Bundesraetin Elisabeth Baume-Schneider
Schweiz

Bundesrat entscheidet: Keine nationale Untersuchung der Kirche

Der Bund wird keine Untersuchung über den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche initiieren. Eine entsprechende Motion wurde abgelehnt, da die Verantwortung bei den Kantonen liege. Im Wallis wird die Politik hingegen aktiv.

Nach Veröffentlichung der Pilotstudie zum sexuellen Missbrauch im kirchlichen Umfeld im September forderte Ständerat Carlo Sommaruga (SP/GE): Der Bundesrat müsse sich der Sache annehmen und eine eigene Untersuchung lancieren. Nun hat der Bundesrat reagiert. In seiner Antwort versicherte er am 29. November, dass er «sehr betroffen von den Enthüllungen über die katholische Kirche» sei. Er meinte aber, er habe «weder die Kompetenzen noch die Verantwortung», in diesem Bereich tätig zu werden. Das berichtete die Westschweizer Zeitung «Le Matin».

Erste Interpellation im Jahr 2010

Die Schweizer Regierung begründete ihre Antwort mit Artikel 72 der Bundesverfassung. Dieser besagt, dass «die Regelung der Beziehungen zwischen Kirche und Staat in den Zuständigkeitsbereich der Kantone fällt». «Der Bundesrat erwartet von allen kantonalen Behörden, einschliesslich der Staatsanwaltschaften, dass sie ihre Verantwortung wahrnehmen», so die Regierung.

Ständerat Carlo Sommaruga
Ständerat Carlo Sommaruga

Carlo Sommaruga hatte die Motion nach der Veröffentlichung der Pilotstudie über sexuellen Missbrauch im kirchlichen Kontext am 12. September eingereicht. Die Studie war von der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz in Auftrag gegebenen und von der Universität Zürich realisiert worden. Sie erfasste seit den 1950er Jahren über 1000 Fälle.

«Die Studie wird auch die mögliche Verantwortung der Kantone und des Bundes aufzeigen.»

«Die jüngste Studie der Universität Zürich deutet darauf hin, dass noch umfassendere Forschungsarbeit geleistet werden muss», meinte der Ständerat. (…) Der von Sommaruga geforderte Bericht solle «nicht nur die Verantwortung der katholischen Kirche und ihrer Mitglieder für die Begehung der Taten oder deren Vertuschung vor der Zivilstrafjustiz darlegen. Sie wird auch die mögliche Verantwortung der Kantone und des Bundes aufzeigen, die keine angemessenen Massnahmen zum Schutz der Kinder ergriffen und die Verantwortlichen nicht vor Gericht gebracht haben».

Carlo Sommaruga hatte bereits 2010 zu diesem Thema eine Interpellation eingereicht, nachdem in mehreren Regionen der Welt Skandale in der Kirche aufgedeckt worden waren. Der Genfer Sozialdemokrat bedauerte, dass man 13 Jahre habe warten müssen, bis der Bericht der Universität Zürich das Ausmass des Schadens aufzeigte und «Systeme zum Schutz der Missbrauchstäter in der Kirche sowie das Fehlen einer systematischen Meldung von Verbrechen und Vergehen an die zivilen Strafverfolgungsbehörden» enthüllte.

Kanton Wallis untersucht mögliche Fehlfunktionen

Auch die politischen Instanzen des Kantons Wallis diskutieren die Missbrauchsfälle im Zusammenhang mit der Kirche im Kanton. Der Walliser Justizrat befasste sich am 30. November 2023 mit den Fällen rund um die Abtei Saint-Maurice, welche das Westschweizer Fernsehen RTS am 19. November ans Licht gebracht hatte. Die Aufsichtsbehörde untersuche mögliche Fehlfunktionen der Justiz in dieser Angelegenheit und bewertete ihren Handlungsspielraum, wie die Zeitung «Le Courrier» berichtet.

Die Abtei Saint-Maurice
Die Abtei Saint-Maurice

Die RTS-Sendung «Mise au Point» hatte insbesondere die Zeugenaussage von Mélanie Bonnard ins Zentrum gestellt. Diese berichtet in der Sendung, dass sie Anfang der 2000er Jahre als zwölfjährige von einem Chorherrn sexuell missbraucht worden sei. Sie hatte damals Anzeige erstattet, aber die Ermittlungen wurden eingestellt. Die Reportage von RTS zeigte, dass ein Brief existiert. In diesem dankte der beschuldigte Kanoniker dem Untersuchungsrichter dafür, dass er die Ermittler angewiesen habe, die Ermittlungen einzuschränken. Carole Melly-Basili, die Vorsitzende des Justizrats, erklärte, diese Äusserungen seien «schockierend (…), auch wenn sie aus dem Zusammenhang gerissen werden».

Sanktionen gegen Untersuchungsrichter unwahrscheinlich

Der Handlungsspielraum des Justizrats sei sehr eng, wenn nicht gar inexistent für die von der Presse aufgedeckten Fälle, die die Jahre 1995 bis 2005 betreffen, liess Carole Melly-Basili verlauten. Ein Disziplinarverfahren gegen einen Magistrat sei nicht mehr möglich, wenn die Vorfälle mehr als fünf Jahre zurücklägen.

Ausserdem gebe es das Amt des Untersuchungsrichters seit der Einführung der vereinheitlichten Zivilprozessordnung 2011 nicht mehr. «Angesichts des veränderten Kontexts und der Tatsache, dass das Amt nicht mehr existiert, können wir nicht mehr eingreifen», heisst es seitens des Justizrats.

Missbrauchsvorwürfe gegen neun Chorherren

Zusammen mit dem Fall von Mélanie Bonnard enthüllte die Sendung «Mise au Point», dass insgesamt neun Chorherren der Abtei Saint-Maurice von Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs betroffen sind, darunter der derzeitige Prior Roland Jaquenoud. Letzterer trat daraufhin in den Ausstand.

Die Walliser Polizei hatte sich Ende November 2023 in die Abtei begeben, um im Rahmen einer Voruntersuchung um festzustellen, ob es dort strafrechtlich relevante Fälle gebe. (cath.ch/rp)


Bundesraetin Elisabeth Baume-Schneider | © Keystone / Peter Schneider
5. Dezember 2023 | 14:53
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