Pater Ludwig Ziegerer
Konstruktiv

Logotherapie im Kloster: Pater Ludwig begleitet Menschen bei der Suche nach dem Sinn

Pater Ludwig Ziegerer (67) ist seit über 30 Jahren Seelsorger. Lange hatte er den Eindruck, nicht das richtige Werkzeug in der Hand zu haben für diese Aufgabe. Das änderte sich, als er Viktor E. Frankl entdeckte – und Feuer fing. Seither berät Ludwig Ziegerer Menschen in Krisen als logotherapeutischer Berater.

Barbara Ludwig

Das Kloster Mariastein im Kanton Solothurn ist der bedeutendste Pilgerort in der Nordwestschweiz. Jährlich besuchen rund 250’000 Menschen die Marienwallfahrtsstätte. Und fast jeden Tag meldet sich jemand  an der Klosterpforte, bittet um ein persönliches Gespräch über eine belastende Situation und findet dort ein offenes Ohr. Das sagt Ludwig Ziegerer, der Wallfahrtspater des Benedikinerklosters. Er und weitere vier Mönche teilen sich diese seelsorgerliche Aufgabe.

Fast jeden Tag meldet sich jemand  an der Klosterpforte und bittet um ein persönliches Gespräch.
Fast jeden Tag meldet sich jemand  an der Klosterpforte und bittet um ein persönliches Gespräch.

«Diese Aufgabe ist uns sehr wichtig. Die Leute, die bei uns anklopfen, haben manchmal einen langen Weg hinter sich, bis sie den Mut haben, sich jemandem im Gespräch anzuvertrauen.» Ein Vorteil für die Betreffenden sei zudem, dass sie auf Wunsch anonym bleiben können und keine Rechnung bekommen, sagt Ludwig Ziegerer am Telefon.

Grosse Nachfrage

Er ist seit 2013 logotherapeutischer Berater. In manchen Fällen führe ein solches Gespräch mit ihm zu einer logotherapeutischen Beratung, die dann nicht mehr gratis ist. Wenn er das für sinnvoll halte und der betreffenden Person anbiete, sagt der Mönch und fügt sofort hinzu: «Doch das ist absolut nicht mein Ziel. Ich suche keine bezahlende Kundschaft, sondern als Mönch möchte ich einfach für die Menschen da sein.»

"Öffnungszeiten" der Seelsorge - auch anonym ist möglich.
"Öffnungszeiten" der Seelsorge - auch anonym ist möglich.

Meistens berate er zwischen fünf und zehn Personen gleichzeitig. Mit diesen führt er je nach Setting zwischen drei bis zehn Gesprächen in den Räumlichkeiten des Klosters. Mehr Begleitungen könne er leider nicht annehmen, da er weitere Aufgaben im Kloster habe, insbesondere als Wallfahrtsleiter. «Ein Plakat im Schaukasten musste ich wieder entfernen, da ich nicht zu viele Anfragen annehmen kann. Schliesslich möchte ich genug Zeit haben «, erzählt Ziegerer.

Ausbildung zum Logotherapeuten

Ludwig Ziegerer trat 1985 ins Kloster Mariastein ein. Seit über 30 Jahren ist er Seelsorger. Doch die seelsorglichen Gespräche blieben aus seiner Sicht zunächst unbefriedigend. Die Schnellbleiche im Theologiestudium über die verschiedenen psychotherapeutischen Richtungen – Adler, Jung, Freud und Frankl – hatte nicht viel gebracht. Lange Zeit hatte der Mönch den Eindruck, nicht das richtige Werkzeug in der Hand zu haben für die Aufgabe als Seelsorger.

Das Kloster Mariastein ist seit 1985 das Zuhause von Pater Ludwig. Klosterkirche Mariastein –
Das Kloster Mariastein ist seit 1985 das Zuhause von Pater Ludwig. Klosterkirche Mariastein –

Ihm habe immer ein klar definiertes Menschenbild gefehlt, sagt Ziegerer. Bis er auf ein Buch von Elisabeth Lukas, der prominentesten Schülerin von Viktor E. Frankl, gestossen sei. «Der Titel lautet: ‘Der Seele Heimat ist der Sinn’. Da ging mir ein Licht auf.» Endlich habe er dank der systematischen Darstellung von Frankls Bildreden begriffen, worum es dem österreichischen Psychiater und Begründer der Logotherapie Viktor E. Frankl (1905-1997) ging. «Vor allem sein dreidimensionales Menschenbild, umfassend von Leib, Seele und Geist, das auch dem biblischen entspricht, hat mich total überzeugt», erzählt Ludwig Ziegerer. Mit Erlaubnis des Abtes hat er  2009 die logotherapeutische Ausbildung in Angriff genommen und 2013 abgeschlossen.

