Damian Pfammatter im Garten des Bildungshauses St. Jodern in Visp.
Porträt

Damian Pfammatter: «Von meiner italienischen Mutter habe ich die grossen Gefühle»

Früher träumte Damian Pfammatter (50) vom grossen Fussball. Im Spital verliebte er sich in die Krankenschwester – und beschloss, Diakon und nicht Priester zu werden. Im August fängt der Walliser am Religionspädagogischen Institut in Luzern an.

Eva Meienberg

«Wenn du nur eine Dankes-Nachricht schreiben dürftest: An wen würdest du sie richten?», fragt der Religionslehrer Damian Pfammatter die Maturandinnen und Maturanden, die für eine Auszeit ins Bildungshaus St. Jodern in Visp gekommen sind.

«Das ist eine schwierige Aufgabe», sind sich die Jugendlichen einig und ziehen sich zurück, um die Nachricht zu schreiben. Damian Pfammatter bleibt mit Daniel Salzgeber zurück. Die beiden unterrichten gemeinsam das Fach Religionswissenschaft am Kollegium Spiritus Sanctus in Brig.

Die Maturandinnen schreiben eine Dankesnachricht.
Die Maturandinnen schreiben eine Dankesnachricht.

«Wem würden Sie Ihre Dankesnachricht schicken?», frage ich Damian Pfammatter am Ende des Tages. «Die Nachricht ginge an meine Mutter», sagt der sportliche Mann im roten Kapuzenpulli und beginnt zu weinen. Die Tränen rinnen ihm übers Gesicht. Seine Mutter habe ihn gelehrt zu verzeihen – immer. Und sie habe ihm stets gute Ratschläge gegeben. Etwa den, nicht an die Kantonsschule zu gehen, sondern eine Lehre zu machen. Von ihrer italienischen Seite habe er wohl auch die grossen Gefühle, sagt Damian Pfammatter, lächelt und wischt sich die Tränen weg.

Umweg über die Lehre

Der 50-Jährige leitet die Fachstelle Jugendseelsorge Oberwallis. Neben seinem Engagement am Kollegium Brig und an der Orientierungsschule Visp ist er als Diakon in der Pfarrei Visp tätig. Der ehemalige Hochbauzeichner und Fussballer ist verheiratet und hat einen 21-jährigen Sohn, Julian und eine 19-jährigeTochter, Elena.

«Ich war ein scheuer Jugendlicher und hatte grosse Prüfungsangst», sagt Damian Pfammatter. Darum sei der Umweg über die Lehre für ihn das Richtige gewesen. «Aber eigentlich wollte ich keine Häuser zeichnen, sondern Menschen helfen», erinnert sich Damian Pfammatter. Nach der Lehre arbeitete er in einem Architekturbüro, bereitete sich im Selbststudium auf die Matura vor und zog aus dem Wallis nach Lachen im Kanton Schwyz, um beim FC Freienbach und Tuggen in der ersten Liga Fussball zu spielen. Beim ersten Training im neuen Club rissen die Bänder. Das Selbststudium kam ins Stocken. Die Pechsträhne gipfelte mit der Kündigung seiner Stelle als Hochbauzeichner.

Maturandinnen im "Time Out" im Bildungshaus St. Jodern, Visp.
Maturandinnen im "Time Out" im Bildungshaus St. Jodern, Visp.

Heute ist Damian Pfammatter überzeugt: «Gott spricht durch Zeichen.» Der zweite Bänderriss, exakt ein Jahr nach dem ersten, führte ihn nämlich ins Spital in Visp, wo er seine zukünftige Frau kennen lernte: Krankenschwester Nicole. Und mit einer Spezialerlaubnis trat Damian Pfammatter mit 23 Jahren doch noch ins Kollegium in Brig ein. Nun war er bereit für diesen Weg.

