Annalena Müller
Kommentar

Der Exodus der Frauen ist eine Katastrophe für die Kirche

Karin Iten, Monika Schmid, Franziska Driessen-Reding: Die katholische Kirche erlebt einen Exodus der kritischen Frauen. Es ist die Vorankündigung einer Kernschmelze, an der die Kirche zugrunde gehen kann. Es sei denn, die Kirche handelt, meint Annalena Müller.

Annalena Müller

Karin Iten hat hingeschmissen. Monika Schmid ist pensioniert. Franziska Driessen-Redings Amtszeit geht bald zu Ende. Frauen, die den Mund aufmachen und die für und mit ihrer Kirche ringen, drohen zu verstummen.

Das mag Traditionalisten und Fundamentalisten freuen. Aber für die Kirche ist der Exodus der kritischen Frauen eine Katastrophe.

Kirche als Atomreaktor

Wäre die Schweizer Kirche ein Atomreaktor, dann wären Frauen wie Iten, Schmid und Driessen-Reding die Kühlelemente. Die Kühlelemente stehen – naturgemäss – in einem physikalischen Spannungsverhältnis zu den Brennstäben.

Fehlt die Kühlung, kommt der GAU - die Kernschmelze
Fehlt die Kühlung, kommt der GAU - die Kernschmelze

Dieses Spannungsverhältnis sichert die Balance. Ohne Kühlung würden die Brennstäbe überhitzen. Eine Kernschmelze wäre die Folge. Und wer ehrlich ist, der weiss: Die katholische Kirche steht am Rande des Super-GAUs.

Sauber-toxische Energiequelle

Bleiben wir bei dem Bild – denn es passt äusserst gut. Im Idealfall sind Atomkraftwerke saubere Energiequellen, die ihre Umwelt versorgen, ohne sie zu belasten.

Im schlimmsten Fall sind sie das Toxischste, was die Menschheit kreiert hat. Kommt es zur Kernschmelze, zerstören Atomreaktoren alles in ihrer Umgebung und verunmöglichen auf Dauer fruchtbares Leben.

Sagt, was ist und diente damit der Kirche mehr als manch ein Bischof oder Kardinal: Karin Iten.
Sagt, was ist und diente damit der Kirche mehr als manch ein Bischof oder Kardinal: Karin Iten.

Gleiches gilt für die Kirche. Sie ist für viele Menschen spirituelle und emotionale Heimat. Ein Ort der Liebe und Geborgenheit. Aber ihre toxische Seite ist zerstörerisch. Nicht nur – aber besonders für Frauen.

Die Kirche ist frauenfeindlich

Die Struktur der Kirche ist frauenfeindlich. Darüber kann kein päpstliches Gesäusel von einer «marianischen Kirche» hinwegtäuschen.

Männer können in der Nachfolge Jesu und der Apostel Priester werden. Und was können Frauen in der Nachfolge Mariens werden? Genau: nichts.

Keine Frage des Zeitgeistes

Selbsternannte Traditionalisten rufen gerne «Zeitgeist», wenn Katholikinnen Gleichberechtigung fordern. Das ist Unsinn. Und es ist selbstzerstörerisch. Denn ohne Frauen gibt es keine Kirche.

Brennstab und Kühlelement? Bischof Felix Gmür und Monika Schmid in Freiburg.
Brennstab und Kühlelement? Bischof Felix Gmür und Monika Schmid in Freiburg.

Und aktuell sind Frauen dabei, die Kirche zu verlassen. Ob aus Altersgründen oder weil sie genug haben, ist zweitrangig. Wichtig ist, dass kaum junge Frauen nachkommen. Was sollen sie auch in einer Kirche, die von ihnen verlangt, still zu sein und sich unterdrücken zu lassen?

Zu hoffen, dass der Ruf nach Chancengleichheit nur eine Modeerscheinung sei, die man «aussitzen könne», ist, wie über einen schmelzenden Kernreaktor einen Blei-Sarkophag zu legen. Und zu hoffen, dass die darunter stattfindende Kernschmelze schon irgendwie aufhören wird.

Menschengemacht und daher veränderbar

Auch das werden Fundamentalisten nicht gerne hören, aber Karin Iten hat recht: Die Kirchenstruktur ist ein menschliches Konstrukt – und deshalb veränderbar.

Noch eine kritische Frau, die selbst beim Papst klare Worte findet: Franziska Driessen-Reding.
Noch eine kritische Frau, die selbst beim Papst klare Worte findet: Franziska Driessen-Reding.

Verändert hat sich die Kirche in ihrer Geschichte immer. Würden sich Gläubige aus den Jahren 500, 1200, 1700 und 2023 die Kirche aus den jeweils anderen Epochen anschauen – sie würden sie kaum erkennen.

Der Grund dafür: Kirche unterlag schon immer Wandel. Beständiger Wandel ist der Grund, warum die Kirche seit 2000 Jahren existiert. Und wenn die Kirche weiterleben will, dann muss sie sich wieder verändern.

Alles hängt mit allem zusammen

In der Frauenfrage ist grundlegender Wandel besonders dringend. Chancengleichheit ist keine vergängliche Modeerscheinung. Den Exodus der kritischen Frauen geschehen zu lassen – oder sich gar darüber zu freuen – bedeutet letztlich, am Grab der Kirche mitzuschaufeln.

Und was ganz besonders Führungskräfte bedenken müssen: Wenn die kritischen Frauen weg sind, wird es zwar ruhiger. Aber dafür kann man sich auch nicht mehr hinter ihnen verstecken. Zum Beispiel am 12. September dieses Jahres, wenn die ersten Ergebnisse der nationalen Missbrauchsstudie veröffentlicht werden.

Ohne die Schmids, Itens und Driessen-Redings werden die Kleriker und Traditionalisten die Suppe allein auslöffeln müssen. Oder aber Zeugen der kirchlichen Kernschmelze werden. Eine dritte Option gibt es nicht.


Annalena Müller | © Mattia Vacca
4. Juni 2023 | 17:09
Lesezeit: ca. 3 Min.
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