Kommunikation ermöglicht Meinungsvielfalt: Bischof Paul Hinder und Papst Franziskus in Bahrain.
Theologie konkret

Bischof Paul Hinder über Bahrain-Reise: Franziskus versteht sich als Bruder

Rundum zufrieden mit der Bahrain-Reise des Papstes ist Bischof Paul Hinder (80). Franziskus habe die Einhaltung von Menschenrechten deutlich eingefordert. Ein Gespräch über Franziskus’ Fiat, die Polygamie muslimischer Herrschenden – und sakralen Kitsch, der auf der arabischen Halbinsel bestens ankommt.

Raphael Rauch

Wie lautet Ihr Fazit zu Franziskus’ Bahrain-Besuch?

Bischof Paul Hinder*: Für ein Fazit ist es noch zu früh. Die Reise war ein voller Erfolg, alles hat gut geklappt. Klar wurde: Franziskus ist ein Mann des Friedens und versteht sich auch gegenüber Muslimen als Bruder. Vor allem für die Katholikinnen und Katholiken, die in Arabien ja eine Minderheit bilden, war die Reise eine grosse Ermutigung und Ehre. Es herrschte tagelang eine grosse Freude. Der Papst-Besuch war ein Fest des Glaubens, der Kirche und der Erbauung. Nicht jeden Tag erhalten wir als Kirche solche Komplimente.

Der Schweizer Kapuziner Paul Hinder ist emeritierter Bischof von Abu Dhabi.
Der Schweizer Kapuziner Paul Hinder ist emeritierter Bischof von Abu Dhabi.

Sie sind mit 80 Jahren einer der dienstältesten Bischöfe. Hat Papst Franziskus Ihnen mitgeteilt, wann Ihr Nachfolger kommt und Sie zurück in die Schweiz dürfen?

Hinder: Nein. Aber ich habe ihm gesagt, dass ich froh wäre, wenn der Nachfolger bald mal käme. Papst Franziskus hat dann herzlich gelacht und gesagt: «Du hast Recht, aber es ist gar nicht so einfach, einen Nachfolger zu finden.»

Papst Franziskus und der König von Bahrain. In der Mitte, halb verdeckt: Bischof Paul Hinder.
Papst Franziskus und der König von Bahrain. In der Mitte, halb verdeckt: Bischof Paul Hinder.

Sie gehören zu den wenigen Bischöfen, die zwei Mal in kurzer Zeit Papst Franziskus empfangen konnten. Was unterscheidet die Abu-Dhabi-Reise von 2019 von der Bahrain-Reise 2022?

Hinder: 2019 war die Erklärung von Abu Dhabi das entscheidende Thema. Ich hatte den Eindruck, dass es um eine theologische Annäherung und um Geopolitik ging – nicht aber darum, die Gläubigen in den Emiraten kennen zu lernen. Papst Franziskus war 2019 ja nur ganz kurz in Abu Dhabi. Für Bahrain hat er sich hingegen vier Tage Zeit genommen. Es gab viel mehr Gelegenheit für Gespräche und Begegnungen.

Messe mit Paul Hinder, Administrator des apostolischen Vikariats von Nordarabien, und Papst Franziskus in Bahrain.
Messe mit Paul Hinder, Administrator des apostolischen Vikariats von Nordarabien, und Papst Franziskus in Bahrain.

Was war Ihr persönliches Highlight?

Hinder: Die Messe im Stadion. Papst Franziskus ist wegen seines Knieleidens eingeschränkt. Er hat mich gebeten, von der Gabenbereitung bis zur Kommunion der Messe vorzustehen. Das war wie ein Bouquet zum Schluss meiner Tätigkeit als Bischof.

Papst Franziskus (l.) und Scheich Hamad bin Isa Al Chalifa, König von Bahrain, bei einem offiziellen Empfang.
Papst Franziskus (l.) und Scheich Hamad bin Isa Al Chalifa, König von Bahrain, bei einem offiziellen Empfang.

Sie waren wie Papst Franziskus Gast des Königs von Bahrain. Wie kann ich mir seinen Palast vorstellen?

Hinder: Der Papst war mit seinem engsten Stab im Gästehaus des Königs untergebracht, das für hohe Staatsbesuche vorgesehen ist. Ich war Teil der päpstlichen Entourage, die in einem königlichen Hotel in nächster Nähe wohnte. Die ganze Anlage in einem grossen Park kann sich durchaus sehen lassen. Es war zwar kein Sieben-Sterne-Hotel, aber schon ein Luxushotel. Aber Papst Franziskus legt darauf bekanntlich keinen Wert.

