Die Päpste der Geschichte
Porträt

Coelestin V. – Der Zurückgetretene

Er scheut Menschen und Macht. Trotzdem wird Coelestin V. 1294 zum Papst gewählt. Überfordert von den politischen Ränkespielen tritt Coelestin nach nur fünf Monaten zurück. Seinen Lebensabend verbringt er in Kerkerhaft. Erst 700 Jahre später wird mit Benedikt XVI. wieder ein Papst zurücktreten.

Annalena Müller

Überfordert. So lautet ein weitverbreitetes Urteil über Coelestin V., der 1294 nur ein halbes Jahr auf dem Petersthron sass. Es ist ein Urteil, dem Coelestin vielleicht sogar selbst zustimmen würde. Aber richtig gefragt hat ihn niemand. Auch nicht, ob er Papst werden möchte.

Krise, was sonst?

1294 steckt das Papsttum in der Krise. Wie fast immer im Mittelalter. Die Probleme sind seit Jahrhunderten die immergleichen. Politische Fraktionen rivalisieren um Macht und Einfluss und versuchen, einen Mann aus ihren Reihen auf den Papststuhl zu setzen. Neben Macht und Ehre bringt das Papsttum Zugang zu lukrativen Ämtern. Diese besetzen die Päpste mit Familienmitgliedern oder treuen Parteigängern.

Nicht nur der Tiber, ganz Rom ist im Mittelalter eine cloaca maxima.
Nicht nur der Tiber, ganz Rom ist im Mittelalter eine cloaca maxima.

Kann keine der Fraktionen den eigenen Kandidaten im Konklave durchsetzen, wird mitunter ein schwacher Kandidat ohne Netzwerke gewählt. So zum Beispiel Nikolaus IV. (1288-1292), der Vorgänger Coelestins. Nikolaus verfügt weder über eine starke Familie noch über adelige Abstammung. Die wahren Entscheider während seines Pontifikats sind in der einflussreichen Colonna-Familie zu finden.

Vom Eremiten zum «Engelspapst»

Nach dem Tod des schwachen Nikolaus IV. brechen die alten Grabenkämpfe erneut auf. Mehr als zwei Jahre kann sich das Konklave auf keinen Kandidaten einigen. Dann wählt man einen Mann, der sich vor der Welt versteckt: Pietro da Morrone, der sich Coelestin V. nennen wird.

Morrone ist bei seiner Wahl 85 Jahre alt. Viele halten den Bauernsohn schon lange für einen Heiligen. Fernab der Welt und Politik, deren Abgründe er kaum erträgt, lebt Morrone seit 63 Jahren als Einsiedler in den Abruzzen. Diesen Mann holen Karl II., König von Neapel, und die römischen Kardinäle im Juli 1294 aus seiner Höhle. Und setzen ihn an die Spitze einer weitverzweigten und komplizierten Behörde, für deren Führung man nicht nur theologisches, sondern auch juristisches Wissen und ein grosses, mächtiges Netzwerk braucht. Coelestin hat dies nicht.

Papst Coelestin V. galt schon zu Lebzeiten als Heiliger.
Papst Coelestin V. galt schon zu Lebzeiten als Heiliger.

Einige Reformer setzen durchaus Hoffnungen in den «Engelspapst». Aber Coelestin kann diese nicht erfüllen. Könige und Kardinäle manipulieren den alten Pontifex, der sich aus dem politischen Rom in seine Eremiten-Grotte zurücksehnt. Kaum im Amt, will der Pontifex zurücktreten.

Rücktritt und Gefangenschaft

Kirchenrechtlich ist der Rücktritt eines Papstes aus Alters- und Krankheitsgründen möglich. Hochmittelalterliche Kanonisten banden die Gültigkeit eines Papstrücktritts an die Zustimmung der Kardinäle oder sogar eines Konzils. Aber im 13. Jahrhundert reicht allein der Wille des Vicarius Christi aus. Am 13. Dezember 1294, nur fünf Monate nach seiner Wahl, informiert Coelestin die versammelten Bischöfe über seine Entscheidung. Als Gründe nennt er körperliche Schwäche, fehlendes Herrschaftswissen und Sehnsucht nach dem Leben in Einsamkeit. Die Rückkehr in seine geliebte Höhle aber bleibt ihm verwehrt.

Sein Nachfolger wird Bonifaz VIII. (1294-1303), ein Spross der mächtigen Caetani-Familie. Bonifaz lässt den zurückgetretenen Papst verhaften und hält ihn in der Festung Fumone bei Ferentino fest. Dort verbringt Coelestin seine letzten beiden Lebensjahre in einer engen Zelle. Bonifaz will derart einem möglichen Schisma vorbeugen, falls seine Gegner versuchen sollten, den zurückgetretenen Papst wieder zu inthronisieren.

Im befestigten Fumone verbrachte Coelestin V. seinen Lebensabend in Kerkerhaft.
Im befestigten Fumone verbrachte Coelestin V. seinen Lebensabend in Kerkerhaft.

Ein Papst im Ruhestand stellt ein rechtliches Problem dar. Dieses Problem existierte bis 1294 nur in den Köpfen und Büchern von Rechtsgelehrten. Coelestin V. macht aus der Theorie eine Realität. Bis 2013 sollte kein weiterer Papst mehr zurücktreten. Und hätte Benedikt XVI. ein ähnliches Schicksal befürchten müssen wie Coelestin, er wäre wohl auf dem Stuhle Petri geblieben.

Coelestin V. wurde 1313 unter seinem weltlichen Namen Pietro da Morrone heilig gesprochen.

Lesen Sie am 6. August über Sixtus IV. Der erste Renaissance-Papst ist das Gegenteil des heiligen Coelestin. Vetternwirtschaft, Intrigen und sogar Mord sind für Sixtus Alltag.


Die Päpste der Geschichte | © kath.ch
30. Juli 2023 | 16:30
Lesezeit: ca. 3 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!

weitere Artikel der Serie «Papst-Geschichten»