Von Russland bombardiert: Brovary nahe Kiew am 1. März 2022.
Konstruktiv

Walter Kirchschläger: Asche ist Endprodukt von verbrannter Erde – Krieg hinterlässt tote Erde

Am heutigen Aschermittwoch könne man nicht so einfach vorbeigehen, sagt der Theologe Walter Kirchschläger (74)*. Keiner könne sich dem Umkehrruf Jesu entziehen – auch nicht der russische Präsident.

Jacqueline Straub

Was ist heute an Aschermittwoch anders als sonst?

Walter Kirchschläger, emeritierter Professor für Neues Testament an der Universität Luzern
Walter Kirchschläger, emeritierter Professor für Neues Testament an der Universität Luzern
Walter Kirchschläger: Ich glaube, dass dieses Jahr weniger Menschen an diesem Tag einfach so vorbeigehen können. Der Krieg in Europa und der heutige Aschermittwoch zeigen, dass wir so schnell nicht zur Tagesordnung übergehen können. Es ist nun wichtig, innezuhalten und sich auch selbst fragen, wie ich mit anderen Menschen umgehe, wo ich Macht missbrauche, andere Menschen Leid zufüge. In den letzten Jahrzehnten waren wir noch nie so nah an einer weltpolitischen Katastrophe. Es braucht jetzt Besonnenheit und tiefgehende Reflexion.

«Der Aschermittwoch ruft die Zerbrechlichkeit des Menschen in Erinnerung.»

Was kann uns Aschermittwoch in der momentanen Krisensituation sagen?

Kirchschläger: Besinnung, Reflexion und Nachdenklichkeit stehen im Vordergrund. Was uns der Aschermittwoch aber auch in Erinnerung ruft, ist unsere Vergänglichkeit und die Zerbrechlichkeit des Menschen. Das, was in den letzten Tagen geschehen ist, zwingt uns darüber nachzudenken.

Ein Pfarrer streut Asche auf den Kopf eines Mannes in einem Gottesdienst an Aschermittwoch
Ein Pfarrer streut Asche auf den Kopf eines Mannes in einem Gottesdienst an Aschermittwoch

Sie sprachen die Besinnung an. Inwiefern ist dies von Bedeutung am Aschermittwoch?

Kirchschläger: In der frühen Kirche wurde der Ritus des Bestreuens mit Asche nur bei jenen angewandt, die unter eine Kirchenstrafe gestellt worden waren. Etwa wer gestohlen hatte oder seinen Sklaven unrechtmässig behalten hatte. Sie mussten 40 Tage im Büssergewand umherlaufen. In der Osternacht wurden sie wieder in die christliche Gemeinschaft aufgenommen. Sie kehrten um, reflektierten ihr Verhalten, baten um Verzeihung.

«Im 10. Jahrhundert kam es auf, jedem Gläubigen ein Aschekreuz auf die Stirn zu machen.»

Im 10. Jahrhundert kam es auf, jedem Gläubigen ein Aschekreuz auf die Stirn zu machen. Es wurde auf den zweiten Schöpfungsbericht verwiesen, dass der Mensch aus Erde geformt wurde und wieder zu Staub werden wird. Der Mensch ist nicht autark. Der Mensch ist fragil. Im Imperativ gesprochen: Bedenke das!

«Krieg macht vor nichts und niemandem Halt.»

Warum ist Asche ein starkes Symbol für die aktuelle Situation?

Kirchschläger: Der traurigste Punkt ist wohl, dass die Asche ein Endprodukt von verbrannter Erde ist. Und Krieg hinterlässt tote Erde, die gewaltvoll zum Sterben gebracht wurde. Der Vorgang der Verwüstung macht die Vergänglichkeit allen Seins überdeutlich. Krieg macht vor nichts und niemandem Halt. Diese Verwüstung vergreift sich am zentralsten Punkt der Existenz des Lebens – das ist der Mensch. Wer zu Tode kommt, wird zur Asche. Kein Mensch entgeht diesem Vorgang des Staubwerdens. Die Frage ist aber: Wie gehen wir damit um?

Palmzweig
Palmzweig

«Die Palmzweige stehen für den Sieg Jesu.»

An Aschermittwoch werden die Palmzweige verbrannt und mit der Asche wird ein Kreuz auf die Stirn der Gottesdienstbesuchenden gemacht. Welche Symbolik versteckt sich dahinter?

Kirchschläger: Die Palmzweige stehen für den Sieg Jesu, die Asche führt uns die Vergänglichkeit vor Augen. Die Kirche hat mit den verbrannten Palmzweigen und dem Auftragen der Asche auf die Stirn immer versucht, nicht nur auf die Vergänglichkeit hinzuweisen, sondern die Überfülle des Lebens deutlich zu machen. Der Blick wird also voraus auf Ostern gerichtet, auf Tod und Auferstehung Jesu Christi.

Mit welcher Symbolik ist die Asche noch verbunden?

Kirchschläger: Asche entsteht, wenn Feuer brennt. Deswegen wird sie in Verbindung gebracht mit Reinigung und enthält eine Motivation zur persönlichen Umkehr. Der Kernsatz von Jesus ist, dass die Menschen umkehren und an das Evangelium glauben sollen. Auch dieser Umkehrruf steht im Fokus am Aschermittwoch.

Was genau bedeutet Umkehr?

Kircheschläger: Umkehr bedeutet, andere Menschen nicht kleinzumachen.

Ist der Umkehrruf auch auf die momentane Situation in der Ukraine zu beziehen?

Kirchschläger: Von dem Umkehrruf ist keiner ausgenommen. Keiner kann sich dem entziehen. Auch nicht der russische Präsident.

Der russische Präsident Wladimir Putin
Der russische Präsident Wladimir Putin

Was will uns der kirchliche Festtag in Bezug auf die Überheblichkeit zeigen?

Kirchschläger: Wir sehen momentan, dass ein Mensch sich anschickt ein bisschen Gottheit zu spielen und meint, er allein habe die Zügel der Welt in der Hand. Wer Macht hat, muss diese zum Wohl für die Menschen einsetzen. Wir sehen in den letzten Tagen, dass Verantwortungsträger ohne Reflexion ihre Machtbefugnisse ausnutzen und denken, dass sie alles tun können. Das führt zur Katastrophe. Das Verhalten Wladimir Putins untergräbt das friedliche Zusammenleben. Wer anderen überheblich begegnet oder unterdrückt, nimmt aber vor allem auch Gott nicht ernst.

*Walter Kirchschläger (74) ist emeritierter Professor. Er lehrte Neues Testament an der Universität Luzern.

Von Russland bombardiert: Brovary nahe Kiew am 1. März 2022. | © Keystone
2. März 2022 | 05:00
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