Papst Franziskus im Fiat in Bahrain. Für die Sicherheit ist auch die Schweizergarde zuständig.
Papst Franziskus im Fiat in Bahrain. Für die Sicherheit ist auch die Schweizergarde zuständig.

Er kam auch im bescheidenen Fiat angefahren. Wie kommt so etwas vor Ort an?

Hinder: Als Kapuziner freut es mich, dass Papst Franziskus Gesten der Bescheidenheit wählt. Solche Zeichen werden sehr wohl registriert, weil die Mächtigen und Herrscher ja in protzigen Limousinen vorfahren. Aber es ist nicht so, dass die schicken Schlitten die Menschen unbeeindruckt lassen. Viele träumen davon, selbst einmal reich zu sein und ein Luxus-Auto zu fahren. Wobei auch die Herrschenden Zeichen der Bescheidenheit aufgreifen.

«Der Sessel muss verschwinden, ein normaler Stuhl tut’s auch.»

Fällt Ihnen ein Beispiel ein?

Hinder: Wir hatten mal eine Veranstaltung in einer Kirche. Die Pfarrei hat für einen Herrscher einen auffälligen Polstersessel organisiert, weil sie dachte: Der Herrscher will einen Thron! Doch das Team des Herrschers meinte: Der Sessel muss verschwinden, ein normaler Stuhl tut’s auch.

Papst Franziskus giesst in Bahrain eine Palme.
Papst Franziskus giesst in Bahrain eine Palme.

Welche Signale gehen von der Papst-Reise nach Bahrain aus?

Hinder: Ich bin dem Papst dankbar, dass er stark für das Thema Religionsfreiheit eingetreten ist. Und dass Religionsfreiheit mehr meint als Gottesdienste zu feiern. Religionsfreiheit bedeutet die Freiheit, selbstbestimmt über den eigenen Glauben zu entscheiden und diesen frei zu leben. Das bedeutet also auch, sich von einem Glauben loszusagen oder die Konfession zu wechseln. Das ist in der arabischen Welt ein sehr heikles Thema. Wir dürfen als Christinnen und Christen nicht zu sichtbar auftreten, weil die Machthaber Angst vor dem Missionieren und vor Proselytismus haben.

«Es gibt ein Konglomerat verschiedener Kulturen, Traditionen, Sprachen und unterschiedlicher Formen von Spiritualität.»

Welche Signale nehmen Sie noch mit?

Hinder: Unsere Kirche steht für Einheit in der Verschiedenheit. Wir feiern Gottesdienste in zig Sprachen – von Englisch bis Tagalog für die Menschen aus den Philippinen. Die arabische Halbinsel ist kein Schmelztiegel der Kulturen, weil die Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter ja nur zu Gast hier sind. Aber es gibt ein Konglomerat verschiedener Kulturen, Traditionen, Sprachen und unterschiedlicher Formen von Spiritualität. Das sorgt für Spannungen, aber auch für eine Vielfalt, die eben das Allumfassende des Katholischseins ausmacht.

Papst Franziskus.
Papst Franziskus.

Hat es Sie überrascht, wie deutlich Papst Franziskus Menschenrechtsverletzungen angeprangert hat?

Hinder: Nein, damit habe ich gerechnet. Der Papst weiss um die schwierigen Arbeitsbedingungen – das beschäftigt ihn sehr. Ich finde, Franziskus hat kluge Worte gewählt. Einerseits war er diplomatisch, ein Brückenbauer. Gleichzeitig hat er mit der nötigen Deutlichkeit gesprochen – und zwar nicht nur an die Adresse von Bahrain, sondern an die Adresse aller Staaten in Arabien und auf der ganzen Welt. 

Miguel Angel Ayuso Guixot
Miguel Angel Ayuso Guixot

Manche Vaticanisti haben sich gefragt, warum der Kardinal für den interreligiösen Dialog, Miguel Ayuso, nicht im offiziellen Programm stand. Was hatte es damit auf sich?

Hinder: Aus meiner Sicht ist das ein nebensächliches Detail. Niemand bezweifelt, wie wichtig Kardinal Ayuso ist. Er stammt aus Andalusien – einer Region, die für den christlich-islamischen Dialog eine besondere Symbolik hat. Er spricht fliessend Arabisch – so etwas kommt bei den Imamen, Sultanen und Emiren sehr gut an. Es ist ein Zeichen grosser Sympathie und Wertschätzung, wenn man Arabisch lernt. Kardinal Ayuso wird auch von den muslimischen Gesprächspartnern gut akzeptiert. Ich finde es nicht unüblich für den Heiligen Stuhl, das Programm nicht en détail im Vorfeld auszuplaudern. Die Behörden in Bahrain waren ohnehin nicht begeistert, dass so manche Details zur Reise im Vorfeld durchgesickert sind. Sie sahen darin ein Sicherheitsrisiko.

