Daniel Kosch war von 2001 bis 2022 RKZ-Generalsekretär.
Kommentar

Daniel Kosch zu Papst-Brief: Synodales Zuhören und Reden ist besser als Briefe schreiben

Papst Franziskus hat die Kirchenreform in Deutschland kritisiert – in einem Brief an vier deutsche Katholikinnen. Der Schweizer Theologe Daniel Kosch zerpflückt die päpstliche Argumentation, kritisiert aber auch die Kommunikation über Umwege. «Dass Rom das Vorhaben (den Synodalen Weg) schon mehrfach kritisiert hat, hängt mit dem Grundproblem des römischen Synodalitätsverständnisses zusammen», schreibt er in einem Kommentar.

Daniel Kosch*

Schon wieder ist in Deutschland ein vom Papst unterschriebener Brief angekommen. Er betrifft in erster Linie den Synodalen Weg, hat aber auch für die katholische Kirche in der Schweiz Bedeutung. Denn auch bei uns wünschen sich viele Reformen, von denen der Brief sagt, mit ihnen «droht die Entfernung vom gemeinsamen Weg». Und auch hierzulande gibt es Bestrebungen, synodale Strukturen zu schaffen, die «gemeinsames Beraten und Entscheiden» ermöglichen sollen, was gemäss dem Schreiben aus Rom «mit der sakramentalen Struktur der Kirche nicht in Einklang zu bringen» sei.

Eine andere Synodalität ist möglich

Allerdings vermag das Urteil, der Synodale Rat sei «mit der sakramentalen Struktur der Kirche nicht in Einklang zu bringen», theologisch nicht zu überzeugen. Denn das Gremium will weder das Bischofsamt aus den Angeln heben noch die Bischofskonferenz übersteuern. Sonst hätten die Bischöfe dem Vorhaben nicht zugestimmt. Dass Rom das Vorhaben trotzdem schon mehrfach kritisiert hat, hängt mit einem Grundproblem des römischen Synodalitätsverständnisses zusammen. Dieses beruht auf dem Grundsatz «Alle werden gehört – einige beraten – einer (der geweihte männliche Amtsträger) entscheidet». Dieses Prinzip ist für eine synodale Kirche jedoch nicht das einzig denkbare. Und erfreulicher Weise enthält der Synthesebericht nach der ersten Sitzung der Weltsynode Signale, dass dieses Prinzip weiterentwickelt werden soll:

  • Das Verhältnis zwischen Weihe und Leitungsvollmacht soll vertieft werden, um Spielräume für Mitverantwortung zu erweitern (Nr. 12 g).
  • Eine Kultur der Rechenschaftspflicht soll die Gefahr bischöflichen Machtmissbrauchs reduzieren (12 j).
  • Die Mitverantwortungsgremien sollen auch auf rechtlicher Ebene funktionsfähiger gemacht werden (12 k).
  • Und das Papstamt soll kollegialer – und damit weniger einsam – ausgeübt werden (13 d).

Erinnerung an altkirchliche synodale Prinzipien

Auch in einer historischen Perspektive gibt es mehr ekklesiologischen Spielraum als ihn der Brief erkennen lässt, um im Sinne des Synodalen Weges mehr «gemeinsames Beraten und Entscheiden» zu ermöglichen und das hierarchie-fixierte Denken zu überwinden. Entsprechende Reformen sind im westeuropäischen Kontext und darüber hinaus dringend nötig: Mitverantwortung ruft nach Mitentscheidung, der erschreckende Machtmissbrauch in Form sexueller Gewalt ruft nach Teilung und Kontrolle von Macht.

Bei der Weltsynode im Oktober 2023 sassen die Teilnehmenden um runde Tische.
Bei der Weltsynode im Oktober 2023 sassen die Teilnehmenden um runde Tische.

