Jean-Marie Lovey, Bischof von Sitten
Schweiz

Bischof Lovey: «Das Steuersystem lädt ein zum Verzicht auf die Heirat»

Brig, 12.2.16 (kath.ch) Der Bischof von Sitten, Jean-Marie Lovey, hat sich hinter die CVP-Initiative gegen die «Heiratsstrafe» gestellt, über die am 28. Februar abgestimmt wird. Die Ehe habe für die Mehrheit der Walliser und der Schweizer weiterhin eine grosse Bedeutung, sagte er am Freitag, 12. Februar, an einem Treffen mit Medienvertretern in Brig. Das Steuersystem setze jedoch falsche Anreize, so Lovey. Zur Durchsetzungsinitiative äusserte sich der Bischof kritisch. Hauptthema des Anlasses war das «Jahr der Barmherzigkeit».

Barbara Ludwig

Rund zehn Journalistinnen und Journalisten hatten die Einladung von Lovey angenommen. Ort des Treffens war nicht etwa die bischöfliche Residenz in Sitten, sondern – passend zum Hauptthema – ein Altersheim in Brig im deutschsprachigen Oberwallis. Dabei ging es auch darum zu zeigen, an welchen Orten die Kirche im Bistum Sitten tätig ist, um die Botschaft von der Barmherzigkeit Gottes konkret zu leben: Zum Beispiel in Spitälern und Altersheimen.

«Barmherzigkeit hat ein Gesicht»

«Barmherzigkeit ist kein abstrakter Begriff. Barmherzigkeit hat ein Gesicht», sagte ein asketisch wirkender Lovey. Der offizielle Text, der das «Jahr der Barmherzigkeit» ankündigt, habe nicht umsonst den Titel «Misericordia Vultus», das Gesicht der Barmherzigkeit. Die Menschen hätten Vergebung nötig. Sich als sündhafter Mensch anzuerkennen, sei jedoch nicht demütigend, so Lovey. Dies sei vielmehr ein «Weg, der uns entdecken lässt, wer Gott in seinem ureigenen Wesen ist. Gott ist Barmherzigkeit.»

Damit ist es aber noch nicht getan. Lovey sagte auch, dass es darum gehe, auf die von Gott erhaltene Barmherzigkeit zu antworten. Wie denn? Indem man sich gegenüber anderen mitfühlend zeigt. «Dazu werden wir fähig, weil uns das Erbarmen Gottes berührt.» Der Bischof ermunterte die Gläubigen, sogenannte Werke der Barmherzigkeit zu tätigen. Welches Gesicht die göttliche Barmherzigkeit im Bistum Sitten annehmen kann, erläuterten anschliessend Paul Martone, Pfarrer von Brig, und zwei Seelsorgerinnen am Beispiel der Seelsorge im Gesundheitswesen der Region Brig.

Die Ausführungen zur Barmherzigkeit und die zum «Jahr der Barmherzigkeit» geplanten Aktionen der Diözese schienen einen Teil der Vertreter der vorwiegend regionalen Medien nicht sonderlich zu interessieren. Als Lovey aber auf die CVP-Initiative gegen die «Heiratsstrafe» zu sprechen kam, spitzten alle die Ohren. Dabei hatte bereits die Schweizer Bischofskonferenz (SBK) positiv dazu Stellung genommen. Die SBK äussere sich jeweils im Vorfeld von Volksabstimmungen, wenn es um ethische Fragen gehe, erklärte der Sittener Bischof. Dieses Mal habe sie sich zur CVP-Initiative gegen die «Heiratsstrafe» und zur Durchsetzungsinitiative der SVP zu Wort gemeldet.

Familie nicht überholt

Die Familie sei kein Modell der Vergangenheit, sagte Lovey. «Sie stellt für eine Mehrheit der Walliser und der Schweizer einen privilegierten Ort des Austauschs, des Teilens und der Vermittlung von Werten dar, die für das Leben in der Gesellschaft wesentlich sind.» Laut Angaben des Bundesamtes für Statistik wurden 2014 in der Schweiz knapp 42’000 Ehen geschlossen, was eine Zunahme von 5,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr darstelle, so der Bischof. Dem stünden 720 eingetragene Partnerschaften gegenüber.

Die CVP-Initiative will nicht nur die steuerliche Diskriminierung von Ehepaaren abschaffen, sondern auch eine Definition von Ehe in der Verfassung verankern, was dafür sorgt, dass sie heiss umstritten ist. Lovey machte darauf aufmerksam, dass die von der Initiative vorgeschlagene Definition der Ehe als «auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau» sich in verschiedenen Rechtsgrundlagen wiederfinde, so auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Aus Sicht der Kirche sei es angebracht, die Initiative zu unterstützen. Immer mehr junge Menschen hätten in wirtschaftlich unsicherer Zeit Angst, eine Familie zu gründen, sagte Lovey. Die steuerliche Benachteiligung verheirateter Paare gegenüber Konkubinatspaaren verstärke diese Zurückhaltung. «Das Steuersystem lädt ein zum Verzicht auf die Heirat.»

Kritik an Durchsetzungsinitiative

Kritische Worte hatte der Bischof für die Durchsetzungsinitiative übrig. Die Pflicht, Fremde aufzunehmen, leite sich aus dem Evangelium ab, antwortete er auf die Frage eines Journalisten. Und die Kirche habe immer gefordert, aufmerksam zu sein für die Bedürfnisse der Schwächsten. «Die von der Initiative betroffenen Mitbürger gehören oft zu dieser Kategorie von Personen», stellte Lovey fest. (bal)

 

Jean-Marie Lovey, Bischof von Sitten | © Barbara Ludwig
13. Februar 2016 | 09:00
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