Walter Kirchschläger, emeritierter Professor für Neues Testament an der Universität Luzern
Schweiz

«Coraggio, coraggio», «Avanti, avanti»: Walter Kirchschläger zum 75. Geburtstag

Gegen eine Top-down-Kirche, pro Synodalität: der Luzerner Exeget Walter Kirchschläger feiert heute seinen 75. Geburtstag. Er kämpft für eine Kirche, die dem Evangelium folgt und nicht einem schlafwandelnden Lehramt.

Raphael Rauch

Vor ein paar Wochen hat in der Zürcher Paulus-Akademie eine Buch-Vernissage stattgefunden. Im Zentrum stand Walter Kirchschlägers neues Büchlein «Wie aus ‹Laien› Kirche wird: Als Getaufte gemeinsam auf dem Weg»

Mehr Synodalität, mehr Gemeinsam-Gehen

Eine hitzige Diskussion kam nicht auf, weil sowohl die Luzerner Synodalrätin Renata Asal-Steger als auch ihre Zürcher Kollegin Franziska Driessen-Reding mit Walter Kirchschläger einer Meinung waren: Die Kirche braucht mehr Synodalität, mehr Gemeinsam-Gehen, weniger Top-down.

Franziska Driessen-Reding und Renata Asal-Steger in der Zürcher Paulus-Akademie.
Franziska Driessen-Reding und Renata Asal-Steger in der Zürcher Paulus-Akademie.

«Als Getaufte tragen wir als Glaubens- und Weggemeinschaft gemeinsam die Verantwortung für die Kirche. So hat es bereits das Zweite Vatikanische Konzil festgehalten», findet Renata Asal-Steger. Über den Jubilar Walter Kirchschläger sagt sie: «Als Wissenschaftler, in der Erwachsenenbildung und in seinen öffentlichen Äusserungen hat sich Walter Kirchschläger zeitlebens beharrlich für dieses Anliegen eingesetzt. Das ist für mein Engagement für eine geschwisterliche Kirche Ermutigung und Ansporn zugleich.»

Von Österreich nach Luzern

Heute feiert der Exeget Walter Kirchschläger seinen 75. Geburtstag. Er kann auf ein bewegtes Leben zurückschauen: Er wuchs in einem politischen Haus auf – sein Vater war österreichischer Diplomat, Aussenminister und von 1974 bis 1986 Bundespräsident.

Walter Kirchschläger und Csongor Kozma in der Zürcher Paulus-Akademie.
Walter Kirchschläger und Csongor Kozma in der Zürcher Paulus-Akademie.

Sein Vater war ein animal politique. Anders als heute, da Politiker gerne auf druckfertige Reden von Referentinnen und Ghostwritern zurückgreifen, habe sein Vater jede Rede selbst geschrieben, erzählt Walter Kirchschläger. Entsprechend habe er seinen Vater praktisch immer arbeitend erlebt.

Luzern vs. Freiburg

Auch Walter Kirchschläger wurde zu einem animal politique. Das Neue Testament zu lesen und zu deuten heisst für ihn immer auch, die Zielgruppe im Blick zu haben: die griechische Polis, für die das Neue Testament geschrieben wurde. Und ein Politiker, ob in Kirche oder Wissenschaft, auch das war und ist Walter Kirchschläger.

Gemeindeleiterin Dorothee Becker leitet die Kommunionfeier in der Kirche St. Franziskus in Riehen BS, Juli 2021
Gemeindeleiterin Dorothee Becker leitet die Kommunionfeier in der Kirche St. Franziskus in Riehen BS, Juli 2021

Seinem scharfen Blick hält nicht alles stand, was die Schweizer Kirchenpolitik in den letzten Jahrzehnten zum Besten gab. Die Errichtung von Pastoralräumen hält er für ein Desaster, die Eucharistie aus dem Tabernakel in Form von Wort-Gottes-Feiern hält er für keine adäquate Alternative in Zeiten des Priestermangels.

Universität Luzern
Universität Luzern

Walter Kirchschläger wurde Gründungsrektor der Universität Luzern. Deren Gründung war ein harter Kampf – auch ein harter innerkatholischer Kampf, schliesslich fürchtete das katholische Freiburg um seine Vormachtstellung als Ort der katholischen Universität der Schweiz. Dass die Luzerner nicht so stolz sind auf ihre Universität wie die Tessiner auf ihre «Università della Svizzera italiana», ärgert Walter Kirchschläger noch heute. 

