Irme Stetter-Karp, Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, und Bischof Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz.
Kommentar

Der Synodale Weg ist ein Musterbeispiel für Konfliktbewältigung und gemeinsames Lernen

Eine Minderheit der deutschen Bischöfe hat ein Reform-Papier zur Sexualmoral blockiert. Es flossen Tränen, ein Synodaler sprach von einem Zusammenbruch. Jenseits der inhaltlichen Beschlüsse war die vierte Versammlung ein Musterbeispiel für Konfliktbewältigung, Kooperation und gemeinsames Lernen. Ein Gastkommentar.

Tobias Heisig*

Der Riss im deutschen Episkopat wird im Anschluss an die vierte Synodalversammlung hart kritisiert und mit einer Krise des Bischofsamtes verbunden. Wichtig ist es, jetzt nicht das Kind mit dem Bade auszuschütten und alle Beteiligten über einen Kamm zu scheren. Jenseits der inhaltlichen Beschlüsse war die vierte Synodalversammlung ein Musterbeispiel für Konfliktbewältigung, Kooperation und gemeinsames Lernen.

Der Synodale Weg – ein Assessment-Center?

Die Reden in Frankfurt aus der Ferne im Livestream zu verfolgen, hatte etwas vom einem Assessment-Center – einer Methode zur Einschätzung von Personen für Personalauswahl und Personalentwicklung. Nicht die Hintergründe sind wahrnehmbar (Seitengespräche, Vorgespräche, individuelle Situationen und Befindlichkeiten), sondern die «Performance» in einer existenziellen Situation, wie sie sich an der Oberfläche zeigt.

Tobias Heisig
Tobias Heisig

Wenn wir uns auf wenige Beobachtungsdimensionen fokussieren wollen, könnten das zum Beispiel Konfliktfähigkeit, Kooperationsfähigkeit, Empathie, Abgrenzung und der Umgang mit Druck sein. Zugespitzt: wie gelingt es, klar zu sein (sachlich und emotional) und zugleich verbunden zu bleiben? Die Gesamtbewertung ist angesichts der enormen Herausforderung positiv – bei sehr heterogenem Verhalten der Einzelpersonen.

Synodalität ist höchst anspruchsvoll

Ein erstes Beispiel: Wenn ein Bischof in einer Situation höchster Anspannung in seinem Statement den Prozess als «sehr interessant» bezeichnet, so spricht das nicht gerade für emotionale Kompetenz. Auf meinem Beobachtungsbogen wäre das ein Minuspunkt. Warum: weil er mit dieser Wortwahl keine Resonanz gibt, sondern auf Distanz geht und damit die Verbundenheit schwächt.

Protest gegen Entscheid der Bischöfe beim Synodalen Weg in Frankfurt.
Protest gegen Entscheid der Bischöfe beim Synodalen Weg in Frankfurt.

Zunächst ist zu betonen: Das Einüben von Synodalität ist höchst anspruchsvoll. Inhaltliche Komplexität geht einher mit emotionaler Komplexität: in den Einzelpersonen selbst, die sich überaus stark identifizieren. Dies macht es schwer, die eigenen Impulse zu kontrollieren und die Gesamtsituation gut wahrzunehmen. Aber auch zwischen den Einzelpersonen: die Spannung bei der Ablehnung des Sexualmoral-Grundtextes war extrem. Und das bei einer Masse von Menschen. All dies kostet viel Energie und erschwert das klare Denken. Genau das ist aber insgesamt gut gelungen!

Gute Reaktionen von Georg Bätzing und Irme Stetter-Karp

Was hilft oder erschwert es, so etwas zu erreichen? Hilfreich waren beispielsweise die gleichermaßen authentischen wie professionellen Interventionen von Bischof Georg Bätzing und der Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Irme Stetter-Karp: Sie haben ihrer persönlichen Betroffenheit Ausdruck verliehen (Ich-Botschaften), ohne in Weinerlichkeit zu verfallen. Es wurde die Realität beschrieben und klar Position bezogen. Ganz wichtig: es gab keine abwertenden Worte für die Gegenseite. Aber durchaus Konfrontation. Letztlich wirkte das Ganze stabilisierend und integrativ. Es gab von beiden sehr gelungene Formulierungen.

