Karin Klemm engagiert sich in der "Allianz Gleichwürdig Katholisch".
Schweiz

Dem Klerikalismus die Wurzel ziehen

Erwachsene Menschen sollten sich nicht mehr vorschreiben lassen, von wem sie begleitet werden, wer sie salbt und zur Mahlfeier einlädt. Gemeinsam mit der Kirchenleitung sollten die Pfarreien nach Berufung fragen, über Bewährung nachdenken und gemeinsam ordinieren. Ein Gastkommentar.

Karin Klemm*

In der Schweiz gibt es an vielen Orten Frauen in der Gemeindeleitung, in der Spitalseelsorge, Gefängnisseelsorge, in der Diakonie und anderen Orten. Menschen erleben Frauen ganz selbstverständlich in Seelsorge und Liturgie. Aber das, was dem Kirchenvolk lange Zeit als Höhepunkt des religiösen gemeinschaftlichen Lebens in Kopf und Herz gepflanzt wurde, ist die Eucharistiefeier.

Diese mit den ihnen vertrauten Seelsorger:innen zu feiern ist verboten. Dafür braucht es Männer, die zum Priester geweiht wurden. In manchen Pfarreien kommt vier Mal pro Jahr ein Priester, das heisst, dieser Mann teilt den Gemeindealltag nicht, wird zum Helikopterpriester.

Dorothee Becker leitet eine Kommunionfeier in der Kirche St. Franziskus, Riehen.
Dorothee Becker leitet eine Kommunionfeier in der Kirche St. Franziskus, Riehen.

Gemeindeleiterin als Pfarrerin empfunden

Manche Gemeinden, die eine Gemeindeleiterin haben, empfinden diese als ihre Pfarrerin, möchten auch keinen fremden Priester, wenn die Mutter stirbt, wenn das Kind getauft werden soll. Zugleich sind viele Menschen zerrissen, fürchten, es wäre ungehorsam, wenn die Tochter ohne Priester heiratet. Die Tochter möchte die Feier aber von der vertrauten Gemeindeleiterin gestaltet wissen.

Auch viele Priester sind zerrissen. Manche möchten ihre Loyalität mit den nichtgeweihten Kolleg:innen leben, möchten in geteilter Verantwortung Gottesdienst feiern. Und fürchten dann den Vorwurf der Illoyalität vom Bischof oder den sogenannten Mitbrüdern.

«Uns Seelsorger:innen brennt das Herz.»

Uns Seelsorger:innen brennt das Herz, wenn Menschen nach Begleitung fragen, sei es in der Trauer, in der Trennung, im Glück, an der Schwelle zum Tod. Uns brennt das Herz, weil wir wissen, dass das Feiern unserer Sakramente die Erfahrung vom heiler werden stärkt, gerade auch in der Versehrtheit.

Das Feiern unserer Sakramente stärkt, wenn das Glück in den grossen weiten Horizont der Geschichte der Ewigen mit uns Menschen gestellt wird. Es wird grösser und bedeutsamer, für die Glücklichen und für alle, mit denen gefeiert wird. Ja, darum wissen wir. Und erleben uns gerufen von den Menschen und der Ewigen und die Kirchenleitung sagt: Nein, das ist verboten und ist illoyal.

Unter dem Radar

Trotzdem feiern viele von uns die Sakramente der Lossprechung, der Krankensalbung, der Taufe und der Hochzeit. Weil wir darum gebeten werden. Manchmal werden die Sakramente anders benannt. Etwa als Segen und Gebet um Vergebung, als Krankensegnung oder Lebensfest.

Wir feiern damit unter dem Radar. Weil auf dem Rücken der Menschen, die uns um die Gestaltung dieser Feiern bitten, keine Kirchenpolitik betrieben werden soll. Damit bringen wir uns gleichzeitig um die Solidarität derer, die uns unterstützen würden, wenn sie davon wüssten.

Der Gemeinde Greifensee ZH reicht ein Priester mit fünf Stellenprozenten. Den Rest machen sie selbst.
Der Gemeinde Greifensee ZH reicht ein Priester mit fünf Stellenprozenten. Den Rest machen sie selbst.

Seelsorge nicht trennen von sakramentalen Feiern

Seelsorge geschieht auf dem Boden von Beziehungen. Wenn Menschen in unseren Pfarreien, Spitälern, im Gefängnis und in Klöstern Beziehungen zur Seelsorger:in knüpfen, wenn sie Ansehen bekommen und Vertrauen fassen, kann Heilsames geschehen. Wenn Menschen Gemeinschaft feiern, und auf den Tisch kommen kann, was zu Brot und Wein verwandelt werden will, was fehlt denn dann noch?

«Wandlung braucht keinen Hokuspokus, sondern Menschen offenen Herzens.»

Der Segen. Das Erinnern an Jesus. Es fehlt nicht der Priester. Wandlung braucht keinen Hokuspokus, sondern Menschen offenen Herzens. Seelsorge heisst, diesen Raum und diesen Tisch zu schützen, und daran zu erinnern, dass nun das geschieht, was Eucharistie bedeutet: Danke sagen dafür, dass verwandelt wird, was auf den Tisch kommt, sich in die Verbindung zu Jesus aus Nazareth zu stellen und zu ehren, was für ihn Ausgangspunkt des letzten Mahles war, seine Sehnsucht nach Beziehung. Er sagte zu seinen Gefährt:innen: «Ich habe mich so nach euch gesehnt».

Junia-Initiative in der Klosterkirche Fahr
Junia-Initiative in der Klosterkirche Fahr

Seelsorge und sakramentale Feiern voneinander zu trennen, geht an den Bedürfnissen der Menschen vorbei. Seelsorge und sakramentale Feiern sollen nicht von dem Menschen her gedacht werden, der eine solche Feier leitet, sondern von den Menschen her, mit denen gefeiert wird.

