Ökumenisches Abendgebet auf dem Petersplatz am 30. September vor der Eröffnung der Weltsynode
Vatikan

Debattierclub oder Raum für Veränderung? Kirchenhistoriker sehen Weltsynode skeptisch

Viele hoffen auf innerkirchliche Veränderungen durch die in wenigen Tagen beginnende Weltbischofssynode. Die katholischen Kirchenhistoriker Hubert Wolf und Andreas Holzem schauen dagegen skeptisch auf die Versammlung.

Michael Jacquemain

Katholische Würdenträger verleihen seit Monaten öffentlich ihrer Hoffnung Ausdruck, dass die im Oktober im Vatikan anberaumte Weltbischofssynode echte Reformen in Gang setzen werde. Aber ist dieser Optimismus berechtigt?

Hubert Wolf
Hubert Wolf

Hubert Wolf und Andreas Holzem, die beiden renommiertesten deutschen katholischen Kirchenhistoriker, zeichnen in Interviews der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) ein anderes Bild.

Rechtliche Möglichkeiten

Ihre Skepsis beruht auf den rechtlichen Möglichkeiten, die eine Synode hat – und die sind höchst begrenzt. Wolf sieht das Treffen als «reines Beratungsinstrument – entschieden wird nichts». Grund ist das 1870 verabschiedete Dogma der Unfehlbarkeit, das dem Papst die alleinige Lehrgewalt zuschreibt.

Ein Panorama mit den geschmückten Stufen der Altarinsel auf dem Petersplatz
Ein Panorama mit den geschmückten Stufen der Altarinsel auf dem Petersplatz

Diese Entscheidung prägt zwar seit 153 Jahren die katholische Wirklichkeit. Dabei gerät aus den Augen, dass die Kirche – von heute aus gerechnet – rund 93 Prozent ihrer Geschichte gut ohne diese Neuerung auskam.

Konstanzer Konzil und der Heilige Geist

Sehr gut sogar. So erklärte sich das Konstanzer Konzil (1414-1418) unter Berufung auf den Heiligen Geist selbst für zuständig, eine drohende Spaltung zu beenden.

Papst Franziskus beim Ökumenischen Abendgebet zur Weltsynode.
Papst Franziskus beim Ökumenischen Abendgebet zur Weltsynode.

Drei miteinander konkurrierende Päpste wurden kurzerhand abgesetzt und mit Martin V. ein neues und allgemein anerkanntes Kirchenoberhaupt gewählt. «Nur das Zusammenkommen von vielen konnte dieses Problem lösen», sagt Holzem. Und das, «ohne die päpstliche Autorität als solche zu bestreiten».

Abwehrschlachten des Papstes

In der Folge musste das Papsttum aber Abwehrschlachten schlagen: Im 16. Jahrhundert gegen die Reformation, die im 17. Jahrhundert beginnende Aufklärung und Ende des 18. Jahrhunderts gegen die Folgen der Französischen Revolution. «Schockerfahrung» nennt Holzem diese Entwicklungen, denen sich Papst Pius IX. ausgesetzt sah: «Da werden der König geköpft, alle kirchlichen Strukturen beseitigt und anschliessend der Papst in Frankreich gefangengesetzt.»

Dogma besiegt die Geschichte

Die päpstliche Flucht nach vorne hiess: Unfehlbarkeit. «Gegner dieser Entscheidung», so beschreibt es Holzem, «haben damals resigniert gesagt: Das Dogma hat die Geschichte besiegt.» Jenseits der Kirchenmauern aber, in der Gesamtgesellschaft, habe tatsächlich «die Geschichte das Dogma besiegt.

Kirchenhistoriker Andreas Holzem
Kirchenhistoriker Andreas Holzem

Wir leben in einer historischen Situation, in der das Festhalten an diesem hierarchischen Denken und diesen Machtpraktiken unglaubwürdig geworden ist.» Heute hielten selbst die meisten überzeugten Katholiken sie für falsch.

