Damit die Moral nicht baden geht – (un)sittliche Badegeschichten, Teil 1

Es ist heiss und eine Abkühlung im Freibad oder Fluss sehr willkommen. Darauf mussten viele Ordensleute im Mittelalter verzichten: Sie durften nur an ausgesuchten Tagen baden. Heute badet es sich fast überall ohne Einschränkungen – ausser wir tragen einen Burkini an der Côte d’Azur…

Natalie Fritz

Im Christentum ist das Wasser von zentraler Bedeutung – allerdings hauptsächlich symbolisch, wie etwa beim Taufritual. Das Baden oder Schwimmen als hygienische Notwendigkeit hingegen taten christliche Kirchenlehrer lange Zeit als unnötigen Luxus und oberflächlichen Körperkult ab.

Sittliches Stinken oder unsittliches Rheinschwimmen – Mönche und Nonnen

Das Bad als Bussmetapher: «Eine andechtig geistliche Badenfahrt 1514, Thomas Murner (Ausschnitt)
Das Bad als Bussmetapher: «Eine andechtig geistliche Badenfahrt 1514, Thomas Murner (Ausschnitt)

Die Theologen beriefen sich bis weit ins Mittelalter auf Augustinus Aussage, dass ein Bad im Monat gerade noch mit dem christlichen Glauben vereinbar sei. Für einen Mönch reiche es, meinte Augustinus, wenn er vor Ostern und Weihnachten das Bad aufsuche.

Aber nicht alle mittelalterlichen Geistlichen und Ordensleute waren dem Baden und seiner gesundheitsfördernden Wirkung abgeneigt. In vielen Klöstern wurden medizinische Badetherapien angewendet.

Auch Hildegard von Bingen bezeugte in ihren Schriften die Wirksamkeit von Bädern bei verschiedenen Erkrankungen. Um 1535 begründet Paracelsus mit einer Schrift über das Heilbad Pfäfers, den guten Ruf der Therme, die von der ansässigen Benediktinerabtei unterhalten wurde.

Bad Pfäfers in der Taminaschlucht. Radierung von Matthaeus Merian, 1629
Bad Pfäfers in der Taminaschlucht. Radierung von Matthaeus Merian, 1629

Im 15. Jahrhundert waren es die rebellischen Dominikanerinnen aus dem Kloster Klingental, die an heissen Sommertagen die sittlichen Gefühle der Bevölkerung provozierten, weil sie im Rhein badeten.

Die St. Verenaquelle macht fruchtbar – oder doch der Kurschatten?

Die Heilige Verena hatte der Legende nach nicht nur Kranke gewaschen und geheilt, sondern auch Wunder gewirkt. Sie ist seit dem Mittelalter die Patronin der St. Verenaquelle und des damit gespeisten Armenbads St. Verenabad in Baden.

Die heilige Verena wäscht einen Pestkranken, Landesmuseum Württemberg, Stuttgart, 6.12.2015
Die heilige Verena wäscht einen Pestkranken, Landesmuseum Württemberg, Stuttgart, 6.12.2015

Gegen Ablass stiftete die reiche Oberschicht im Mittelalter Armenbäder in den Städten. Diese Bäder dienten der Hygiene (Läuse!) und Krankheitsvorsorge und waren lukrative Bettelorte. Auch mit sogenannten Seelenbädern, Kost und Logis für Arme Badegäste, versprachen sich die Wohlhabenden Seelenheil. Ab dem 15. Jahrhundert verbot die Stadt Baden das Betteln in und vor den Bädern. In einer Verordnung von 1498 ist festgehalten, dass der Armenvogt, die Bettler nach zwei Tagen wegschicken darf, wenn der Zweck ihres Aufenthalts nicht dem Baden galt.

