Lea Fleischmann
International

«Der Sonntag hat sich vom Feiertag zum Freizeittag entwickelt»

Jerusalem, 12.1.19 (kath.ch) Bekannt wurde die deutschstämmige israelische Jüdin Lea Fleischmann, als sie Deutschland den Rücken kehrte und die Gründe in ihrem Erstlingswerk «Dies ist nicht mein Land» veröffentlichte. Seither hat sich die Autorin und Lehrerin dem Versuch verschrieben, Israel und das Judentum Nichtjuden näherzubringen. Am Dienstagabend wurde die 72-Jährige für ihr Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz Deutschlands ausgezeichnet.

Andrea Krogmann

Frau Fleischmann, vor 40 Jahren haben Sie Deutschland verlassen. Wie nehmen Sie das Land heute wahr?

Lea Fleischmann: Ich erlebe keinen Alltag mehr in Deutschland, etwa Kontakte mit Behörden oder Nachbarn. Was mir aber im Vergleich zu früher auffällt: Die kulturelle Vielfalt ist grösser. In vielen Grossstädten gibt es heute mehr Muslime. Und: Alles ist luxuriöser geworden. In jeder Stadt gibt es Einkaufszonen. Als ich auswanderte, gab es keine verkaufsoffenen Sonntage. Heute hat die Wirtschaft immer mehr Bereiche besetzt. Der Sonntag hat sich vom Feiertag zum Freizeittag entwickelt.

Was wollen Sie heute aufgrund ihres Lebens in Israel den Europäern vermitteln wollen?

Fleischmann: In Israel bin ich auf die Thora gestossen, und es hat sich mir eine reiche und faszinierende Welt eröffnet. Mit meiner Buchreihe «Das Judentum für Nichtjuden verständlich gemacht» gebe ich Nichtjuden einen Einblick in das Judentum und damit auf die christliche Wurzel. Denn wie kann man Christ sein, ohne die jüdischen Wurzeln zu kennen?

Sie richten sich nicht nur in Büchern an interessierte Leser, sondern engagieren sich auch in jüdisch-christlichen Schulprojekten.

Fleischmann: Bei meinen Lesereisen wurde ich immer wieder von Lehrern um Schulbesuche angefragt. Daraus habe ich gezielt Projekte für Schüler sowie für die Lehrerfortbildung konzipiert. Anknüpfungspunkt ist dabei die Thematik Sabbat – Sonntag – Ruhetag. Unterstützt wird unsere Arbeit durch den gemeinnützigen Verein zur Förderung des interreligiösen Dialogs an Bildungseinrichtungen.

 

 

Das Erleben des Sabbat in Jerusalem hat Sie nach ihrer Auswanderung sehr geprägt.

Fleischmann: Es hat mich bei meinen Besuchen im strengreligiösen Stadtviertel Mea Schearim fasziniert, wie in einer Metropole freiwillig Menschen am Sabbat aufs Autofahren verzichten. Einen Tag in der Woche gibt es ein Aufatmen, Kinderlachen statt Autolärm. Da begann ich, über die Bedeutung der Sabbatruhe nachzudenken.

Die Sie wie beschreiben würden?

Fleischmann: Es ist der Tag, an dem die Schöpfung nicht angetastet werden darf. Ihn einzuhalten, ist eines der Zehn Gebote. Darin liegt ein wichtiger ökologischer Grundgedanke: Die Natur hat ihr eigenes Recht. Soweit es uns Menschen möglich ist, müssen wir uns zurückziehen und sie in Ruhe lassen. Das hat mich so fasziniert, dass ich darüber ein Buch mit dem Titel «Schabbat» geschrieben habe. Es stiess auf grosses Interesse in Deutschland. Menschen suchen also nach Inspiration, wie sie vom Sabbat etwas für ihren eigenen Ruhetag lernen können. (kna)

Lea Fleischmann | © kna / Andrea Krogmann
12. Januar 2019 | 13:10
Lesezeit: ca. 2 Min.
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