera Rüttimann
6. November 2022 | 05:00
Lesezeit: ca. 6 Min.
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