"Kirche ohne Angst": Junge Katholikinnen und Katholiken setzen sich auf dem Synodalen Weg für LGBTQ-Anliegen ein.
"Kirche ohne Angst": Junge Katholikinnen und Katholiken setzen sich auf dem Synodalen Weg für LGBTQ-Anliegen ein.

In einer ersten Reaktion sprach Bischof Georg Bätzing auf den Crash von einer «krisenhaften Situation» und einer «riesigen Enttäuschung»: «In der Debatte konnte ich nicht erkennen, wie die Mehrheiten sein würden»; «das bedeutet für mich, dass die Übung von Synodalität nicht weit genug gediehen ist»; «nicht alle, die kritisch waren, haben das geäußert». Aber: «Es ist ein Ergebnis der deutschen Bischöfe – 83 Prozent haben zugestimmt». Und: «Als Einzelbischof kann ich einen Text, der nicht durchgekommen ist, in meinem Bistum umsetzen.»

Verweis auf Personalität, Freiheit und Verantwortung

Und Irme Stetter-Karp sagte: «Was mich wirklich beschwert ist, dass in der Aussprache (Generaldebatte, Anträge, früheren Lesungen) Bischöfe nicht ihre Meinung in Worte gefasst haben – es sind mehr Nein-Stimmen als ins Wort gefasst wurden». Sie fragte: «Wozu investieren wir so viel Kraft und Zeit?» Und forderte: «Ich erwarte von den Bischöfen, dass sie zu ihrer Meinung offen stehen.» Sie sei nicht bereit, «Dialogverweigerung weiter mit Arbeit zu beleben».

Von links: ZdK-Generalsekretär Marc Frings, ZdK-Chefin Irme Stetter-Karp und Bischof Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz.
Von links: ZdK-Generalsekretär Marc Frings, ZdK-Chefin Irme Stetter-Karp und Bischof Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz.

Auch die Mehrheit der Synodalen war robust im Sinne grosser Entschiedenheit und sichtbarer Klarheit. So versachlichte der Neutestamentler Thomas Söding mit Verweis auf den Kern des biblischen Menschenbildes (Personalität, Freiheit und Verantwortung) die Debatte. 

Vorwürfe à la «Faulheit» und «Feigheit aus der Hecke» sind schädlich

Und Ulrich Hemel ermutigte prägnant zu Zuversicht: «Der Text hat eine große Mehrheit – der Text ist da, und wird seine Wirkung entfalten.» Durch solche unterstützenden Äusserungen wurden Stellungnahmen, die von Selbstmitleid geprägt waren und die unterschwellig Vorwürfe machten, als lächerlich entlarvt. So sagte ein Weihbischof: «Ich fühle mich nicht in der Lage, mich in Kürze zu äußern, und stelle das Verfahren infrage.» Und ein Bischof meinte: «Ich habe die Arbeit im Vorfeld sehr emotional erlebt und fühle mich nicht in der Lage zu argumentieren.»

"Mein Gott diskriminiert mich nicht": Protest in Frankfurt beim Synodalen Weg.
"Mein Gott diskriminiert mich nicht": Protest in Frankfurt beim Synodalen Weg.

Schädlich waren impulsive Äusserungen wie der Vorwurf von «Faulheit» und «Feigheit aus der Hecke». Abwertungen und Vorwürfe haben in einer förderlichen Auseinandersetzung nichts zu suchen. Glücklicherweise wurde diese Tonalität von den Synodalen nicht fortgeführt. Denn sie spalten, verhärten und verhindern Überzeugungsprozesse. Sie sind nicht mutig, sondern fahrlässig. 

Auf Versöhnung setzen, sich die Hand reichen

Überzeugung gelingt nur, wenn die andere Seite bereit ist, sich selbst zu überzeugen. Diese Bereitschaft scheint nicht bei allen gegeben zu sein. In diesem Fall erzeugen Argumente nur Gegenargumente. Vermutlich war es ein Versäumnis, diese Offenheit bei allen Beteiligten im Vorfeld einzufordern. Wenn sich einzelne – noch dazu aus der kritischen Minderheit – im Vorfeld der Versammlung bei den Foren, Hearings und Sitzungen nicht beteiligt haben, hätte das ein Warnsignal sein müssen.

