Armin Haiderer
Konstruktiv

Armin Haiderer: Jede Investition ins Ehrenamt ist eine Investition in die Zukunft

Das Ehrenamt befindet sich in grossem Wandel, sagt Armin Haiderer, der eine grossangelegte Studie dazu veröffentlicht hat. Die Kirche wird zukünftig ein begrenztes Ehrenamt haben. Es muss über Leitung einer Pfarrei neu nachgedacht werden. Und: Hauptamtliche haben im Umgang mit Ehrenamtlichen Nachholbedarf.

Jacqueline Straub

Wie hat sich das Ehrenamt in den vergangenen 10 bis 20 Jahren verändert?

Armin Haiderer*: Die längerfristige Bindung der klassischen Ämterstruktur ist mehr und mehr abschreckend für Ehrenamtliche. Die breitangelegte Studie, die ich zusammen mit dem Wiener Pastoraltheologen Paul M. Zulehner durchgeführt habe, hat gezeigt: Die Ehrenamtsstruktur befindet sich stark im Wandel.

«Was bei uns wirklich boomt, ist die Kinderkirche.»

Was konkret ändert sich?

Haiderer: Das projektbezogene Arbeiten im Ehrenamt wird immer mehr. Was bei uns wirklich boomt, ist die Kinderkirche. Da gibt es Eltern, vor allem Mütter, die sich vorstellen können, ein oder zweimal im Jahr so einen Gottesdienst vorzubereiten – und die meisten auch nur so lange, wie die eigenen Kinder noch klein sind. In der bisherigen Ehrenamtsstruktur gehen sie eher unter, weil diese noch von einer langen Dauer des Ehrenamtes ausgeht.

Studie über Ehrenamt von Armin Haiderer und Paul M. Zulehner
Studie über Ehrenamt von Armin Haiderer und Paul M. Zulehner

In Ihrem Buch «…weil es mir Freude macht. Ehrenamt macht die Kirchen zukunftsfit» schreiben Sie auch, dass der Trend hin zu einem charismenorientierten Ehrenamt geht. Was meinen Sie damit?

Haiderer: Ich besetze in der Pfarrei nicht etwas, weil es besetzt werden muss oder schon immer gegeben hat, sondern ich schaue, was für Menschen ich habe und was diese einbringen können.

Brechen dann nicht herkömmliche Angebote in den Pfarreien weg?

Haiderer: Es ist eine Illusion zu glauben, dass alles, was in den 1970er-Jahren gemacht und genutzt wurde, heute noch sein muss. Ein kleines Beispiel: Wenn es seit 60 Jahren eine Nachwallfahrt nach Mariazell gibt und diese vor Jahrzehnten mehrere hundert jugendliche Teilnehmende hatte, heute aber nurmehr 20 zwangsverpflichtete Jugendliche hat, dann muss man sich schon fragen, wie sinnvoll das ist.

Tod
Tod

Was braucht es da?

«Man muss den Mut haben, gewisse Dinge gegebenenfalls sterben zu lassen.»

Haiderer: Man muss den Mut haben, gewisse Dinge zu überdenken und gegebenenfalls sterben zu lassen. Denn eines ist klar und notwendig: Es wird nicht mehr Ressourcen geben. Wenn man Neues angehen will, kann das nur bedeuten, bei Altem einzusparen.

Schafft die Kirche diesen Wandel vom ämterbasierten zum charismenorientierten Ehrenamt?

Haiderer: Das ist die absolute Hauptfrage. Viele sind uns voraus, vor allem die politischen Parteien oder auch die Blaulichtorganisationen, die sind auch grösstenteils ehrenamtlich organisiert. Die Meisterfrage ist, was kann und soll die Kirche tun…

… und wer vor allem?

Haiderer: Die grossen Strukturänderungen muss eine Diözese schaffen. Obschon sich viel von unten bewegt. Das alte Ehrenamt, das man aus Ehre oder weil es sich gehört sich zu engagieren, wird aussterben. Das neue Ehrenamt will eh arbeiten. Was wesentlich ist: Das neue Ehrenamt setzt viel mehr auf Selbstverwirklichung.

«Ehrenamtliche wünschen sich eine profunde Aus- und Weiterbildung.»

Wie wird Ehrenamt attraktiv?

Haiderer: Ehrenamtliche wünschen sich eine profunde Aus- und Weiterbildung. Eine strukturierte Möglichkeit, dass sie Informationen für ihre ehrenamtliche Tätigkeit – etwa dem Gestalten eines Kindergottesdienstes – erhalten, ist Aufgabe der Diözese. Diese könnten Fortbildungen im Dekanat anbieten. Ebenso wird eine begrenzte Dauer des Ehrenamtes, auch projektbezogenes Engagement bevorzugt. Dadurch erweitert sich, meiner Meinung nach, der Pool von Ehrenamtlichen enorm.

Armin Haiderer
Armin Haiderer

Warum plädieren Sie für ein zeitlich begrenztes Ehrenamt?

