Bischof Markus Büchel (mit Mikrofon) im Talk mit dem St. Galler Kantonalkirchensprecher Roger Fuchs
Schweiz

Bischof Markus Büchel: «Der Zölibat könnte morgen abgeschafft werden»

Der St. Galler Bischof hat im Kirchenparlament Stellung genommen: zu Zölibat, Frauenpriestertum, Priestern aus anderen Kulturen und traditionellen Gläubigen – und zur Mumie Schepenese: «Die Mumie gehört zum Stiftsbezirk.»

Regula Pfeifer

Im Kantonsratssaal mitten im Stiftsbezirk sind die rund 200 St. Galler Kirchenpolitikerinnen und -politiker versammelt. Sie lauschen dem Podiumsgespräch mit Bischof Markus Büchel. Roger Fuchs, der Kommunikationsverantwortliche der St. Galler Kantonalkirche, stellt Fragen: kritische, persönliche, provozierende.

Wasser verwandeln

Dabei kommt es immer wieder zu witzigen Aussagen. Als Roger Fuchs dem Bischof Wasser einschenkt, sagt dieser: «Ich kann’s dann auch noch verwandeln.» Das Publikum lacht. «Solange er mich nicht verwandelt, ist gut», meint Roger Fuchs – und erntet ebenfalls Heiterkeit.

Katholische Kollegiumssession am 22. November 2022 mit Bischof Markus Büchel (r.) und Roger Fuchs (l.).
Katholische Kollegiumssession am 22. November 2022 mit Bischof Markus Büchel (r.) und Roger Fuchs (l.).

Besonders pointiert äussert sich der Bischof zum Zölibat. «Der Zölibat könnte von der Gesamtkirche morgen abgeschafft werden», sagt er. Denn das sei «ein kirchliches Gebot». Entstanden sei es vor rund tausend Jahren – aus Missständen heraus. Und zwar, als die Orden aufkamen. «Das zölibatäre Leben ist eigentlich dort beheimatet, wo die Menschen in einer Gemeinschaft leben.»

Zölibat als Frage des Zusammenlebens

«In anderen Ländern bilden die Priester mit dem Bischof zusammen eine grosse Kommunität – und leben teilweise sogar zusammen», führt der Bischof weiter aus. Ob er meint, dass dort der Zölibat also noch sinnvoll ist, bleibt offen.

Er beschreibt aber die ganz andere Situation in der Schweiz. «Bei uns führt jeder Priester seinen eigenen Haushalt und lebt alleine.» Daraus ergibt sich für den Bischof eine ganz andere Herausforderung: Der Priester muss in dieser individualisierten Gesellschaft als Seelsorger tätig sein und gleichzeitig allein leben. «Wir sind dran, Wege zu suchen, wie wir damit umgehen können», sagt er. Was für Wege das sind, erfährt das Publikum nicht.

«Die Mumie gehört zum Stiftsbezirk.»

Bischof Markus Büchel

Auch zur Milo-Rau-Aktion zur ägyptischen Mumie Schepenese in der Stiftsbibliothek wird der Bischof befragt. Er antwortet klar: «Die Mumie gehört zum Stiftsbezirk.» Und er kritisiert die Aktion des Regisseurs: «Ich fand die ganze Aktion im Zusammenhang mit der Verleihung des Kulturpreises überspannt. Die Reaktionen darauf waren entsprechend.»

Die Schepenese-Mumie in der Stiftsbibliothek St. Gallen.
Die Schepenese-Mumie in der Stiftsbibliothek St. Gallen.

Ausgestellter Papst-Kopf schaudert Büchel

Ob er die Ausstellung der Mumie ethisch-moralisch verwerflich finde, hakt Roger Fuchs nach. «Nein», antwortet Markus Büchel. «Mich stört mehr, dass Papst Johannes XXIII. im Vatikan so ausgestellt ist. Den kannte ich.» Es schaudere ihn immer, wenn er dessen einbalsamierten Kopf in den vatikanischen Grotten sehe. «Damit habe ich persönlich Mühe.» Johannes XXIII. war 1958 bis 1963 Papst.

Statt über die Mumie zu reden, möchte der Bischof lieber über unsere Bestattungskultur nachdenken. «Unsere Bestattungskultur hat durch Corona sehr stark gelitten», sagt er. «Und auch jetzt läuft es nicht so, wie wir eigentlich dachten.»

Frauenfrage «endlich auf dem Tisch»

Dass die Frauenfrage in der Kirche «endlich auf dem Tisch ist», gefällt dem St. Galler Bischof. Vor rund 20 Jahren seien Frauenanliegen noch als lästig empfunden worden. Und doch unterschwellig da gewesen. Jetzt sei dieses Anliegen von fast allen europäischen Ländern eingebracht worden. Und habe im Vorbereitungsdokument für die europäische Synode in Prag einen «prominenten Platz».

Die Schweiz nehme hier eine Vorreiterinnenrolle ein, findet der St. Galler Bischof. «Wir haben das Mögliche, was auch theologisch verantwortbar ist, geschafft: Frauen sind auch in der Liturgie gegenwärtig, sie haben als Sonderbeauftragte einen Status als Seelsorgerinnen erhalten.»