Sekretär von Kardinal König

Walter Kirchschläger wurde als erster Laie – zu diesem Wort hat der Jubilar eine ganz besondere Beziehung – Sekretär des Wiener Kardinals Franz König. «Der Kardinal hat damals Vorwürfe vom Nuntius in Wien bekommen, weil er mich als Laien zum persönlichen Sekretär ernannt hatte», erzählte Kirchschläger vor kurzem

Der ehemalige Erzbischof von Wien, Kardinal Franz König, im Jahr 1990.
Der ehemalige Erzbischof von Wien, Kardinal Franz König, im Jahr 1990.

Der Kardinal habe auf die Befürchtung, ein Laie könne den Kardinal nicht zu einem Konklave begleiten, gekontert: Der Heilige Vater sei doch bei guter Gesundheit. Und wenn es doch anders käme – «was Gott noch lange verhüten möge!» –, dann werde sich sicher ein Priester finden, der ihn zum Konklave begleiten könne.

Selbstbewusste Bischöfe während der Synode 72

Ad fontes, hin zu den biblischen Quellen, das war Walter Kirchschlägers Hauptjob, den er mit grosser Leidenschaft betrieb. «Das Studium des Neuen Testaments führt schnell zu einer Sichtweise, die sich von der gängigen Schulantwort erheblich unterscheidet», ist in seinem Büchlein nachzulesen. «Es ist höchste Zeit, sich von Laien und Klerikern zu verabschieden und damit tatsächlich das Ständedenken in der Kirche über Bord zu werfen.»

Brainstorming zur Synodalität beim RKZ-Fokus in Bern im September 2021.
Brainstorming zur Synodalität beim RKZ-Fokus in Bern im September 2021.

Walter Kirchschläger zeigt grosse Sympathien für mutige Bischöfe, wie sie es in den 1970er-Jahren auch in der Schweiz gab. Das Procedere für die Synode 72 liessen die Schweizer Bischöfe nicht von Rom genehmigen – sie machten einfach. Gerne zitiert Walter Kirchschläger den damaligen Bischof von Sitten, Nestor Adam, der vor der Päpstlichen Bischofskongregation das Schweizer Vorgehen verteidigte, «indem er lakonisch feststellte, bei uns in der Schweiz sei es so und fertig».

«Sorge um theologische Gerechtigkeit»

«Aber das Morgen entsteht im Heute, und wer im Gestern bleibt, hat bereits das Heute verschlafen.» Diesen Satz aus Walter Kirchschlägers neuem Büchlein müsste sich jeder Katholik, jede Katholikin, gross auf die Fahnen schreiben. Oder: «In jeder Situation gilt das Grundprinzip Jesu, dass der Sabbat für den Menschen da ist und nicht der Mensch für den Sabbat.»

Papst Johannes XXIII. auf dem Petersplatz, Mai 1961
Papst Johannes XXIII. auf dem Petersplatz, Mai 1961

Die Herbert-Haag-Stiftung zeichnete Walter Kirchschläger 2011 aus. Sie würdigte ihn für seine Offenheit und Weite: Seine Feststellung, dass «die neutestamentliche Zeit im Kontext der christlichen Verkündigung keine Priester kennt» und dass «Dienste nicht aufgrund des Kriteriums von Geschlecht und Lebensstand übertragen werden», hat zur Konsequenz, dass die kirchliche Doktrin nicht nur wegen des akuten Priestermangels, sondern auch aus «Sorge um theologische Gerechtigkeit» in Frage zu stellen ist, teilte die Herbert-Haag-Stiftung damals mit.

Familie mit vier Kindern, zehn Enkelkindern und dem Hund Laila

«Coraggio, coraggio», «Avanti, avanti», diese Sätze von Johannes XXIII. wünscht sich Walter Kirchschläger auch für seine Kirche heute.

Heute werden Walter Kirchschläger viele Menschen zum Geburtstag gratulieren – darunter seine Ehefrau, seine Tochter, seine drei Söhne und zehn Enkelkinder. Vielleicht auch der Hund Laila, mit dem Walter Kirchschläger gerne spazieren geht. 

Felix Gmür soll sich beim Papst für ein Schweizer Partikularrecht einsetzen (Aufnahme von 2020).
Felix Gmür soll sich beim Papst für ein Schweizer Partikularrecht einsetzen (Aufnahme von 2020).

Vielleicht wird Walter Kirchschläger heute den Enkelkindern etwas vorlesen, mit ihnen Modell- und Garteneisenbahn spielen oder Klavier spielen, was er gerne macht. Und vielleicht wird er Bischof Franziskus, wie Walter Kirchschläger den Papst konsequent nennt, ins Gebet nehmen und ihm zuflüstern: «Coraggio, coraggio», «Avanti, avanti».


Walter Kirchschläger, emeritierter Professor für Neues Testament an der Universität Luzern | © Raphael Rauch
27. April 2022 | 05:00
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