Bereit für das Studium

Nach der Matura schrieb er sich an der Uni in Fribourg für Pädagogik ein, noch unsicher, ob er richtig gewählt hatte, denn eigentlich habe ihn die Theologie interessiert. Drei Wochen nach Semesterbeginn lief er dem Walliser Neutestamentler Hermann-Josef Venetz über den Weg. Diesen hatte er im Bildungshaus St. Jodern kennen gelernt. Er nutzte die Gelegenheit und bat den charismatischen Professor um Rat. Der schickte ihn umgehend in die Vorlesung zum Alten Testament. Am nächsten Morgen sass der Student in der Vorlesung und hörte Professor Christoph Uehlinger fragen: «Straft Gott?»

Damian Pfammatter bespricht die Aufgabe mit den Maturandinnen.
Damian Pfammatter bespricht die Aufgabe mit den Maturandinnen.

«Da hat es mir den Ärmel hineingezogen», sagt Damian Pfammatter. Auf diese Frage wollte er eine Antwort. So studierte er neben der Pädagogik auch Theologie. Heute glaubt der Theologe, dass der Zorn Gottes ein Attribut seiner Liebe und ernst zu nehmen sei. In der Seelsorge erlebe er viele Menschen, die sich schuldig fühlten, wenn sie einen Schicksalsschlag erleben. «In der Kirche haben wir den Mut verloren über den Zusammenhang von menschlicher Schuld und der Strafe Gottes zu sprechen.» Und gleichzeitig erfahre man in der Kirche zu wenig Versöhnung.

Warum lässt Gott Leid zu? «Wir können lange über Theodizee diskutieren, aber das tote Kind bleibt tot», sagt Damian Pfammatter. Wenn Eltern ein Kind verlieren, müssten keine Rechtfertigungen gesucht werden. «Wo war Gott?» sei dann eine unnötige Frage. Lieber wolle er mit den Eltern schweigen und versuchen, das Leid mit ihnen durchzustehen. «Theologie muss alltäglich sein», sagt der Seelsorger, das habe ihn nicht zuletzt Yannis gelehrt.

Das Wunder mit Yannis

Yannis war der Neffe seiner Frau. Er kam mit einer tödlichen Krankheit auf die Welt. Damian Pfammatter und seine Frau unterstützten die Eltern bei der Pflege des sterbenden Kindes. Die Familie reiste nach Lourdes, um für den kranken Jungen zu beten. «Das Wunder, das geschehen ist, war nicht die Heilung von Yannis, sondern dass wir zusammen ausgehalten haben, dass er gestorben ist», sagt Damian Pfammatter.

Unterdessen haben die Maturandinnen und Maturanden die Dankesnachrichten geschrieben. Nun geht es um das Thema Identität. «Wer bin ich?» Damian Pfammatter erzählt den Jugendlichen, dass er sich als Theologiestudent vor seinen Fussballkollegen für sein Studium geschämt habe. Dass es zu Konflikten mit seinem Vater führte. Der Vater, der nie eine Lehre habe machen dürfen, konnte nicht verstehen, wieso sein Sohn mit seiner Lehre nicht zufrieden war. Trotzdem sei es für ihn wichtig gewesen, seiner inneren Stimme zu folgen.

Wer sagt ja, wer nein? Maturandinnen im "Time Out"
Wer sagt ja, wer nein? Maturandinnen im "Time Out"

Damian Pfammatter sagt von sich, er sei kein Intellektueller, sondern ein bodenständiger Theologe. Seine Dissertation über Martin Bubers Philosophie ist keine Theorie geblieben. Sie ist Teil seiner täglichen Arbeit geworden. Er sei ein präsenter Vater und seine Frau sei die Liebe seines Lebens. Er habe ein grosses inneres Feuer und ein ebenso grosses Bedürfnis, frei zu sein. Was ihm widerfahre, lasse er an sich heran. Etwa die Entscheidung Priester zu werden. Zwei Jahre nahmen er und seine heutige Frau sich Zeit für den Entscheid. «Meine Liebe zu dir ist so gross, dass ich dich deinen Weg gehen lasse», sagte sie. Ein Felsbrocken sei von seiner Brust gefallen, die Entscheidung schlagartig getroffen. Damian Pfammatter heiratete seine Frau und wurde Diakon.

