Claus Noppeney
Schweiz

Claus Noppeney: «Wo Kirche leer ist, lebt sie im Wohnzimmer»

Die Kirchen machen zu wenig fürs Klima, findet der Ökonom und Klimaaktivist Claus Noppeney. Schuld daran habe auch das duale System. Eine Schwachstelle sieht er etwa in der Betriebsökologie. «Leere kirchliche Gebäude sind ein finanzielles oder pastorales Problem.» Er fordert einen Gebäudebedarfsplan für Schweizer Kirchen.

Jacqueline Straub

Papst Franziskus schreibt derzeit an einer Fortsetzung der Sozial- und Umwelt-Enzyklika «Laudato si’». Freuen Sie sich darüber?

Claus Noppeney*: «Laudato si’» geht von zentralen Fakten und Forschungsergebnissen aus. Das Besondere des Textes liegt für mich darin, wie sich der Papst von diesen oft auch entmutigenden Informationen geistlich berühren lässt. So lädt er beispielsweise dazu ein, die Umweltkrise in persönliches Leiden und Mitleiden zu verwandeln.

«Wir verbrauchen 1,7 Erden pro Jahr.»

Welcher Gedanke von Franziskus’ Enzyklika fesselt Sie am meisten?

Noppeney: Viele Stimmen setzen heute weiter parareligiös auf Markt und Technik. Hier aktualisiert Franziskus seine Kritik an einem naiven Fortschrittsglauben.

Papst Franziskus holt die Sonne hervor. Er hat einen Eimer dabei, auf dem «Laudato si'» steht. Graffito von Maupal in Albano (Italien).
Papst Franziskus holt die Sonne hervor. Er hat einen Eimer dabei, auf dem «Laudato si'» steht. Graffito von Maupal in Albano (Italien).

Welche Aspekte sind nun dringender als noch im Jahr 2015, als Papst Franziskus «Laudato si’» veröffentlichte?

Noppeney: Die Klimakatastrophe drängt mehr denn je: Der Erdüberlastungstag war am 5. August – wie auch schon 2015. Wir verbrauchen also 1,7 Erden pro Jahr. In einem ökonomischen Bild: Wir betreiben seit Jahrzehnten ökologische Konkursverschleppung zulasten unserer Nachkommen und der Menschen auf der Südhalbkugel. Unser westlicher Lebensstil ist nur möglich, weil wir alle jeden Tag meisterhaft verleugnen, verharmlosen und einander beschwichtigen.

Wie zeigt sich das?

Noppeney: Die Hälfte des CO2, das seit der industriellen Revolution in die Atmosphäre gelangte, wurde erst nach 1990 emittiert – also seit der Klimawandel als wissenschaftlicher Konsens bereits längst anerkannt ist.

«Die Baschankühe, das sind wir.»

Was erhoffen Sie von Papst Franziskus?

Noppeney: Angesichts der vielen alarmierenden Bilder und Nachrichten würde ich mich freuen, wenn Papst Franziskus zeigen könnte, wie wir heute neu christliche Hoffnung leben können: nicht als Flucht, nicht als billiger Trost, sondern als schöpferische Kraft. Denn zu viele Menschen rutschen nun aus Verharmlosung oder Leugnung der Klimakrise direkt in die Gleichgültigkeit. Vielleicht stellt er uns aber auch die scharfe Kritik prophetischer Traditionen neu vor Augen: Ein Prozent der Weltbevölkerung ist für 15 Prozent Treibhausgase verantwortlich. Das schreit zum Himmel. Oder mit dem Propheten Amos: Die Baschankühe, das sind wir.

Der Berner Katholik Claus Noppeney engagiert sich bei "Renovate Switzerland".
Der Berner Katholik Claus Noppeney engagiert sich bei "Renovate Switzerland".

Nachdem Sie als Klimaaktivist bei einer Strassenblockade mitgewirkt haben, sind Sie in einige Gottesdienste und haben davon berichtet. Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?

