Martin Grichting, Generalvikar Bistum Chur
Schweiz

Das politische Tagesgeschäft ist für Martin Grichting Sache der Laien

Chur, 20.1.18 (kath.ch) Kleriker sollen sich nicht in politische Debatten einmischen, findet Martin Grichting, Generalvikar des Bistums Chur. Das sei vielmehr Aufgabe der Laien. Die Amtsträger liefen sonst Gefahr, ihre religiöse Autorität für tagespolitische Fragen zu missbrauchen, schreibt Grichting in einem Gastkommentar für die «Schweiz am Wochenende» (20. Januar). Er hat ausserdem ein Buch zu diesem Thema verfasst.

Im Dezember hat die Schweizer Bischofskonferenz vor einer Annahme der Initiative «No Billag» gewarnt. Bischöfe und andere Vertreter der kirchlichen Hierarchie sollten jedoch nicht zu tagespolitischen Fragen Stellung nehmen, findet Martin Grichting. Denn damit würden sie politisch anders denkende Gläubige von der Kirche entfremden, sagt er im Interview mit der «Luzerner Zeitung» (19. Januar).

Unterscheidung in Klerus und Laien

Grichting, der sich in den Medien wiederholt gegen die Einmischung der Kirche in die Politik ausgesprochen hat, macht diese Frage nun zum Gegenstand eines Buches: «Wie kann eine Religionsgemeinschaft – in diesem Falle die katholische Kirche – klar zum säkularen Rechtsstaat sowie zu den demokratischen Grundregeln stehen und gleichzeitig an ihren absoluten Glaubenswahrheiten festhalten?», heisst es im Erklärungstext zu Grichtings Buch «Im eigenen Namen, in eigener Verantwortung» auf der Website des Website des Fontis-Verlags.

Eine Antwort gibt Grichting in seinem Gastkommentar in der «Schweiz am Wochenende»: «Wesentlich ist dabei die Unterscheidung in die Leitung der Kirche und in die Gläubigen» – die Unterscheidung in Klerus (Priester und Bischöfe) und Laien (weltliche Angehörige der Religionsgemeinschaft) also. Aufgabe des Klerus sei es, «für die unverrückbaren Glaubenswahrheiten sowie die sittlichen Gebote einzutreten und diese mit religiöser Autorität zu verkündigen».

Gefahr eines Gottesstaates

Wenn der Klerus sich jedoch zu Themen äussere, bei denen Christen unterschiedlicher Meinung sein könnten, bestehe die Gefahr, «dass der Klerus seine kirchliche Autorität missbraucht, um einer bestimmten politischen Haltung zum Durchbruch zu verhelfen», erklärt Grichting in der LZ. In seinem Gastkommentar spricht er gar von der Gefahr eines Gottesstaates, wenn religiöse Grundsätze zum Gesetz würden.

Die Einmischung ins politische Tagesgeschäft sieht Grichting vielmehr als Aufgabe der Laien. Diese sollen «in eigener Verantwortung als Bürger und Christen politisch wirken». Wenn sich die Kirche durch die Laien politisch einbringe, werde die religiöse Autorität der Amtskirche nicht missbraucht. Grichting betont allerdings, dass auch die weltlichen Angehörigen einer Religionsgemeinschaft dies «nicht von kirchlichen Organisationen her und unter dem Etikett ‹katholisch›» tun sollten, sondern im eigenen Namen auf der Basis ihres christlich geprägten Gewissens.

Pluralismus- und demokratieverträglich

Dieses von der katholischen Kirche seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil vertretene Modell ist laut Grichting «pluralismus- und demokratieverträglich». Es verlange von den Religionsgemeinschaften keinen Verzicht auf ihren Wahrheitsanspruch, sondern lediglich Loyalität zum Rechtsstaat und seinen Gesetzen.

Konkret bedeutet dies, dass kirchliche Würdenträger laut Grichting sehr wohl zu Themen wie die «Ehe für alle» oder Abtreibung Stellung beziehen dürfen, den solche Fragen beträfen direkt den Glauben. Allerdings sollten auch hier die Laien «in der politischen Arena versuchen, dem Gehör zu verschaffen, was dem christlichen Glauben entspricht». Schweigen soll der Klerus hingegen «zur SRG, der Atomkraft oder dem Verkaufszeitpunkt von Tiefkühlpizzas», sagt er gegenüber der LZ.

Keine Kritik an Papst Franziskus

Papst Franziskus, der sich wiederholt zur europäischen Flüchtlingspolitik oder zum Klimawandel geäussert hat, würde Grichting dennoch nicht kritisieren. Der Papst kenne die Grenzen dessen, was die Kirche amtlich sagen dürfe und wo sie die Debatte den Laien überlassen solle.

Der Churer Generalvikar zitiert Franziskus dabei aus dessen Enzyklika «Laudato si», wonach «die Kirche nicht beansprucht, die wissenschaftlichen Fragen zu lösen, noch die Politik zu ersetzen». Franziskus fordere zu einer ehrlichen und transparenten Debatte auf, «damit Sonderbedürfnisse und Ideologien nicht das Gemeinwohl schädigen», wie er in der Enzyklika sagt.

Primär ein Lehrer des Glaubens

Grichting leugnet zwar nicht, dass der Papst politisch Stellung nimmt. Franziskus werde jedoch insgesamt zu einseitig als politischer Papst wahrgenommen. «Er ist, wenn man seine Verkündigung anschaut, primär ein Lehrer des Glaubens», so Grichting. (sys)

Hinweis: Martin Grichting: Im eigenen Namen, in eigener Verantwortung. Eine katholische Antwort auf den Pluralismus. Fontis-Verlag 2018. ISBN 978-3-03848-143-0.

Martin Grichting, Generalvikar Bistum Chur | © zVg
20. Januar 2018 | 16:14
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