Das Kreuz auf der Uniform: Zeichen der Armeeseelsorge
Religion anders

Geht's dem Kreuz der Armeeseelsorge an den Kragen?

Die Uniform der Schweizer Armeeseelsorge verändert sich. Am Kragen könnte ein religionsübergreifendes Symbol landen. Das Kreuz soll aber nicht ganz verschwinden – und hätte als Funktionsabzeichen auf der Brust Platz.

Raphael Rauch

Laut «Weltwoche» geht es dem Kreuz der Armeeseelsorge an den Kragen. Es soll ein religionsübergreifendes Symbol eingeführt werden. Wie finden Sie das?

Martin Bürgin*: Ich halte es für einen sinnvollen Entscheid. Wenn die Dienstleistenden der Armeeseelsorge unterschiedliche Religionen und Weltanschauungen repräsentieren, ist es folgerichtig, dass sie nicht unter einem christlichen Symbol vereint werden. Symbolik und Repräsentation gehören zusammen.

Martin Bürgin ist Historiker und Offizier der Schweizer Armee.
Martin Bürgin ist Historiker und Offizier der Schweizer Armee.

Laut «Weltwoche» soll es am Kragen ein neues Abzeichen geben. Das Kreuz kann womöglich aber als «Funktionsabzeichen» auf der Brust bestehen bleiben. Womöglich sollen auch neue Symbole wie der Halbmond für den Islam oder Gesetzestafeln für das Judentum eingeführt werden. Was ist der Unterschied von Abzeichen, die an Brust oder Kragen getragen werden?

Bürgin: Am Kragen wird das «Truppengattungs- und Dienstzweigabzeichen» getragen. Es bringt zum Ausdruck, zu welcher Truppengattung ein Armeeangehöriger gehört, beispielsweise Artillerie oder Infanterie. Oder zu welchem Dienstzweig, beispielsweise Militärischer Nachrichtendienst oder eben die Armeeseelsorge. Die Armeeseelsorge ist ein eigenständiger Dienstzweig und hat deshalb ein eigenes Abzeichen. Bisher ist das ein Kreuz. Hier ginge es neu darum, ein nicht konfessionsgebundenes Symbol einzuführen. Im Unterschied dazu steht das Funktionsabzeichen, das auf der Brust getragen wird, für die individuelle Funktion von Armeeangehörigen. So können Sie beispielsweise unterscheiden, ob der Artilleriesoldat, der vor Ihnen steht, ein Kanonier oder ein Wettersoldat ist. Ersterer hat zwei gekreuzte Kanonen auf der Brust, letzterer eine Schneeflocke. Beide gehören aber zur Artillerie, was Sie an der stilisierten Artilleriegranate am Kragen erkennen.

Das Kreuz am Kragen weist Franziska Heigl als Armeeseelsorgerin aus.
Das Kreuz am Kragen weist Franziska Heigl als Armeeseelsorgerin aus.

Kreuz, Halbmond und Gesetzestafeln kämen also auf die Brust – wie die Schneeflocken oder die Kanonen?

Bürgin: Genau. Anhand des jeweiligen Symbols würde man dann erkennen, ob es sich um einen christlichen, jüdischen oder muslimischen Armeeseelsorgenden handelt. Die Streitkräfte der Vereinigten Staaten nutzen darüber hinaus auch das Dharmachakra für die buddhistische Armeeseelsorge und planen die Einführung eines Om-Zeichens für Hindus. Eine multireligiöse Symbolik wäre hier also denkbar. Andererseits stellt sich die Frage, ob die Armee für jede Religionszugehörigkeit neue Abzeichen einführen möchte – oder ob hier ein allgemeines, neutral gehaltenes Zeichen nicht pragmatischer wäre. Das müssen Sie aber die Armee fragen.

Religiöse Symbole in den Streitkräften in der Schweiz, Israel und den USA.
Religiöse Symbole in den Streitkräften in der Schweiz, Israel und den USA.

Wäre statt der Gesetzestafeln für das Judentum auch der Davidstern denkbar? Oder erinnert der zu stark an Israel, also an einen anderen Staat?

Bürgin: Innerhalb der militärischen Symbolsprache haben sich für die jüdische Armeeseelsorge unterschiedliche Ikonografien durchgesetzt. Das Militärrabbinat der israelischen Streitkräfte nutzt eine Kombination von Gesetzestafeln, Schwert und Lorbeerkranz. In den USA ist eine Kombination von Davidstern und Gesetzestafeln im Gebrauch. Im religiösen Bereich wird – neben Gesetzestafeln und dem Schild David – häufig auch auf die Menora als Symbol für das Judentum zurückgegriffen. Es sind also verschiedene Symbole denkbar. Religionen sind historisch gewachsen. Das bringt komplexe Bildtraditionen mit sich. 