Noppeney: Viele Menschen versuchen dem Thema auszuweichen. Immer wieder stosse ich aber auch auf spezifisch katholische Reaktionen, die ich als Fatalismus beschreibe: Die menschengemachte Umweltkrise wird zum Schicksal stilisiert, obwohl die Katastrophe menschengemacht ist. Gerade fromme Menschen sind schnell versucht, das Gefühl der Ohnmacht zu spiritualisieren und dann in Passivität zu verharren.

Macht die Kirche genügend im Bereich Klimaschutz?

Noppeney: Nein. Die Kirche bewegt sich bestenfalls im gesellschaftlichen Durchschnitt. Es beginnt damit, dass die Kirche ihre staatstragende Rolle kaum kritisch reflektiert. Kürzlich feierten die staatlichen Repräsentanten in Deutschland in einem Schloss die Entstehung der bundesdeutschen Verfassung, des Grundgesetzes. Ganz vorne mit dabei Kardinal Reinhard Marx. Währenddessen machten die Klimaaktivisten der Letzten Generation auf der Wiese vor dem Schloss deutlich, wie prekär es um die natürlichen Lebensgrundlagen tatsächlich steht und wie die politische Verantwortung für die künftigen Generationen verletzt wird. Beides fordert aber das Grundgesetz. In dieser Situation hätte ich mir gewünscht, dass wenigstens ein anderer Bischof draussen bei den Klimaaktivisten und -aktivistinnen ist.

«Die Kirche darf nicht im fossilen System aufgehen.»

Fakt ist, dass alle im Westen zutiefst mit dem fossilen System verstrickt sind.

Noppeney: Das stimmt. Persönlich und eben auch strukturell. Gerade deshalb darf die Kirche nicht im fossilen System aufgehen. Sie muss mindestens mit einem Bein ausserhalb also beispielsweise im Klimaaktivismus spielen.

Wie blicken Sie auf die Schweizer Kirchen in Bezug auf den Klimaschutz?

Noppeney: Der Klimaschutz der Kirchen ist in der Schweiz besonders alarmierend.

Umwelt-Zertifikat an der Kirche St. Johannes Romanshorn
Umwelt-Zertifikat an der Kirche St. Johannes Romanshorn

Warum?

Noppeney: Weil das duale System als institutionelle Voraussetzung eine ungünstige Ausgangslage schafft, um das Klimathema zu bearbeiten. Denn der Fokus liegt systematisch auf dem eigenen Kirchturm. Oder konkret: Wenn ich mit unseren Kindern im Winter am Sonntag in die Kirche gehe, ziehen die Kinder am liebsten noch am Weihwasserbecken die Winterjacken aus, weil die Kirche auf Wohnzimmertemperatur geheizt wird.

«Die Kirche in der Schweiz torkelt seit Jahren in einem kollektiven Erschöpfungszustand.»

Können Sie mir das genauer erklären?

Noppeney: Das duale System trennt die Ebene der Infrastruktur und Ressourcen von der pastoralen Ebene. Über Ressourcen und Infrastruktur entscheidet die Kirchgemeinde vor Ort. Faktisch bedeutet dies, dass Infrastrukturen aufgebaut und unterhalten werden, die nach allem, was wir nach jahrzehntelangem Mitgliederschwund vermuten müssen, kaum ausgelastet sind. Ausserdem braucht Klimaschutz auch spezialisiertes Knowhow, was Kirchgemeinden vor Ort überfordert oder schlimmer noch: gar nicht als relevant erachtet wird. Die Kirche in der Schweiz torkelt seit Jahren in einem kollektiven Erschöpfungszustand.

Solarpreis für Zentrum Heilig Geist Zürich Höngg
Solarpreis für Zentrum Heilig Geist Zürich Höngg

Wo sehen Sie konkrete Schwachstellen der Kirchen beim Klimaschutz?

Noppeney: Zunächst ist das die Betriebsökologie: Einzelne Kirchgemeinden haben auf erneuerbare Energiequellen umgestellt und nutzen beispielsweise Dächer für Solarpanels. Doch bezogen auf die Schweiz kann man kaum davon sprechen, dass landesweit thermisch saniert wird, Heizungen ausgetauscht, vertikale Gärten angelegt, Böden entsiegelt werden oder die Biodiversität auf kirchlichen Flächen ein Thema wäre. Und dann sollte auch grundsätzlicher geprüft werden, welche Büro- und Gemeinderäume wirklich gebraucht werden oder allenfalls mit anderen Institutionen geteilt werden können. Denn der Gebäudesektor ist für etwa ein Viertel der Treibhausgasemissionen verantwortlich, wobei ein Grossteil beim Bau eines Gebäudes anfällt. Wenn die Kirche bestehende Gebäude anderen Nutzungen zur Verfügung stellt, können Neubauten vermieden werden, was ein Beitrag sein kann.

