Nicole Büchel, Karin Iten, Stefan Müller, Bischof Joseph Maria Bonnemain stellen den Verhaltenskodex vor.
Schweiz

«Der Verpflichtungscharakter des Verhaltenskodex darf nicht verwässert werden»

Das Bistum Chur hat einen Verhaltenskodex beschlossen, um Missbrauch, Machtmissbrauch und spirituellen Missbrauch zu verhindern. Von einzelnen Priestern kommt Widerstand. kath.ch veröffentlicht Fragen und Antworten, die dem Intranet der Zürcher Kirche zu entnehmen sind.

Ist der Verhaltenskodex (VK) verpflichtend?

Bischof und Bistumskantone (Biberbrugger Konferenz) haben mit dem VK ein Instrument der Machtreflexion und der Qualitätsentwicklung mit Standards gegen sexuellen und spirituellen Missbrauch vorgelegt. Der VK ist für alle Mitarbeitenden und Führungspersonen verbindlich. Alle Pfarreien und Kirchgemeinden im Bistum wurden mit der Broschüre und einem Begleitschreiben des Bischofs und der Kantonalkirchen bedient, weitere Bestellungen nimmt das Sekretariat des Generalvikariats entgegen: generalvikariat@zhkath.ch. Ab Mitte dieses Jahres finden für alle Mitarbeitenden und Führungspersonen verpflichtende Präventionsschulungen statt.

Der Zürcher Generalvikar Luis Varandas mit dem neuen Verhaltenskodex des Bistums Chur.
Der Zürcher Generalvikar Luis Varandas mit dem neuen Verhaltenskodex des Bistums Chur.

Der VK selbst gibt zur Unterzeichnung des Kodex durch alle Mitarbeitenden und Führungspersonen lediglich eine Empfehlung (Seite 6) ab: «Eine Verweigerung der Unterschrift zeigt massive Qualitätsdefizite in der Reflexionsfähigkeit, da die Person zu Pauschalurteilen neigt oder das Anliegen der Prävention nicht genügend mittträgt. Von einer weiteren Zusammenarbeit ist abzuraten.» Der Synodalrat prüft zurzeit, welche arbeitsrechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden müssen, damit die Verpflichtung auf den VK bei allen kirchlichen Mitarbeitenden eingefordert und wie er in die bestehende Anstellungsordnung der Römisch-katholischen Körperschaft des Kantons Zürich implementiert werden kann. Er spricht sich zudem mit den anderen Bistumskantonen ab.

Wer kontrolliert das Unterschreiben des VK?

Es obliegt der Anstellungsbehörde, die unterzeichnete Verpflichtungserklärung im Personaldossier abzulegen. Die Mitarbeitenden in der Seelsorge stellen zudem dem Generalvikariat eine Kopie derselben zu.

Bischof Joseph Bonnemain unterschreibt den neuen Verhaltenskodex am 5. April 2022.
Bischof Joseph Bonnemain unterschreibt den neuen Verhaltenskodex am 5. April 2022.

Gilt der VK wirklich für alle?

Der VK gilt für alle bisherigen und neu in der Diözese Chur tätigen kirchlichen Mitarbeitenden und Vorgesetzten. Das schliesst die gesamte Bistumsleitung und alle gewählten Behördenmitglieder (Kirchenpflege, Synodalrat, Synode, Rekurskommission) mit ein.

Monika Rebhan Blättler (rechts) unterschreibt den neuen Verhaltenskodex – zusammen mit Franziska Driessen-Reding (Mitte) und Generalvikar Peter Camenzind. Ganz links: Kanzlerin Donata Bricci.
Monika Rebhan Blättler (rechts) unterschreibt den neuen Verhaltenskodex – zusammen mit Franziska Driessen-Reding (Mitte) und Generalvikar Peter Camenzind. Ganz links: Kanzlerin Donata Bricci.

Was passiert, wenn einer nicht unterschreibt?

Zunächst wird das Gespräch gesucht. Bei den Seelsorgenden sind es der Generalvikar oder der Bischof als Vorgesetzte, bei den anderen kirchlichen Mitarbeitenden die Kirchenpflege als Anstellungsinstanz. Kommt keine Einigung zustande, greifen noch zu definierende personalrechtliche Konsequenzen. Klar ist, dass der Verpflichtungscharakter des VK nicht verwässert werden darf.