Verschiedene Kreuzformen.
Verschiedene Kreuzformen.

Das Kreuz für christliche Seelsorger dürfte unbestritten sein.

Bürgin: Durchaus. Aber die Art und Weise, wie die Form des Kreuzes gestaltet wird, ist auch nicht per se gegeben. Denken Sie etwas an das Dreibalkenkreuz der russisch-orthodoxen Kirche, das Armenische Kreuz oder das Hugenottenkreuz, um nur drei Formen zu nennen. Christliche Kirchen nutzen unterschiedliche Kreuzsymbole. Aus Gründen der Tradition – und der Abgrenzung. Die Schweizer Armeeseelsorge verwendet bislang das lateinische Kreuz.

Kein Kreuz am Kragen: der muslimische Armeeseelsorger Muris Begovic (Mitte) und sein jüdischer Kollege Jonathan Schoppig (rechts).
Kein Kreuz am Kragen: der muslimische Armeeseelsorger Muris Begovic (Mitte) und sein jüdischer Kollege Jonathan Schoppig (rechts).

Wie sieht es denn mit religionsübergreifenden Symbolen aus? Was wäre da denkbar?

Bürgin: Die Streitkräfte der Vereinigten Staaten haben wahrscheinlich die grösste Bandbreite an Symbolen. Ursprünglich waren Militärkaplane mit einem Hirtenstab gekennzeichnet. Das entspringt zwar auch der christlichen Ikonografie, ist aber im Unterschied zu einem Kreuz religiös deutungsoffener. Wobei zeitgenössische Seelsorge ja den Dialog auf Augenhöhe betont – da passt die Metapher des Hirten und seinen Schafen vielleicht nicht mehr.

Die Armeeseelsorge in den USA tritt mit überkonfessionellen Symbolen auf.
Die Armeeseelsorge in den USA tritt mit überkonfessionellen Symbolen auf.

Welche Symbole sind in den USA üblich?

Bürgin: Neben den bereits erwähnten gibt es für sogenannte «Religious Program Specialists» je nach Teilstreitkraft unterschiedliche Abzeichen: zwei Hände, die einen Kristall halten. Eine stilisierte Erdhalbkugel. Zwei Hände, von denen Lichtstrahlen ausgehen. Die «Weltwoche» nennt als neue Symbole für die Schweiz die Möglichkeit einer Hand, die eine oder mehrere Personen trägt. Oder zwei sich schüttelnde Hände. Die Bandbreite ist also gross. Man könnte aber auch über ein abstrakteres Symbol nachdenken.

Symbole der Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung.
Symbole der Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung.

An was denken Sie?

Bürgin: Hier lohnt sich vielleicht ein Blick über den militärischen Gebrauch hinaus. Die Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung hat den Roten Kristall als zusätzliches internationales Schutzzeichen eingeführt, das nicht religiös konnotiert ist – anders als Kreuz und Halbmond. Dahinter lagen jahrelange Debatten, bei denen in erster Linie um die internationale Anerkennung des Roten Schild Davids diskutiert wurde. Das wird von der israelischen Schutzorganisation Maged David Adom benutzt.

Flagge von Israel.
Flagge von Israel.

Was gab’s da zu diskutieren? Israel hat doch ein Recht darauf, ein jüdisches Pendant zum Roten Kreuz zu schaffen!

Bürgin: Absolut. Die nationale Schutzorganisation in Israel hat das ja bereits gemacht. In der Debatte ging es um die internationale Anerkennung desselben Zeichens. Vertreter von Schutzorganisationen der arabischen Länder haben dagegen opponiert. Dabei ging es in erster Linie um geopolitische Gründe. Der Protest richtete sich gegen Israel als Staat. Die Debatte ist aber vielfältiger. 

Diese Entwürfe wurden nie verabschiedet.
Diese Entwürfe wurden nie verabschiedet.

Inwiefern?

Bürgin: Auch andere nationale Schutzorganisationen haben die Anerkennung ihrer Kennzeichen gefordert. Darunter auch solche mit religiöser Symbolik. Etwa das Rote Wagenrad für Indien oder die Rote Swastika für Sri Lanka. Mit dem Roten Kristall wurde dagegen auf ein neutrales Symbol ohne religiöse Konnotation gesetzt. Wobei allerdings Rotes Kreuz und Roter Halbmond beibehalten wurden.

Stolz, im Notfall für die Schweiz im Einsatz zu sein: Armeeseelsorgerin Franziska Heigl.
Stolz, im Notfall für die Schweiz im Einsatz zu sein: Armeeseelsorgerin Franziska Heigl.

Ein Viereck also für die Schweizer Armeeseelsorge?

Bürgin: Irgendeine abstrakte Form wäre denkbar! Wichtig ist einzig, dass sich alle Seelsorgerinnen und Seelsorger mit dem Symbol auf ihrer Uniform identifizieren können.