Bischof Georg Bätzing und Irme Stetter-Karp in Frankfurt.
Bischof Georg Bätzing und Irme Stetter-Karp in Frankfurt.

Sich Ausklinken, Polemik, selbstreferentielle Beschwerden oder auch Verzögerungstaktiken müssen nicht nur benannt, sondern auch konfrontativ gestoppt werden. Gleichzeitig ist immer wieder auf Versöhnung zu setzen, die Hand zu reichen und Zuversicht für das weitere Vorgehen zu verstärken.

Egoismus und Altruismus fallen zusammen: mein eigenes Problem lösen

Die Versammlung stellt über weite Strecken ein Musterbeispiel integrer und erfolgsorientierter Streitkultur dar. Wir können daraus lernen: vom privaten Kontext über das Ehrenamt, Entscheidungsprozesse in Unternehmen bis hin zur Politik. Es lohnt sich, die entscheidenden Passagen (erster Tag Endphase und zweiter Tag Startphase) auf YouTube genau anzuschauen.

Der aus St. Gallen stammende Kirchenhistoriker Franz-Xaver Bischof spricht beim Synodalen Weg in Frankfurt.
Der aus St. Gallen stammende Kirchenhistoriker Franz-Xaver Bischof spricht beim Synodalen Weg in Frankfurt.

Grundlegend war für den Erfolg auch, dass die allermeisten Teilnehmenden ein gemeinsames Problem sehen. Dies – und ich sage hier bewusst nicht Ziel oder Vision – ist die Voraussetzung gelingender Kooperation. Denn wenn wir gemeinsame Probleme haben, fallen Egoismus und Altruismus zusammen – die Lösung des gemeinsamen Problems ist zugleich die Lösung meines eigenen. Wir müssen realistisch sein: Veränderung gelingt nur unter Druck.

Vom Synodalen Weg euphorisiert

Gesamtkirchlich betrachtet müssen wir allerdings auch die Ambivalenz des Synodalen Weges im Blick haben. Die «nachholende Entwicklung» (Rainer Bucher), die der synodale Weg leistet, bedeutet die Beschäftigung mit Fragen, die gesamtgesellschaftlich und an der Kirchenbasis oftmals keine sind. Am Sonntagabend nach der vierten Synodalversammlung war ich auf einer Party, auf der auch viele hauptberufliche Theologinnen und Theologen oder kirchliche Angestellte anwesend waren. 

Frauen demonstrieren für "Predigerinnen" und "Frauenweihe" am Infostand der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) in Frankfurt.
Frauen demonstrieren für "Predigerinnen" und "Frauenweihe" am Infostand der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) in Frankfurt.

Ich selbst war noch ganz euphorisiert von den vielen Stunden Video. Einhellige Resonanz: «Tobias – lass stecken. Wir regen uns nicht mehr auf. Der Synodale Weg hat uns noch nie interessiert. Wir machen vor Ort eh, was wir wollen.» 

Wie die Bahn muss die Kirche am Grundlegenden arbeiten

Es ist ein wenig, wie bei der Bahn: Wenn sie unpünktlich ist, regen sich erst alle auf, irgendwann kommt die Resignation. Wenn sie dann mal pünktlich ist, ist das eine Selbstverständlichkeit. Kundenbindung kann sie dadurch alleine nicht erreichen. Dennoch muss sie an dieser Basiseigenschaft arbeiten.

* Tobias Heisig (54) ist promovierter Theologe und Psychologe. Er ist Geschäftsführer der CIRCLE2 GmbH in Tübingen und coacht Führungskräfte. Kürzlich erschien von ihm das Buch «33 Mutausbrüche: für mehr Glaube im Alltag» im Vier-Türme-Verlag.


Irme Stetter-Karp, Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, und Bischof Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. | © KNA
15. September 2022 | 04:57
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