Zweites Vatikanum hat Strukturen nicht wirklich verändert

Dass sich die Strukturen auch durch das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) nicht wirklich geändert haben, belegte 2019 eindrucksvoll die Amazonassynode. Wolf erinnert: «Am Ende stimmen vier Fünftel für die Zulassung verheirateter Männer zum Priesteramt – und trotzdem übergeht der Papst das in seinem Schlusstext. Ich frage mich: Was hat das mit Synodalität zu tun?» Passiert ist also trotz einer übergroßen Mehrheit für Veränderungen nichts.

Lange Amtszeit von Johannes Paul II.

Holzem macht für das Abflauen des Erneuerungswillens nach Johannes XXIII. (1958-1963) vor allem «die lange Amtszeit von Papst Johannes Paul II. und das Wirken von Benedikt XVI.» verantwortlich, die «den Zentralismus gestärkt und den Einfluss der Bischöfe zurückgedrängt» hätten.

Papst Johannes Paul II. begrüsst die Menschen in Mexiko-Stadt, 26. Januar 1979.
Papst Johannes Paul II. begrüsst die Menschen in Mexiko-Stadt, 26. Januar 1979.

«Mit dem menschenzugewandten Papst Franziskus kommt dieser Zentralismus zwar in einem freundlichen Gesicht daher, aber die römischen Behörden praktizieren ihre Rolle in aller Konsequenz.»

«Zwar spricht Franziskus den ganzen Tag über Synodalität und Subsidiarität – aber faktisch nimmt er beides nicht ernst.»

Hubert Wolf, Historiker

Für Wolf ist klar: «Zwar spricht Franziskus den ganzen Tag über Synodalität und Subsidiarität – aber faktisch nimmt er beides nicht ernst.» Aus seiner Sicht «braucht es weder einen Synodalen Weg noch eine Weltbischofssynode. Das wird ein weiterer Debattierclub ohne rechtliche Vollmachten.» Holzem beschreibt zugleich die Hoffnung von Optimisten, «dass diese Weltbischofssynode einem Dritten Vatikanischen Konzil den Weg bahnen könnte».

«Ohne Selbstbeschneidung geht es nicht»

Der Tübinger Historiker betont aber: «Ohne eine im Kirchenrecht verankerte Selbstbeschneidung kann es nicht gehen – sonst bleibt Synodalität nur eine vom Herrscher gewährte Gnadengabe.»

Vertreterinnen und Vertreter verschiedener christlicher Kirchen erteilen gemeinsam den Segen und beten anschliessend vor dem San Damiano Kreuz.
Vertreterinnen und Vertreter verschiedener christlicher Kirchen erteilen gemeinsam den Segen und beten anschliessend vor dem San Damiano Kreuz.

Ähnlich formuliert es sein Münsteraner Kollege: «Behauptet wird jetzt, dass Laien und sogar Frauen bei der Weltbischofssynode etwas entscheiden können. Das ist vollkommen falsch. Tatsächlich können sie den absolutistischen Herrscher nur demütig bitten, irgendetwas zu ändern.»

Papst wird alleine entscheiden

Vor diesem Hintergrund können die Debatten in der katholischen Kirche in Deutschland, wer denn nun nach Rom fahren darf und wem ein Stimmrecht vergönnt ist, irritieren. Durch die vatikanische Brille sieht der Prozess eh anders aus: Die Teilnehmer aus allen Erdteilen sollen über Wege der Teilhabe sprechen. Unvoreingenommenes Zuhören und das anschliessende Nachdenken darüber sollen geübt werden. Der Papst nimmt daran teil und hört zu – und wird am Ende allein entscheiden. (kna)


Ökumenisches Abendgebet auf dem Petersplatz am 30. September vor der Eröffnung der Weltsynode | © KNA
1. Oktober 2023 | 15:00
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