Gottesdienst der serbisch-orthodoxen Gemeinde der Zentralschweiz.
Schweiz

Der orthodoxe Gottesdienst ist für viele wie ein Anker in der Fremde

Buchrain LU, 12.3.17 (kath.ch) Die Gemeinde ist riesig, die Kirchen sind voll, die Gottesdienste lang, aber locker: Die serbisch-orthodoxe Gemeinde der Zentralschweiz stellt Kirchenklischees auf den Kopf. Nun möchte sie in Perlen Wurzeln fassen. Wer sind die fremden Mitchristen?

Remo Wiegand

Es riecht nach Wachs, Weihrauch und Feuchtigkeit in der alten Dorfkirche von Buchrain. Es klingt nach Sehnsucht und ferner Heimat. Die Worte «Gospodi pomii-iii-luujj» hallen permanent durch den Raum, «Herr, erbarme Dich». Die Gläubigen stehen fast die ganze, rund zweistündige Messe hindurch, die Männer rechts, links die Frauen, einige von ihnen in Kopftücher gehüllt. Der Pfarrer wandelt würdevoll zwischen dem abgegrenzten Chorraum und der Bühne hin und her. Der Sakristan brennt dauernd und emsig Kerzen ab, die die Gläubigen nach vorne bringen.

Populärer alter Ritus

Die alte Agathakirche von Buchrain platzt an diesem Sonntag mit rund 200 Besuchern aus allen Nähten. Trotz aller Strenge und Länge der Liturgie charakterisiert die orthodoxe Feier eine eigene Leichtigkeit. Man zwinkert und lächelt sich zu. Noch während der Kommunion finden Pfarrer Dragan Stojanovic, sein Sakristan und eine Gläubige Zeit zum Schäkern. Im Anschluss an den Gottesdienst nehmen Kinder die Bühne in Beschlag und rezitieren Gedichte zu Ehren des Mönchs und Schriftstellers Sava, einem Nationalheiligen Serbiens.

Die serbisch-orthodoxe Gemeinde ist für 22’000 Gläubige in der ganzen Zentralschweiz zuständig. Sie besteht aus Einwanderern, die seit den 1960-er Jahren in die Schweiz gekommen sind. Auch deren Kinder und Kindeskinder bleiben der Gemeinde oft treu. «Die Jungen spüren: Neues gibt es überall», sagt Pfarrer Dragan Stojanovic. «Das Althergebrachte, das wir zelebrieren, ist für sie wie ein Anker, gerade hier in der Fremde.»

Ersehnte eigene Kirche

Die stattliche Exil-Gemeinde, die nicht staatlich anerkannt ist und alleine von Spenden lebt, feierte ihre Gottesdienste bislang in Provisorien. Auf der Suche nach einem eigenen Kirchenraum ist sie in Perlen fündig geworden. Die kaum mehr genutzte Kirche St. Joseph mitsamt umliegendem Pfarreizentrum soll erstanden werden; die Kirchgemeinde billigte den Verkauf vor Jahresfrist. Doch der Umzug verzögert sich. Noch ist der vertraglich zugesicherte Parkplatzbedarf der serbisch-orthodoxen Gemeinde nicht erfüllt, Verhandlungen laufen.

Ich würde lieber über Gemeinsamkeiten als Unterschiede reden.

Wer aber sind die zukünftigen neuen Nachbarn? Wie unterscheidet sich der orthodoxe vom katholischen Glauben? Pfarrer Stojanovic lacht. «Ich würde eigentlich lieber über Gemeinsamkeiten reden.» Der Pfarrer, der seit zwölf Jahren in der Schweiz wirkt, spricht Serbisch, daneben übersetzt Kirchenrat Goran Zekic in akzentfreies Schweizerdeutsch. Wie die katholische Kirche kenne man sieben Sakramente, auch die Gottesdienste seien sehr ähnlich aufgebaut, führt Stojanovic aus.

