Delphine Conzelmann
Schweiz

Delphine Conzelmann: «Mein Eintritt in die katholische Kirche hat spirituelle Gründe»

Die Basler Theologin Delphine Conzelmann (29) ist zwei Wochen nach Publikation der Missbrauchsstudie in die katholische Kirche eingetreten. Motiviert dazu haben sie mittelalterliche Texte. Im April steht die Firmung an. Dabei ist Conzelmann konfessionslos aufgewachsen und mit 19 der reformierten Kirche beigetreten.

Regula Pfeifer

Weshalb haben Sie von der reformierten zur katholischen Kirche gewechselt?

Delphine Conzelmann: Das hat bei mir vor allem spirituelle Gründe. Es hängt hauptsächlich mit meinem neu gewonnenen Verständnis des Abendmahls beziehungsweise der Eucharistie zusammen.

«Die Eucharistie gibt ein wahnsinniges Gefühl von Einheit mit dem christlichen Leib.»

Was gefällt Ihnen besser an der Eucharistie – im Vergleich zum reformierten Abendmahl?

Conzelmann: In der reformierten Kirche gilt das Abendmahl als Erinnerungsmahl, ist symbolisch gemeint. Im Katholischen wird die Eucharistie wirklich als Leib Christi verstanden. Die reale Aufnahme des Leibes Christi wird gefeiert, auf der ganzen Welt gleich. Das gibt ein wahnsinniges Gefühl von Einheit mit dem christlichen Leib. Sobald man glaubt, dass das Brot wirklich Leib Christi ist, drängt sich der Gedanke an eine Konversion auf.

Wie kam es zu dieser Überzeugung?

Conzelmann: Ich befasse mich hauptsächlich mit mittelalterlichen, vorreformatorischen Texten. Dadurch habe ich eine vertiefte Liebe gewinnen können für die katholische spirituelle Praxis.

Wann sind Sie konvertiert?

Conzelmann: Im letzten Herbst hatte ich meine Erstkommunion, seither wurde mein Kirchenübertritt von beiden Kirchen bestätigt. Nun wird Ende April meine Firmung sein.

Delphine Conzelmann ist mit 19 in die reformierte Kirche und vor kurzem in die katholische Kirche eingetreten.
Delphine Conzelmann ist mit 19 in die reformierte Kirche und vor kurzem in die katholische Kirche eingetreten.

«Meine Eltern haben mir religiös alle Optionen offengelassen.»

Eine Ihrer Verwandten ist in der katholischen Kirche engagiert. Hatte das eine Auswirkung auf Ihren Entscheid?

Conzelmann: Ja, eine Tante von mir ist im Kirchenrat der katholischen Kirche Basels aktiv. Meine Familie hatte aber keinen grossen Einfluss auf meine Entscheidung. Ich bin konfessionslos aufgewachsen. Meine Eltern haben mir religiös alle Optionen offengelassen. Deshalb war es für mich später wahrscheinlich auch leichter zu konvertieren. Erst mit 19 Jahren habe ich mich taufen lassen, damals ganz einfach deshalb reformiert, weil ich bereits reformierte Theologie studierte.

«Ich fing aus rein intellektuellem Interesse an Theologie zu studieren.»

Wie sind Sie denn zum Christentum gekommen?

Conzelmann: Ich lernte im Gymnasium Griechisch und Latein, das wollte ich weiterverfolgen. Zudem interessierte ich mich für Geschichte. All dies ist in einem Theologiestudium enthalten. Als ich bereits mit 17 Jahren die Matura abgeschlossen hatte, fing ich an Theologie zu studieren, aus rein intellektuellem Interesse. Aber Theologie ist ein Studium, das einen nicht kaltlässt. Es konfrontiert einen mit Fragen des eigenen Glaubens.

Uni Basel, Kollegiengebäude
Uni Basel, Kollegiengebäude

Sind oder waren Sie in christlichen Jugendgruppen aktiv?

Conzelmann: Ich habe am Glaubensleben von Theologiestudierenden teilgenommen, ausserhalb nicht. Wir trafen uns manchmal zu einer Gebetsgruppe, organisierten einen Gottesdienst oder unterstützten Freunde in ihren Vikariatsprojekten.

Haben die Missbrauchsfälle Sie nicht abgeschreckt, die im letzten September aufgrund einer Studie bekannt wurden?

Conzelmann: Selbstverständlich war die Missbrauchsproblematik schon längst bekannt. Aber als die Studie herauskam, war das schon heftig. Das war zwei Wochen, bevor ich meinen Erstkommunion-Termin hatte.