Muris Begovic ist muslimischer Armeeseelsorger.
Muris Begovic ist muslimischer Armeeseelsorger.

Als die Idee muslimischer Seelsorgenden in der Schweizer Armee öffentlich wurde, kursierten Befürchtungen, die Armee werde zum Ziel islamischer Missionstätigkeit. Teilen Sie diese Befürchtung?

Bürgin: Nein. Überhaupt nicht. Wobei ich allerdings die Ansicht teile, dass die Armeeseelsorge nicht missionieren soll. Das gilt aber für Angehörige aller Konfessionen und Religionen. Und wie gesagt: Ich vertraue darauf, dass die Armeeseelsorge hierbei professionell agiert. 

Bundesrätin Viola Amherd ist VBS-Chefin.
Bundesrätin Viola Amherd ist VBS-Chefin.

Haben Sie in Ihrer Militärtätigkeit nie erlebt, dass jemand versuchte zu missionieren?

Bürgin: Doch. Dabei handelte es sich allerdings nicht um einen Armeeseelsorger, sondern um den Kommandanten eines Technischen Lehrgangs, also einer Weiterbildung für Offiziere. 

Bruder Klaus in Einsiedeln.
Bruder Klaus in Einsiedeln.

Was hat er gemacht?

Bürgin: Er hielt eine Rede, zeigte auf die Fahne und meinte: «Ich bin stolz, unter dieser Fahne zu dienen. Sie zeigt das Kreuz, an dem sich unser Herr Jesus Christus opferte. Weiss auf rotem Grund steht für das Blut, das er für uns vergossen hat. Als Christen und Soldaten können wir stolz sein auf diese Fahne.» Ich erinnere mich gut an diese Szene. Zu meiner Linken sass ein muslimischer Offizier, zu meiner Rechten ein Atheist. Das «wir», dass er vor Augen hatte, setzte sich also etwas anders zusammen, als er sich das vorstellte. Die Aussage ist allerdings nicht nur in der konkreten Situation zu kritisieren, sondern auch im Allgemeinen. 

Schweizer Armee bei der Näfelser Fahrt.
Schweizer Armee bei der Näfelser Fahrt.

Inwiefern?

Bürgin: Die Schweizer Armee ist keine christliche Miliz. Ihr Auftrag besteht darin, die territoriale Integrität und die Bevölkerung dieses Landes zu schützen. Dazu gehören nicht nur Christen, sondern auch Atheistinnen, Muslime, Agnostikerinnen, Juden, Buddhistinnen, Hindus, Sikhs und viele andere mehr. Ich halte es für sinnvoll, wenn sich diese Vielfalt auch in der Armeeseelsorge zeigt.

Näfelser Fahrt: Der Chef der Armee, Thomas Süssli, sitzt beim Pontifikalamt in der ersten Reihe.
Näfelser Fahrt: Der Chef der Armee, Thomas Süssli, sitzt beim Pontifikalamt in der ersten Reihe.

Wie haben Sie reagiert? Haben Sie dem Fanatiker widersprochen?

Bürgin: Ich habe mich formell angemeldet, um das Wort gebeten und seine Rede, die zusätzliche, fragwürdige Aussagen enthielt, ausführlich problematisiert. Ich halte das aber für eine Selbstverständlichkeit. Die Schweizer Armee, wie ich sie sehe, steht nicht für Kadavergehorsam. Auch in einer hierarchischen Organisation ist Widerspruch manchmal nötig. Letztlich muss man dem Kurskommandanten aber auch zugutehalten, wie er mit der Kritik umgegangen ist. Er bedankte sich dafür und meinte, er werde darüber nachdenken. Eine souveräne Antwort.

Martin Bürgin (38) ist Offizier der Schweizer Armee und Historiker. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Christkatholische Theologie der Universität Bern und als Dozent am Religionswissenschaftlichen Seminar der Universität Zürich. Er kuratiert auch die Skandalfilmreihe «royalscandalcinema» in Baden.

Was sagt die Schweizer Armee?

Armeesprecher Daniel Reist sagt zu kath.ch: «Gerne bestätige ich Ihnen, dass zur Zeit Überlegungen zum Dienstzweigabzeichen der Armeeseelsorge angestellt werden. Diese sind aber noch nicht spruchreif. Wegen der Symbolik eines möglichen neuen Dienstzweigabzeichens wird das Thema in der Armeeführung behandelt werden. Es ist deshalb nicht möglich, Ihnen Entwürfe zuzustellen. Wir pflegen nicht mögliche Entscheide der Armeeführung vorgängig in der Öffentlichkeit zu erörtern.»


Das Kreuz auf der Uniform: Zeichen der Armeeseelsorge | © Regula Pfeifer
26. November 2022 | 07:01
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