«Weil Menschen da sind, soll gefeiert werden.»

Weil da Menschen sind mit ihrer Freude, ihrer Angst, ihren Sorgen und ihrem Dank, deshalb soll gefeiert werden. Nicht, weil da Priester sind, und nur, wenn Priester da sind, soll es gültig sein? Da fängt die Sakralisierung des Priesteramtes an.

Dem Klerikalismus die Wurzel ziehen

Wir möchten keine zusätzlichen weiblichen Priester:innen, die sich in das bestehende System einfügen sollen. Dem Klerikalismus muss die Wurzel gezogen werden, das Amt verändert werden, indem es sich orientiert an dem, was den Menschen vor Ort wirklich dient.

«…und mit deinem Geiste»

Klerikalismus ist eine Falle, in die auch schon nicht-geweihte Seelsorger:innen getappt sind. Solange eine ganze Gemeinde auf den Ruf «Der Herr sei mit Euch» mit einem «und mit Deinem Geiste» antwortet, solange gibt es eine hierarchische und klerikale Schieflage.

Solange wir geniessen, den Baldachin über uns zu haben bei Prozessionen, solange wir uns von Kindern bedienen lassen, die Messdiener:innen heissen, müssen wir uns fragen lassen, ob wir dem in der Taufe begründeten allgemeinen Priestertum folgen oder einem anderen Priestertum. Was uns allen helfen könnte, wäre ein partizipativer Umgang mit Berufung.

«Seelsorger:innen sollen gefragt werden nach ihrer Berufung, unabhängig von Geschlecht und Lebensform.»

Seelsorger:innen sollen gefragt werden nach ihrer Berufung, unabhängig von Geschlecht und Lebensform. Die Gemeinden sollen echt (nicht formal) gefragt werden, ob sich die Seelsorger:in bewährt hat und dann sollen Vertreter:innen aus der Gemeinde gemeinsam mit dem Bischof die Hand auflegen und das Gebet für diesen berufenen Menschen sprechen.

Auf diesem Weg sollten alle, die eine öffentliche und ständige Aufgabe in der Kirche übernehmen, ordiniert werden (siehe Lima-Papier).

Die nächsten Schritte

In der Schweiz gab es seit den öffentlichen Diskussionen über den Missbrauchs- und Vertuschungsskandal starke Bewegungen gegen Klerikalismus. Aber die Verantwortlichen unserer Kirche werden dabei als ängstlich wahrgenommen. Im Kirchenvolk gibt es wenig Erwartung auf echte Veränderung.

Austausch auf der Terrasse der Paulus-Akademie an der «Synode 22: Macht und Partizipation. 50 Jahre Synode 72 – Wie weiter?“
Austausch auf der Terrasse der Paulus-Akademie an der «Synode 22: Macht und Partizipation. 50 Jahre Synode 72 – Wie weiter?“

Am 11. Juni gab es ein Treffen zum 50-jährigen Jubiläum der Synode 72, einem erfolgreichen Schweizer synodalen Prozess nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Trotz der lebendigen Erinnerung an die damalige Aufbruchstimmung war eine Angst spürbar: Die Angst davor, dass der Druck gegen alle, die Partizipation anstreben, erstarkt.

«Es bleibt ein Zögern spürbar, weitere Schritte zu gehen.»

Es blieb ein Zögern spürbar, weitere Schritte zu gehen um in der römisch-katholischen Kirche erwachsen zu werden, und sich nicht mehr von anderen sagen zu lassen, was gilt in der Lebensführung, was trägt nach Brüchen und Abstürzen. Sich nicht mehr vorschreiben zu lassen, von wem lass ich mich begleiten, salben und den Tisch in der Kirche decken.

Dass in der Befragung des Schweizer römisch-katholischen Kirchenvolkes eine deutliche Mehrheit die Rolle der Frau bemängelt, gibt uns Rückhalt für unser Engagement.

Treffen der Junia-Initiative im Kloster Fahr, Mai 2021
Treffen der Junia-Initiative im Kloster Fahr, Mai 2021

Die Junia-Initiative ist vernetzt

Sie ist verbunden mit der Allianz Gleichwürdig Katholisch, unter diesem Dach versammeln sich seit über einem Jahr die Reformbewegungen der Schweizer römisch-katholischen Kirche. Selbstverständlich formulieren sie, dass es ohne gleiche Rechte keine Anerkennung der gleichen Würde geben kann.

Die Junia-Initiative feiert

Jedes Jahr zum 17. Mai feiern wir den Tag der Junia. Dieses Jahr zum dritten Mal. Wir zündeten die Lichter der Hoffnung und der Begeisterung an, sangen Lieder der Freiheit mit, atmeten die Hochzeit der Stille ein und feierten, dass wir Gemeinschaft sind. Wir brachten die Namen der Fremden mit, schlugen das Buch der Befreiung auf und holten die Netze der Wunder ein und feierten, dass wir Gemeinschaft sind.

Stand heute, 25. Juni 2022 glaube ich, dass wir das tun werden, bis wahr wird, was recht ist, und auch danach.

* Karin Klemm ist Theologin, Hospizseelsorgerin, Supervisorin und Lehrbeauftragte für Spitalseelsorge. Den Vortrag hat sie am Online-Meeting des Catholic Women’s Council (CWC) am letzten Samstag gehalten.


Karin Klemm engagiert sich in der «Allianz Gleichwürdig Katholisch». | © Manuela Matt
30. Juni 2022 | 13:50
Lesezeit: ca. 5 Min.
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