«Wenn Leben überhaupt einen Sinn hat, dann muss auch Leiden einen Sinn haben»

Viktor Frankl

Sinn ist etwas Zentrales in der Logotherapie (das griechische Wort Logos hat verschiedene Bedeutungen, eine davon ist Sinn oder Wort). Viktor E. Frankl ging davon aus, dass jeder Mensch das Bedürfnis hat, ein sinnvolles und wertvolles Leben zu führen. Selbst ein Leben voller Leid und unter schrecklichsten Umständen – etwa im Konzentrationslager – konnte für den Wiener Juden noch sinnvoll sein. «Wenn Leben überhaupt einen Sinn hat, dann muss auch Leiden einen Sinn haben», schrieb er in seinem Buch über seine Erfahrungen als Psychologe im Konzentrationslager.

Ludwig Ziegerer gibt zu, dass eine solche Aussage verstörend oder provozierend wirken kann. Und doch sei eine wesentliche Erkenntnis von Frankl, dass «man selbst in Umständen, die absolut katastrophal sind einen Sinn, Frieden und vor allem Versöhnung finden kann». Möglich sei dies dank der Einstellung, mit der man als Mensch eine bestimmte, vielleicht äusserlich unveränderliche Situation betrachten könne. Gleichzeitig stellt er klar, dass «das Leiden  um des Leidens willen keinen Sinn hat» und auch nicht aktiv gesucht werden soll. «Aber das Leiden kann mich öffnen für etwas, das ich bislang noch nicht entdeckt habe.»

Helfer auf der Suche nach dem Sinn

«Wunderbare Beispiele» für den Umgang mit harten Schicksalsschlägen sieht der Mönch in ehemaligen Spitzensportlern wie zum Beispiel dem Skirennfahrer Silvano Beltrametti (querschnittgelähmt seit einem Sturz in Val d’Isère 2001), deren Sportkarriere durch einen Unfall oder eine Krankheit beendet wird und die ihr Leben völlig neu ausrichteten – statt für den Rest ihres Lebens mit ihrem Unglück zu hadern.

Silvano Beltrametti ist seit 2001 querschnittsgelähmt.
Silvano Beltrametti ist seit 2001 querschnittsgelähmt.

Zu Ludwig Ziegerer kommen keine KZ-Überlebenden und wohl auch keine ehemaligen Spitzensportler. Häufig sind es Menschen in einer Midlife-Crisis. Oder Leute, die vor einer wichtigen Entscheidung stehen, bei denen eine berufliche Veränderung ansteht, die pensioniert werden oder deren Ehe zerbrochen ist. Ja, er sei eine Art Helfer auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, bestätigt der Mönch. «Ich versuche, mit jemandem einen Weg zu gehen, damit er in seinem Leben wieder Sinnmöglichkeiten entdecken kann.»

«Welche Spuren möchte ich in dieser Welt hinterlassen?»

Ein Instrument ist dabei die Biografiearbeit. Wer sich darauf einlässt, muss allerdings etwas mehr Zeit investieren und ein Jahr lang regelmässig zu Therapiesitzungen gehen. Zur Biografiearbeit gehört zunächst ein Rückblick auf die Kindheit, Jugend und Ausbildung. «Entscheidend ist aber auch der Blick nach vorne. In der Logotherapie stellen wir uns letztlich der Frage: Welche Spuren möchte ich in dieser Welt hinterlassen?», erklärt Ludwig Ziegerer. Die Antworten auf diese Frage führen zu den Werten, die man in seinem Leben verwirklichen möchte, und dem Sinn des eigenen Lebens. «Binde deinen Karren an einen Stern. Was uns im Leben weiterbringt», sagt der Mönch und zitiert damit einen weiteren Buchtitel von Elisabeth Lukas. «Irgend etwas muss mich ziehen und locken in meinem Leben. Ein Ziel, zu dem ich mich aufmachen kann.»


Pater Ludwig Ziegerer | © Vera Rüttimann
19. November 2023 | 15:30
Lesezeit: ca. 4 Min.
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