Ex-Generalvikar Martin Grichting.
Zitat

Christoph Sigrist widerspricht Martin Grichting

«Bekenntnisfreiheit in der reformierten Tradition heisst entsprechend auch nicht Freiheit vom Bekenntnis, sondern Freiheit zum Bekenntnis: Das reformierte Gesangbuch mit seinen liturgischen Texten enthält zum Beispiel ein nach einer indonesischen Vorlage gestaltetes Bekenntnis, das für die Lebendigkeit der Artikulation des christlichen Glaubens steht.

Dass die Bekenntnisfreiheit der Zürcher Kirche ein treibender Faktor von Kirchenaustritten gewesen sein soll, wie etwa der ehemalige Generalvikar des Bistums Chur, Martin Grichting, in einem Gastbeitrag vermutete, ist religionssoziologisch nicht erweislich, im Gegenteil unwahrscheinlich: Sie war für viele Mitglieder in den letzten 150 Jahren vielmehr ein wichtiger Grund zu bleiben. (…)

Pfarrer Christoph Sigrist und Abt Urban Federer
Pfarrer Christoph Sigrist und Abt Urban Federer

Für Reformierte ist die Kirche keine himmlisch legitimierte Institution, sondern eine irdische Diskursgemeinschaft von Menschen, die über die Zufälligkeit und die Endlichkeit ihrer Existenz im Horizont Gottes nachdenken. Als Kirche «von unten» ist sie notwendigerweise demokratisch organisiert.

Reformierte Kirchen unterscheiden zwischen Legislative (Kirchensynode) und Exekutive (Kirchenrat) und nehmen für sich nicht in Anspruch, bessere institutionelle Organisationsformen als der Staat zu kennen. Ihre Funktionsträgerinnen und -träger sind demokratisch gewählt und unterstehen Kirchengesetz und Kirchenordnung. Sie sind weder bessere noch schlechtere Menschen als ihre Mitglieder. Im Rahmen des «allgemeinen Priestertums aller Gläubigen» bewegen sich alle in gleicher Nähe und Distanz zu Gott.

Die Kirche weiss, dass sich das Wohl einer Gemeinschaft am Wohl ihrer Schwächsten bemisst, und sie setzt sich für diese ein. Die reformierte Kirche versteht sich als diakonische, nicht als bischöfliche Kirche und setzt auch hier einen besonderen Akzent auf das ›von unten’.»

Christoph Sigrist ist Pfarrer am Grossmünster in Zürich, Konrad Schmid ist Professor für Altes Testament an der Universität Zürich. Sie reagieren in der NZZ (26. September) auf einen Gastbeitrag Martin Grichtings, der am 13. August die Bekenntnisfreiheit der Zürcher Reformierten kritisiert hatte. (rr) 


Ex-Generalvikar Martin Grichting. | © Regula Pfeifer
26. September 2022 | 05:49
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