Voll im Leben

«Ich stehe voll im Leben, mir muss niemand etwas vormachen», sagt Damian Pfammatter. Ihn störe den gekünstelten Umgang vieler Kirchenmänner mit Frauen und Kindern und das Reden über Liebe und Sexualität. «Wenn ich mit meiner Frau über Sex rede, dann ist das keine Theologie des Leibes, sondern da geht es um gegenseitige Bedürfnisse.» Den Seelsorger stören die vielen Verbote. Kirchenrecht sei ihm schon im Studium zuwider gewesen. Jesus sei nicht mit dem Kirchenrecht unter dem Arm in Galiläa herumgerannt. Am aller meisten aber störe ihn Ungerechtigkeit und Heuchelei, das sei das Schlimmste.

Es gibt Mittagessen im Bildungshaus: Spaghetti Napoli und Bananensplit. Damian Pfammatter und Daniel Salzgeber unterhalten sich mit den Schülerinnen und Schülern am Tisch. Es ist ein vertrautes Gespräch über gemeinsame Erinnerungen und Bekannte.

Damian Pfammatter und Daniel Salzgeber unterrichten zusammen Religionswissenschaft am Institut "Spiritus Sanctus" in Brig und sind gute Freunde.
Damian Pfammatter und Daniel Salzgeber unterrichten zusammen Religionswissenschaft am Institut "Spiritus Sanctus" in Brig und sind gute Freunde.

Uscire! – Hinaus zu den Menschen

Vor einem halben Jahr hat sich die innere Stimme von Damian Pfammatter wieder lauthals gemeldet. Sie hörte sich an wie der Ruf von Papst Franziskus: «Uscire!» – «Geht hinaus zu den Menschen!». Dieses Herausgehen erlebe er leider nicht im Oberwallis. Viele Priester versteckten sich in ihren Pfarrhäusern und seien nicht bereit, auf die Menschen zuzugehen. Das sei aber nötig, weil kaum mehr jemand in die Kirchen käme.

Im letzten November hat sich Damian Pfammatter auf die Stelle als Dozent für Kirchliche Jugendarbeit am Religionspädagogischen Institut (RPI) der Universität Luzern beworben. Natürlich nicht, ohne vorher seinen Bischof zu fragen. Bischof Jean-Marie Lovey habe seinen Weggang bedauert, aber keinen Versuch unternommen, ihn im Bistum zu halten.

Studierende begeistern für Jugendarbeit

Die positive Nachricht aus Luzern habe ihn regelrecht befreit. Ab August wird Damian Pfammatter von Sonntag bis Mittwoch in Luzern wohnen und lehren mit weiter Sicht über den Vierwaldstättersee und sich darauf konzentrieren, was für ihn kirchliche Jugendarbeit ist.

Damian Pfammatter instruiert die Schülerinnen und Schüler für das Positionsspiel.
Damian Pfammatter instruiert die Schülerinnen und Schüler für das Positionsspiel.

«In der kirchlichen Jugendarbeit geht es darum, mit den jungen Menschen in Beziehung zu sein und mit ihnen nach dem Lebens- und Glaubenssinn zu fragen», sagt Damian Pfammatter. Dafür will er seine Studierenden am RPI begeistern.

Zum Schluss spielen die Maturandinnen und Maturanden ein Positionsspiel. Eine Frage wird gestellt und für die Antwort ja geht man auf die eine, für nein auf die andere Seite. «Ist Gott eine Koordinate in deinem Leben? Die meisten stehen auf der Ja-Seite.


Damian Pfammatter im Garten des Bildungshauses St. Jodern in Visp. | © Eva Meienberg
19. April 2022 | 05:00
Lesezeit: ca. 5 Min.
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