«Jetzt sind verbindliche Zusagen und einschneidende Massnahmen nötig.»

Die katholische Kirche Bern oder Zürich etwa haben Umweltberichte herausgeben. Ist das nicht schon ein guter Anfang?

Noppeney: Ein Anfang im Jahr 2023? Der Berner Bericht stellt heraus, dass ökologisches Hygienepapier verwendet wird. Ist das wirklich erwähnenswert? Der Zürcher Bericht wirbt damit, dass Kirchgemeinden auf freiwilliger Basis ihre Treibhausgasemissionen bei der Landeskirche messen lassen können. Wirklich? Jetzt sind verbindliche Zusagen und einschneidende Massnahmen nötig. Mit solchen Berichten organisiert das duale System lediglich Unverantwortlichkeit im gesellschaftlichen Konsens.

Kraniche in der Franziskanerkirche Luzern
Kraniche in der Franziskanerkirche Luzern

Was können wir von Kirchen aus anderen Ländern lernen?

Noppeney: Die evangelische Kirche Deutschland (EKD) hat in ihren Klimaschutzrichtlinien klare Ziele formuliert. Bis Ende 2045 soll die «Netto-Treibhausgasneutralität» erreicht werden. Selbst hier müsste man kritisch nachfragen, was das tatsächlich stofflich und energetisch bedeutet. Aber immerhin: Es ist ein Ziel für das nun ein Gebäudebedarfsplan erstellt wird. Ein anderes Beispiel sind die Erzbistümer München oder Köln, die bereits seit einigen Jahren professionelle Kompetenzen im Bereich Umweltmanagement aufgebaut haben. Das Thema «Umwelt» hat auch in der Kirche das Potenzial ein «Change agent» zu werden.

«Bislang sind leere kirchliche Gebäude lediglich ein finanzielles oder pastorales Problem.»

Es braucht also ein Gebäudebedarfsplan in der Schweizer Kirchenlandschaft?

Noppeney: Unbedingt. Wie anders will man einen Überblick erlangen? Das Klima ist ein genuines Gemeinschaftsgut, das überregional bearbeitet werden muss. Der Wunsch die eigene Kirche, das eigene Gemeindezentrum vor Ort zu halten, bindet sonst zu viele Ressourcen.

Den Menschen die Kirchen wegzunehmen, ist aber nicht sehr christlich.

Noppeney: Wenn die Kirche oder das Gemeindezentrum leer bleibt und nicht voll genutzt wird, sollte man nach geteilten Nutzungen suchen. Bislang sind leere kirchliche Gebäude lediglich ein finanzielles oder pastorales Problem. Können wir uns das noch leisten? Tatsächlich sind sie auch ein ökologisches Problem. Wo die Kirche leer ist, lebt sie ohnehin besser im Wohnzimmer.

Eine Protestaktion der Letzten Generation.
Eine Protestaktion der Letzten Generation.

Sie haben nun viel gesagt, was die Kirchen besser werden müssen im Klimaschutz. Was macht sie denn gut?

Noppeney: Einige Pfarreien unterstützen auch in der Schweiz Klimaaktivistinnen und -aktivisten, indem sie ihnen unkompliziert Räume zu Verfügung stellen. Davor habe ich grossen Respekt. Die Kirche signalisiert so Ansprechbarkeit und stärkt den demokratischen Diskurs.

* Der Ökonom Claus Noppeney (55) lebt mit seiner Familie in Bern. Er lehrt am «Institut Innovation and Entrepreneurship» der Berner Fachhochschule und engagiert sich privat bei «Renovate Switzerland».


Claus Noppeney | © zVg
30. August 2023 | 16:15
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