«Als die Pilotstudie herauskam, stand mein Entschluss bereits fest.»

Allerdings stand mein Entschluss damals bereits fest. Diesen hatte ich ohnehin nicht leichtfertig gefällt. Ich setze mich seit etwa fünf Jahren damit auseinander, katholisch zu werden, und wehrte mich zeitweise auch dagegen. Die Missbrauchsstudie konfrontierte mich dann mit der Frage: Was ist christliche Verantwortung?

Pressekonferenz zur Pilotstudie Missbrauch in der katholischen Kirche, 12. September 2023
Pressekonferenz zur Pilotstudie Missbrauch in der katholischen Kirche, 12. September 2023

Weshalb christliche Verantwortung?

Conzelmann: Es gibt Stimmen, die besagen, wer in der Kirche bleibt, macht sich mitverantwortlich. Und wahrscheinlich gilt das noch mehr für jemanden wie mich, der beitritt. Ich kam zum Schluss: Ich bin mitverantwortlich, das heisst aber nicht, dass ich mitschuldig bin. Denn ich habe die Taten ja nicht selbst begangen. Wir Theologinnen und Theologen müssen etwas sagen, wenn wir Machtmissbrauch sehen, denn wir sind Teil der Kirche. Insofern sind wir mitverantwortlich.

Und diese Verantwortung wollen Sie tragen?

Conzelmann: Ja, unbedingt. Ich müsste die Verantwortung auch in der reformierten Kirche tragen. In jeder Religion gibt es Missbrauchspotential. Oder vielmehr: Wo Macht ist, gibt es Missbrauchspotential. Wer Teil ist, trägt Mitverantwortung, so gut als möglich.

Haben Sie sich mit der Frauenfrage beschäftigt? In der reformierten Kirche hätten Sie bessere Optionen als Frau…

Conzelmann: Ja, absolut. Ich habe mich lange mit dem reformierten Pfarramt auseinandergesetzt und schliesslich gemerkt: Das ist nichts für mich. Insofern habe ich keine persönliche Option verspielt. Aber natürlich geht es da nicht nur um mich.

Kirche Heiliggeist in Basel
Kirche Heiliggeist in Basel

«Mein Kontakt zur katholischen Kirche war von Anfang an stark von Frauen geprägt.»

Wie sehen Sie die Frauenfrage sonst?

Conzelmann: In der Pfarrei Heiliggeist in Basel, wo ich aufgenommen wurde, wurde ich von Anfang an von einer Theologin und Seelsorgerin betreut, von Kathrin Schulze. Mein Kontakt zur katholischen Kirche war von Anfang an stark von Frauen geprägt. In Heiliggeist tragen die Frauen eine sehr aktive Rolle. Das hat mein Bild der katholischen Kirche, das doch sehr stereotyp war, verändert. Ich sah, wie Frauen in den Gemeinden doch sehr geschätzt werden. Ich bewundere ihr Engagement und ihre Treue, trotz aller Schwierigkeiten. Deshalb stand die Frauenfrage meinem Übertritt in die katholische Kirche nicht im Weg.

Frau im liturgischen Gewand
Frau im liturgischen Gewand

Wie war Ihre Vorbereitung auf den Kircheneintritt, das sogenannte Katechumenat?

Conzelmann: Da ich bereits Theologie studiert hatte, standen bei meiner Einführung wahrscheinlich andere Fragen im Vordergrund als bei anderen Kandidatinnen oder Kandidaten. Kathrin Schulze und ich trafen uns vor meiner Erstkommunion regelmässig zu individuellen und teilweise seelsorgerlichen Gesprächen. Da ging es etwa um Unterschiede zwischen den Konfessionen, aber auch um innere Konflikte.

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Sie arbeiten an einer reformierten Theologischen Fakultät in Basel. Da Sie nun Katholikin geworden sind, wechseln Sie nun an eine katholische Fakultät, etwa nach Luzern?

Conzelmann: Nein, das ist nicht geplant und wohl auch nicht notwendig. Ich habe das Glück, an einer sehr offenen Theologischen Fakultät zu arbeiten. Da war mein konfessioneller Wechsel nie ein Problem – und wird es wohl auch nie sein.

*Delphine Conzelmann hat Theologie studiert und in Kirchengeschichte doktoriert. Sie arbeitet als Post-Doc-Assistentin für Kirchen- und Theologiegeschichte an der Theologischen Fakultät Basel.


Delphine Conzelmann | © zVg
19. März 2024 | 14:00
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