Haiderer: Es braucht, um ehrenamtlich gut tätig zu sein, einen klaren Beginn und ein klares Ende. Und es braucht einen deutlich definierten Tätigkeitsbereich.

Bei Ihrer Studie hat ein Mann gesagt, dass er sein Ehrenamt gerne schon längst abgeben wollte, aber der Pfarrer ihm gut zugeredet hat, dies weiterhin zu machen. Liegt das Problem oft bei den Hauptamtlichen?

Haiderer: In der Kirche gibt es die Tendenz, wenn jemand etwas gut macht, bekommt er gleich die nächste Aufgabe. Das schreckt ab. Die Hauptamtlichen müssen in Zukunft besser geschult sein, Ehrenamtliche zu begleiten. Denn es ist nicht einfach mit Ehrenamtlichen umzugehen.

Inwiefern?

Haiderer: Weil es unterschiedliche Motivationen der Ehrenamtlichen gibt. Die einen packt man mit dem schlechten Gewissen, andere stehen auf Urkunden, wieder andere wollen die Anerkennung vom Priester erhalten oder motivieren sich durch die Freude der Teilnehmenden. Hauptamtliche müssen das wissen.

Nicht nur Priester teilen die Kommunion aus.
Nicht nur Priester teilen die Kommunion aus.

«Einige Priester haben kein Interesse, dass es viele verschiedene Gruppen gibt.»

Liegt jeder hauptamtlichen Person am Herzen, eine florierende Pfarrei mit vielen Ehrenamtlichen zu haben?

Haiderer: Leider nein. Bei der Umfrage kam heraus, dass es einige Priester gibt, die ihre Messen halten und den Rest der Woche im Ausland sind. Diese haben kein Interesse, dass es viele verschiedene Gruppen gibt, weil dann müssen sie ja mehr administrieren. Beim Hauptamt ist viel Nachholbedarf oder man definiert Leitung anders.

«Derzeit brechen in Österreich viele hauptamtliche Laien weg.»

Priester oder Seelsorgerin wird man nicht, weil man Manager werden möchte. Braucht es nicht mehr Hauptamtliche, die sich um die Ehrenamtlichen kümmern und das zu koordinieren?

Haiderer: In der jetzigen Struktur funktioniert Kirche ohne Ehrenamt nicht. Es braucht ein koordinierendes Hauptamt. Doch ich erlebe es in Österreich, dass derzeit viele hauptamtliche Laien wegbrechen. Es wird massiv eingespart. Es ist ein Trugschluss in der Studie, gegen den sich Ehrenamtliche vehement sträuben: Eins zu eins den Job des Hauptamtes zu übernehmen. Es ist natürlich bequem, alles auf die Ehrenamtlichen abzuwälzen, das wird aber nicht funktionieren.

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Was ist ihr Credo?

Haiderer: Jede Investition, die sich mit Ehrenamt beschäftigt, ist eine Investition in die Zukunft.

Kann der hauptamtliche Personalmangel durch Ehrenamtliche überwunden werden?

Haiderer: Eins zu eins nicht. Die Frage ist ja, ob es nicht auch möglich ist, Leitungsposten an Ehrenamtliche zu übertragen. Denn manche Ehrenamtliche ziehen ihre Motivation daraus, dass man ihnen etwas zutraut. Wenn wir geschickt sind, führt der Mangel an Hauptamtlichen tatsächlich zu einer Umstrukturierung des Ehrenamtes.

Ehrenamtliche Pilgerbetreuerinnen und -betreuer und Wallfahrtspater Philipp Steiner (l.) in der Einsiedler Klosterkirche, 2020
Ehrenamtliche Pilgerbetreuerinnen und -betreuer und Wallfahrtspater Philipp Steiner (l.) in der Einsiedler Klosterkirche, 2020

Wie muss Ehrenamtlichen begegnet werden?

Haiderer: Sie müssen geschätzt werden für ihr Engagement, und ihre Ideen müssen ernstgenommen werden.

Ehrenamtliche Tätigkeiten gibt es nicht nur in der Kirche. Was sind die Alleinstellungsmerkmale der Kirche?

Haiderer: Die Spiritualität und die Kleinstrukturiertheit beherrscht die Kirche einwandfrei. Das ist stark und darf hervorgehoben werden.

*Armin Haiderer (43) ist Theologe, Historiker, Sportwissenschaftler und Journalist. Mit 28 Jahren wurde er 2008 zum jüngsten Präsidenten der Katholischen Aktion Österreichs gewählt. Die «KA» ist die offizielle Laienorganisation der katholischen Kirche in Österreich. Zusammen mit dem Wiener Pastoraltheologen Paul M. Zulehner hat er das Buch «…weil es mir Freude macht. Ehrenamt macht die Kirchen zukunftsfit» herausgegeben. In der Studie wurden Ehrenamtliche in verschiedenen Ländern befragt, etwa der Schweiz, Österreich und Deutschland.


Armin Haiderer | © KircheBunt
10. Januar 2024 | 06:00
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