Bischof Paul Hinder segnet Gläubige nach einer Messe. Aufnahme aus dem Jahr 2018.
Bischof Paul Hinder segnet Gläubige nach einer Messe. Aufnahme aus dem Jahr 2018.

Sie sind nun auf dem Sprung nach Saudi-Arabien. Werden Sie dort MbS treffen, den mächtigen saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman?

Hinder: Nein, ich treffe mich nicht mit staatlichen Autoritäten. Ich möchte nicht ins Detail gehen, wie genau das kirchliche Leben in Saudi-Arabien aussieht. Denn je weniger darüber bekannt wird, desto besser. Nur so viel: Ja, es gibt Gottesdienste und Priester in Saudi-Arabien. Aber die müssen sehr diskret vorgehen. Es gibt keine sichtbaren Kirchen und keine offiziellen Gottesdienste. Unsere Priester treten in der Öffentlichkeit auch nicht sichtbar als Priester auf. Ich freue mich sehr auf die Reise, weil ich zuletzt vor zehn Jahren in Saudi-Arabien war.

Mekka
Mekka

Waren Sie schon einmal in Mekka? Oder ist dieser heilige Ort für einen Nicht-Muslimen tabu?

Hinder: Mekka ist für Nicht-Muslime tabu. Ich halte mich an diese Regel und war deshalb auch nie dort.

Papst Franziskus in Bahrain.
Papst Franziskus in Bahrain.

Was wird vom Papstbesuch in Bahrain noch in Erinnerung bleiben? 

Hinder: Auf jeden Fall Souvenirs, die Europäer kitschig empfinden (lacht). Die Menschen aus Indien, Sri Lanka und den Philippinen sind sakralem Kitsch nicht abgeneigt und werden Souvenirs kaufen, die an den Papst-Besuch erinnern. Dieses Wochenende wird eine Gedenk-Münze herausgegeben, die ebenfalls an den Papst-Besuch erinnert. Wichtiger als käufliche Souvenirs sind für mich aber die Erinnerungen in den Herzen. Es ist beeindruckend, welchen Weg der katholisch-muslimische Dialog nach Benedikts problematischer Regensburger Rede zurückgelegt hat. Franziskus’ Reisen nach Abu Dhabi, Marokko, in den Irak, nach Kasachstan und jetzt nach Bahrain verdeutlichen, wie wichtig ihm der Dialog mit dem Islam ist. Papst Franziskus hat in Bahrain «Fratelli tutti» mit Leben gefüllt. Er war zu Gast bei seinen Geschwistern. 

"Our Lady of Arabia": Papst Franziskus in Bahrain.
"Our Lady of Arabia": Papst Franziskus in Bahrain.

Apropos Kitsch: Wie finden Sie die Figur in der Kathedrale von Bahrain «Our Lady of Arabia» mit den zwei Engelchen?

Hinder: Ich habe die Statue nicht angeschafft. Aber unseren Leuten gefällt sie. Je bunter die Statuen und Bilder von Heiligen sind, desto besser.

Stört es Sie eigentlich, dass die arabischen Herrscher polygam leben können?

Hinder: Ich fühle mich dafür nicht zuständig (lacht). Das gehört zur Kultur und Tradition im Orient – wir kennen das ja aus dem Alten Testament. Die meisten Herrscher, die ich kenne, leben zumindest offiziell monogam. Die lassen sich die Tür zur Polygamie allenfalls offen. Aber ehrlich gesagt möchte ich nicht in die Schlafzimmer der Herrschenden schauen – so wie mich auch die Schlafzimmer der Katholikinnen und Katholiken nicht interessieren.

Bischof Paul Hinder (80) ist im Thurgau aufgewachsen. Der Kapuziner lebt seit 2004 in Abu Dhabi. Zunächst war er Weihbischof und dann Bischof. Im Laufe seines Episkopats war er sowohl für das südliche als auch für das nördliche Vikariat Arabiens zuständig. 

Im Mai 2022 hat Papst Franziskus Bischof Paul Hinders altersbedingten Rücktritt angenommen. Für das südliche Vikariat gibt es inzwischen einen Nachfolger: den italienischen Kapuziner Paolo Martinelli. Für das nördliche Vikariat ist weiterhin Bischof Paul Hinder zuständig – und zwar als Apostolischer Administrator. Somit war er Gastgeber von Papst Franziskus, der vom 3. bis zum 6. November Bahrain besuchte.


Kommunikation ermöglicht Meinungsvielfalt: Bischof Paul Hinder und Papst Franziskus in Bahrain. | © KNA
13. November 2022 | 05:00
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