Dorothee Becker leitet eine Kommunionfeier in der Kirche St. Franziskus, Riehen.
Dorothee Becker leitet eine Kommunionfeier in der Kirche St. Franziskus, Riehen.

Priesterinnen-Frage: «langer und schwieriger Prozess»

Der Bischof verweist auf die Tagung zur Sakramentalität – zu der die Bischofskonferenz und die katholischen Frauenorganisationen im September geladen hatten. Da seien die Grundlagen für das sakramentale Handeln auch von Frauen geschaffen worden. Doch das sei erst der Anfang. Bis das durchdringe in den Kirchen der Länder weltweit: «Das ist ein langer, langer Prozess.»

Deshalb findet er einmal mehr: «Schwierig ist, wenn sich die Frauenfrage in der Frage zeigt, ob Frauen Priesterinnen sein dürfen oder nicht. Das ist gesamtkirchlich ein ganz langer und schwieriger Prozess.» Gleichzeitig merkt Büchel an: «Frauen sind Priesterinnen, Prophetinnen und Königinnen durch die Taufe.»

Wie das Priesteramt lebbar machen?

Auch zu den Priestern aus anderen Kulturen soll der Bischof Stellung nehmen. Da spielt er erst den Ball zurück: «Die Frage ist: Wie können wir den Priesterberuf so stärken, dass er attraktiv und lebbar ist für die Menschen hier in der heutigen Zeit?» Denn «eigentlich sollte eine Kirche so lebendig sein, dass alle Priester aus dem eigenen Saft sind».

Doch das sei seit langem nicht mehr der Fall. Früher seien Priester aus den deutschsprachigen Nachbarländern geholt worden, da es dort noch genug Theologiestudierende gab. Nun kämen die Priester von weiter her und sprächen eine andere Sprache. «Es ist unsere Aufgabe, ihnen zu helfen, damit ihre Dienste bei uns ankommen», sagt Büchel. Migrantinnen und Migranten sind für ihn «eine Bereicherung».

Kathedrale St. Gallen mit Verwaltungsgebäuden des Bistums.
Kathedrale St. Gallen mit Verwaltungsgebäuden des Bistums.

Vorteil: kurze Wege

Dann darf der Bischof auch ein Lob kommentieren. Nämlich die Frage, weshalb das Bistum St. Gallen vergleichsweise wenig Kritik einstecken muss. «Wir sind ja das beste Bistum», sagt Büchel – unter Lachen und grossem Applaus. Dann gibt’s doch noch eine seriöse Erklärung: «Wir haben einen grossen Vorteil. Wir sind ein übersichtliches Bistum – St. Gallen und Appenzell eingeschlossen.» Das zeigt sich im Alltag so: «Ein Bistum sollte so gross sein, dass der Bischof die Pfarreien noch kennt und der Reihe nach – in einem gewissen Turnus – besuchen kann. Das ist bei uns möglich.» Die Kleinheit führt der Bischof mehrfach ins Spiel: «Wir sind offen und nahe, wir reden miteinander.»

Die Bistümer Basel, Chur und Lausanne-Genf-Freiburg seien demgegenüber viel grösser – und hätten zudem teilweise unterschiedliche staatskirchenrechtliche Strukturen.

Das Kollegium belohnt den witzigen St. Galler Bischof Markus Büchel mit einer Standing Ovation.
Das Kollegium belohnt den witzigen St. Galler Bischof Markus Büchel mit einer Standing Ovation.

Leidige Debatte ums duale System

Am dualen System will der St. Galler Bischof auch unbedingt festhalten. «Wir sind miteinander Kirche», sagt er. «Wir spielen alle auf dasselbe Goal», meint er mit Verweis auf die laufende Fussballweltmeisterschaft. «Das dauernde Infragestellen eines Systems, das bei uns gewachsen ist und spielt, war etwas vom Schwierigsten, was ich erlebt habe als Bischof.»

Aber sonst betont er: «Ich bin noch gerne Bischof – und immer lieber.» Denn Vieles kenne er inzwischen. Zudem habe er das Glück, in der Bistumsleitung immer eine «gute Equipe» zu haben, die ihn unterstütze und Verantwortung übernehme. Die Frage, wie lange er als Bischof erhalten bleibe, beantwortet er mit Witz: «Ich möchte 100 Jahre alt werden.» Denn Bischof wird er auch noch sein, wenn er von seinem Amt zurückgetreten sein wird.

Die Schlusspointe quittieren die Anwesenden mit Lachen, Klatschen und Trampeln – einer Standing Ovation. «Alles, was nach meinem Tod geschrieben wird – da bin ich froh, wenn ich das nicht mehr lesen muss.»

Das Gespräch fand aus Anlass des 175-Jahr-Jubiläums des Bistums und zum Auftakt der Sitzung des St. Galler Kollegiums – des Kirchenparlaments – statt.


Bischof Markus Büchel (mit Mikrofon) im Talk mit dem St. Galler Kantonalkirchensprecher Roger Fuchs | © Regina Kühne
22. November 2022 | 18:25
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