Der St. Verenaquelle wurde überdies eine fruchtbarkeitsfördernde Kraft zuerkannt, weshalb viele Damen aus der Oberschicht zu mehrwöchigen Aufenthalten nach Baden fuhren. Der Ausspruch «Für unfruchtbare Frauen ist das Bad das beste, was das Bad nicht tut, das tun die Gäste» wurde zum Bonmot, was dem Ruf der Kurorte nicht unbedingt zuträglich war. Der sogenannte Kurschatten ist bis heute eine Bezeichnung für eine mehr oder weniger intime Ferienbekanntschaft.

Nackt wie Adam und Eva oder im Burkini?

Die wenig begüterten Menschen besuchten im Mittelalter das öffentliche Bad meist nur mit einem Badeschurz bekleidet. Zu gross war die Angst vor Kleiderdiebstahl. Die nobleren Kreise kamen voll bekleidet und liessen ihre Gewänder in der Garderobe bewachen. Gebadet wurde meist nackt und geschlechtergetrennt.

Frauenbad, Holzschnitt nach Vorbild von Albrecht Dürer, zwischen 1505 und 1510
Frauenbad, Holzschnitt nach Vorbild von Albrecht Dürer, zwischen 1505 und 1510

Allerdings waren viele Bäder nicht nur gesellschaftliche Treffpunkte, sondern auch heimliche Bordelle. Mit dem Ausbruch der Syphilisepidemien am Ende des 15. Jahrhunderts änderte sich die bis anhin mehrheitlich unbefangen gelebte Nacktheit in den Badstuben. Nacktbaden war plötzlich unsittlich.

Badehausszene nach Valerius Maximus? "Factorum Dictorumque Memorabilium", um 1475 von Meister des Anton von Burgund
Badehausszene nach Valerius Maximus? "Factorum Dictorumque Memorabilium", um 1475 von Meister des Anton von Burgund

Auch auf Druck kirchlicher Akteure führten Städte und Kurorte ab dem 16. Jahrhundert Kleidervorschriften für Badegäste ein. Auch heute ist genau geregelt, wie man sich in öffentlichen Bädern zu kleiden hat.

Oben-ohne- oder FKK-Zonen werden ausgeschildert, im Süden Frankreichs sind paradoxerweise Burkinis an den Stränden verboten. Auch wenn Burkinis in konservativen muslimischen Kreisen von grosser Sittlichkeit zeugen, so interpretieren die französischen Behörden dieses Zuviel an Badekleidung als bedrohliches Zeichen extremer Religiosität. In Frankreich ist das Tragen religiöser Symbole und Kleidung im öffentlichen Raum verboten.

Muslimische Frauen beim Baden am Strand
Muslimische Frauen beim Baden am Strand

Übrigens kann Frau auf sittsame-kleidung.de hochgeschlossene Badeanzüge kaufen. Begründet wird das Mode-Angebot mit ziemlich frei interpretierten Bibelstellen, die Mann und Frau betreffen. Interessant nur, dass es im Online-Shop keine Männerabteilung gibt…

Weshalb Goethe beim Baden im Zürichsee mit Steinen beworfen wurde und warum das Strandbad Weggis zum «Schandbad» wurde, erfahren Sie nächsten Samstag im zweiten Teil der Badegeschichten.


Sittsame Badekleidung: Frauen am Strand beim Bad, 1903 | © Wikimedia Commons/Kunstverlag Brück & Sohn aus Meißen, CC0 1.0
6. August 2022 | 05:00
Lesezeit: ca. 3 Min.
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Literatur zum Thema

Hans Peter Duerr, 1994, Nacktheit und Scham. Der Mythos vom Zivilisationsprozess, Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Büchner, Robert, 2014, Im städtischen Bad vor 500 Jahren. Badhaus, Bader und Badegäste im alten Tirol, Wien/Köln/Weimar: Böhlau.

Wolfstädter, Ulrich Thomas, 2021, Die Objektität des Bewusstseins (insbes. ab S. 617 zu Freikörperkultur und Nacktheit), Berlin: Frank und Timme.