Anzuknüpfen ist diesbezüglich an alte synodale Prinzipien, die rechtsgeschichtlich zur Vorgeschichte des demokratischen Rechtstaates gehören:

  • Nichts ohne den Bischof – nichts ohne den Rat der Seelsorgenden – nichts ohne die Zustimmung des Volkes (Bischof Cyprian von Karthago, † 258)
  • Wer allen vorstehen soll, soll von allen gewählt werden» (Papst Leo der Grosse, † 461)
  • Was alle angeht, muss von allen beraten und gebilligt werden (Papst Innozenz III, † 1216).

Umweg über Kritikerinnen des synodalen Weges

Ärgerlich, weil mit dem synodalen Prinzip des «Zuhörens» schlicht unvereinbar, ist neben manchen Aussagen des Schreibens auch das gewählte Vorgehen. Der Brief ging nicht direkt an die Verantwortlichen. Man entschied sich für einen Umweg. Und dieser führt ausgerechnet über Kritikerinnen des Synodalen Weges, die den Dialog mit den Bischöfen und Synodalen abgebrochen und damit die Auseinandersetzung verweigert haben. Statt solcher Umweg-Kommunikation stünde seit langem das direkte Gespräch mit dem Präsidium des Synodalen Weges an.

Daniel Kosch am deutschen Synodalen Weg in Frankfurt, 2. Oktober 2021
Daniel Kosch am deutschen Synodalen Weg in Frankfurt, 2. Oktober 2021

Schlecht beraten, aber letztlich selbst dafür verantwortlich verweigert der Bischof von Rom seinen Respekt nicht nur seinen deutschen Mitbrüdern im bischöflichen Amt, sondern auch dem Engagement unzähliger Frauen und Männer den in zahlreichen Verbänden und kirchlichen Einrichtungen, die im ZdK zusammengeschlossen sind. Das ist umso unverständlicher, als sie sich für eine Kirche einsetzen, die sich den multiplen Krisen stellt, um den Weg der spirituellen Erneuerung wie auch den Weg hin zu den Menschen verantwortungsbewusst und mit neuer Zuversicht weiterzugehen. Mit dieser zusätzlichen Erschwernis für den Synodalen Weg ist das Risiko verbunden, dass noch mehr Kirchenmitglieder resignieren und sich von einer Kirche verabschieden, die zwar Synodalität verspricht, im Ernstfall aber hierarchisch entscheidet.

Kritische, offene und freie Diskussion tut not

Zur Besonnenheit und Klugheit ratende Kommentatoren des Briefes aus Rom werden wahrscheinlich betonen, dass er wohl von kurial gut vernetzten Kreisen bestellt und vom Papst nur unterzeichnet wurde. Und sie werden festhalten, dass der Brief immerhin keine Verbote ausgesprochen hat, dass er nur von «Sorge» und vor «drohender Entfernung» und nicht von einem realen Abweichen vom gemeinsamen Weg spricht, und dass er den selbstlosen diakonischen Einsatz würdigt, der gerade in der deutschen Kirche und im Zentralkomitee der deutschen Katholiken eine zentrale Rolle spielt. Das mag alles zutreffen. Dennoch bin ich der Auffassung, dass im Hinblick auf die zweite Sitzung der Bischofssynode im Herbst des kommenden Jahres die Hintergrundthemen dieses Briefes nicht nur in Deutschland, sondern darüber hinaus kritisch, offen und frei diskutiert werden müssen – denn anders wird es nicht dazu kommen, dass wirklich «Synodalität drin ist, wo Synodalität drauf steht».

*Der Theologe Daniel Kosch war 2001 bis 2022 Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz und von 2019 bis 2023 einer der Schweizer Beobachter beim Synodalen Weg der katholischen Kirche in Deutschland. Kürzlich erschien in der Edition Exodus sein Buch «Synodal und demokratisch. Katholische Kirchenreform in Schweizerischen Kirchenstrukturen».


Daniel Kosch war von 2001 bis 2022 RKZ-Generalsekretär. | © Julia Steinbrecht/KNA
22. November 2023 | 15:00
Lesezeit: ca. 3 Min.
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