Unterschrieben vom Bischof, den Generalvikaren und den Landeskirchen: der neue Verhaltenskodex.
Unterschrieben vom Bischof, den Generalvikaren und den Landeskirchen: der neue Verhaltenskodex.

Welche Instanz könnte überhaupt arbeitsrechtlich gegen Verweigerinnen oder Verweigerer vorgehen?

Anstellungsinstanz aller kirchlichen Mitarbeitenden sind die Kirchenpflegen oder die Körperschaft. Voraussetzung für personalrechtliche Massnahmen sind arbeitsrechtliche Anpassungen in der Anstellungsordnung. Bei den Seelsorgenden mit einer bischöflichen Beauftragung (Missio) kann dies auch indirekt aufgrund eines Entscheids des Bischofs oder seines Stellvertreters, des Generalvikars, erfolgen. Entziehen diese einer Seelsorgerin/einem Seelsorger die Beauftragung, muss die Anstellungsinstanz mit dieser Person das Arbeitsverhältnis auflösen.

Sie gehören dem "Churer Priesterkreis" an und kritisieren den Verhaltenskodex: die Domherren Roland Graf (l.) und Franz Imhof.
Sie gehören dem "Churer Priesterkreis" an und kritisieren den Verhaltenskodex: die Domherren Roland Graf (l.) und Franz Imhof.

Kann der Bischof oder Generalvikar einen Verweigerer-Priester entlassen?

Im arbeitsrechtlichen Sinn nicht. Aber entziehen der Bischof oder der Generalvikar einem Priester die Beauftragung, hat dies die Kündigung der Arbeitgeberin (Kirchgemeinde, Körperschaft) zur Folge.

Mit Regenbogen-Fahne: die Elisabethenkirche in Basel.
Mit Regenbogen-Fahne: die Elisabethenkirche in Basel.

Der Widerstand aus den Reihen des Churer Priesterkreises beruft sich u.a. darauf, dass sie lediglich die Haltung der Weltkirche verteidigen (gerade in Bezug auf die Homosexualität). Ist ihre Kritik berechtigt?

Der Churer Priesterkreis beruft sich auf traditionelle kirchenamtliche Dokumente, die im Wortlaut tatsächlich als widersprüchlich zu Aussagen des VK gelesen werden können. Aber die «kirchliche Lehre» ist kein erratischer Block, sondern entwickelt sich, seit es die Kirche gibt. Es gilt, die befreiende Botschaft des Evangeliums immer wieder neu im Licht des Glaubens auf die Erfordernisse der jeweiligen Zeit zu deuten. Gerade im Hinblick auf Homosexualität, Ehe und Partnerschaft findet in der ganzen Weltkirche eine breite Reflexion statt, deren Resultat heute noch nicht absehbar ist. Ganz sicher wird und muss sie auch die wissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte bezüglich Homosexualität berücksichtigen müssen. In diesem breiten Entwicklungsprozess sind Ungleichzeitigkeiten normal und müssen ausgehalten werden. Im Rahmen dieses Prozesses, der Zeit braucht, werden dann auch bisherige kirchenamtliche Dokumente überprüft werden und allenfalls auch den Erfordernissen unserer Zeit entsprechend neu formuliert werden müssen.

Der VK ist ein mutiges und wichtiges Element in diesem Entwicklungsprozess. Deshalb ist er auch von grundlegender Bedeutung für alle, die in der Kirche tätig sind.

Karin Iten
Karin Iten

Wie lange dauert die Implementierung des VK in den Alltag?

Der Weg zur Implementierung des VK ist ein Prozess, der Zeit braucht. Bischof und Kantonalkirchen haben sich eine Übergangszeit bis Ende 2022 gegeben. Bis dann sollte die Unterzeichnung des VK durch alle kirchlichen Mitarbeitenden erfolgt sein. Bis wann rechtliche Grundlage für den Verpflichtungscharakter des VK erarbeitet sind, lässt sich heute noch nicht sagen. Es ist aber erklärter Wille der Kantonalkirchen, die nötige Arbeit umgehend an die Hand zu nehmen. Angestrebt wird eine gemeinsame Regelung, die in allen Bistumskantonen gleichermassen gilt. Allen ist klar, dass der VK erst dann wirksam ist, wenn er im Alltag zu einem Kulturwandel hin zu Transparenz und ehrlichem Dialog beiträgt.


Nicole Büchel, Karin Iten, Stefan Müller, Bischof Joseph Maria Bonnemain stellen den Verhaltenskodex vor. | © Christian Merz
7. Mai 2022 | 07:35
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