Verheiratete Priester

Dann aber öffnet der Pfarrer doch bereitwillig die Schatulle der Unterschiede. Sie beginnen bei ihm selbst: Dragan Stojanovic ist verheiratet, er lebt mit seiner Familie in Ebikon. Ein verheirateter Mann kann in der orthodoxen Kirche Priester werden, ist er allerdings bei der Weihe unverheiratet, muss er es bleiben. Das Resultat: fast alle serbisch-orthodoxen Priester laufen vor ihrer Weihe noch in den Hafen der Ehe ein.

Es gibt weitere Unterschiede: Hier ist der gregorianische, dort der julianische Kalender massgebend. Hier gibt es einen Papst, dort kennt man Patriarchen (und anerkennt den Papst als Patriarchen von Rom). Während das Oberhaupt der Katholiken im Alleingang Glaubenswahrheiten verkünden kann, ist dafür bei den Orthodoxen eine Synode zuständig, die aus den Führern aller autonomen orthodoxen Kirchen besteht, von Russland, über Serbien und Griechenland bis nach Ägypten.

Überhöhung der Nation?

Die Aufsplitterung der orthodoxen Glaubensfamilie in nationale, so genannte autokephale Kirchen, gibt am meisten zu reden. Welche Rolle spielte die serbisch-orthodoxe Kirche zum Beispiel im Jugoslawienkrieg? Führte der Krieg nicht zum Missbrauch der Religion als Propagandainstrument? «Unser Patriarch rief damals dazu auf, dass wir auch im Konflikt Menschen bleiben sollen», betont Stojanovic. Er verwahrt sich gegen den Vorwurf, die orthodoxe Kirche überhöhe die eigene Nation. Die Orthodoxie sei gemeinsam eine Kirche, wie die katholische auch. Eine zerstrittene mitunter: Die jüngste Synode in Kreta vom vergangenen Juni war nicht beschlussfähig, weil sich der russische und der griechische Patriarch befehden und blockieren.

Pfarrer Stojanovic spricht engagiert, trotz Sprachbarriere ist er zugänglich und nahbar. Sein Deutsch ist besser als er zugibt. Verständigen könnte er sich also – wie oft aber tauscht sich Dragan Stojanovic tatsächlich mit einheimischen Mitchristen aus? Wie stark pflegt die serbisch-orthodoxen Gemeinde die Ökumene?

Oberste Priorität hat die Ökumene nicht, kann sie nicht haben.

Man wirke im Pastoralraum Rontal nach Möglichkeit mit, sagt der Pfarrer und zählt katholische Amtskollegen auf, mit denen er schon im Kontakt stand (die aber ihrerseits zum jetzigen Zeitpunkt keine Stellungnahme abgeben wollten). Zugleich wird deutlich: Oberste Priorität hat die Ökumene nicht, kann sie nicht haben. «Unsere Ressourcen sind beschränkt», verteidigt Kirchenrat Zekic seinen Pfarrer, «er ist permanent bei den Gläubigen, in Altersheimen, Spitälern oder Gefängnissen. Da bleibt kaum Zeit». Freiwillige unterstützten den Pfarrer, wo sie könnten, aber auch sie stossen an zeitliche Grenzen – und räumliche.

Gleichzeitig Ostern feiern

Dieses Jahr wirbt auch Ostern für die Ost-West-Ökumene: Das Datum des Osterfests ist in den verschiedenen Konfessionen identisch, aufgrund der unterschiedlichen Kalender aber eine Seltenheit. Wäre das nicht ein Steilpass für eine ökumenische Offensive, einen gemeinsamen Oster-Gottesdienst gar? Dragan Stojanovic winkt ab. «Die Messe ist zu verschieden, das ist nicht möglich.»

Gemeinsame Abendgebete mit anderen christlichen Konfessionen könnte sich der Pfarrer hingegen künftig gut vorstellen. Am liebsten dann in der eigenen Kirche in Perlen.

Gottesdienst der serbisch-orthodoxen Gemeinde der Zentralschweiz. | © Remo Wiegand
12. März 2017 | 07:02
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