kath.ch-Redaktionsleiter Raphael Rauch.
Kommentar

Das Beben von München wird auch die Schweiz erreichen

Das Münchner Missbrauchsgutachten zieht Wellen bis nach Rom – zum emeritierten Papst Benedikt XVI. Und zeigt für die Schweiz: Ausser historischer Aufarbeitung ist schon jetzt mehr Handeln gefragt.

Raphael Rauch

In der Pressekonferenz in München gab es eine Passage, die auch für die Diskussion in der Schweiz wichtig ist: Die Kernaussagen bleiben gleich, «egal, wie viele Gutachten eingeholt werden. Weitere Untersuchungen werden mit grundsätzlich neuem Erkenntnisgewinn nicht einhergehen.» Das Erkenntnispotenzial von Studien ist gesättigt, überall dieselben Muster und Praktiken – auch hier zeigt sich das Systemische des Missbrauchs. 

Erschüttert – und nichts passiert

Egal ob Frankreich, Köln, Aachen oder München: Die Ergebnisse sind immer wieder neu erschütternd, verstörend – ohne dass Konsequenzen folgen und «Barrieren von Tabuzonen» fallen, wie es in München hiess.

Diese Erkenntnis stellt nicht die geplante historische Aufarbeitung des Missbrauchskomplexes in der Schweiz infrage. Im Gegenteil: Ohne Studie gibt’s keine Aufarbeitung. Ohne Druck von aussen geht die Vertuschung weiter. Nur ein Beispiel aus München: Der ehemalige Generalvikar Gerhard Gruber relativierte nun eine frühere Aussage und sagte, er sei dazu gedrängt worden, alleinige Verantwortung zu übernehmen, um Benedikt XVI. zu schützen.

Nach wie vor gibt es Vertuschung

In der Schweiz dürften die Mechanismen nicht viel anders aussehen. Erinnern wir uns an die Frochaux-Affäre von 2019: Erst wurde alles abgestritten, bis der Missbrauch über die Medien ans Licht kam. Persönliche Konsequenzen in der Bistumsleitung Lausanne, Genf und Freiburg gab es keine. Das Gutachten eines vom Bistum beauftragten Anwalts bekam die Öffentlichkeit nie zu Gesicht.

Spätestens wenn Vertreter der kirchlichen Jugendarbeit sagen: «Die Kirche in der Schweiz wird dem Null-Toleranz-Prinzip nicht gerecht», müssen die Alarmglocken läuten.

Es braucht persönliche Erklärungen

In der Verantwortung stehen alle. Nicht nur amtierende und ehemalige Bischöfe, Generalvikare und Kantonalkirchenpräsidenten – sondern wirklich alle. Jede und jeder sollte sich die Frage stellen: Was weiss ich? Und die entsprechenden Konsequenzen ziehen: Opferverbände kontaktieren, die Fälle den Wissenschaftlerinnen der Uni Zürich melden und Medienschaffende kontaktieren.

Gläubige und Anspruchsgruppen sollten von allen kirchlich Verantwortlichen persönliche Erklärungen einfordern: Was ist Ihr Beitrag zur Aufarbeitung des Missbrauchs und zur Prävention? Wie sieht Ihre Gewissenserforschung und Ihre persönliche Mitverantwortung aus?

Gefragt sind Taten – auch im synodalen Prozess

«In der Theorie sind sich alle einig: Prävention ist wichtig und alle müssen sich damit auseinandersetzen. Aber die Praxis sieht anders aus», sagt der Leiter der kirchlichen Fachstelle Jugend in Solothurn, Thomas Boutellier. Es ist höchste Zeit, dass aus der Theorie Realität wird und auf die Jugendverbände mehr gehört wird. Die Mitwirkenden beim synodalen Prozess sollten hier mitansetzen. Im Basler «GFS»-Zwischenbericht zur synodalen «Wir sind Ohr»-Umfrage taucht das Wort Missbrauch bislang nur einmal auf. 


kath.ch-Redaktionsleiter Raphael Rauch. | © Elisabeth Real
20. Januar 2022 | 19:47
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