Daniel Kosch spricht zu seinem erschienen Buch.
Kommentar

Daniel Kosch zu Fiducia supplicans: An Gottes Segen ist alles gelegen

In einer Pressemitteilung vom 4. Januar 2024 hat der Vatikan Erläuterungen zu «Fiducia supplicans» veröffentlicht. Der frühere RKZ-Generalsekretär Daniel Kosch zeigt sich in seinem Kommentar enttäuscht vom Zurückkrebsen Roms.

Daniel Kosch*

Wir kennen es alle, mindestens aus dem Film: Ein traditionelles Ehepaar mit Hochzeitsmarsch, Brautkleid und allem, was sonst noch dazugehört, wird im Rahmen eines festlichen Gottesdienstes vom Priester vor versammelter Gemeinde getraut und gesegnet.

Heirat von Frau und Mann
Heirat von Frau und Mann

Anders ist es gemäss der neuesten Pressemitteilung des Dikasteriums für die Glaubenslehre für ein gleichgeschlechtlich liebendes Paar vorgesehen, das seinen Weg schon seit Jahren in gegenseitiger Verantwortung geht und das gemeinsame Leben durch einen Seelsorger oder eine Seelsorgerin unter den Segen Gottes gestellt wissen möchte.

«Eine Angelegenheit von 10 oder 15 Sekunden»

Es soll mit einer Segnung «von einer Dauer weniger Sekunden, ohne Ritual und ohne Benediktionale» Vorlieb nehmen. Zudem ist damit (unausgesprochen) die Botschaft verknüpft, dass diese Segnung «die Situation, in der sich diese Menschen befinden, weder billigt noch rechtfertigt». Deshalb möge «der Heilige Geist diese beiden Personen von allem befreien, was nicht seinem göttlichen Willen entspricht und alles, was der Reinigung bedarf». All das «ist eine Angelegenheit von 10 oder 15 Sekunden». Stattfinden soll es «nicht an einem wichtigen Platz im Kirchengebäude oder vor dem Altar, denn auch dies würde Verwirrung stiften».

Segnung für alle - Meinrad Furrer segnet am 10. Mai 2021 ein homosexuelles Paar.
Segnung für alle - Meinrad Furrer segnet am 10. Mai 2021 ein homosexuelles Paar.

Können Sie sich einen Gott vorstellen, dem diese Unterscheidung gefällt, der sie «würdig und recht» findet? Können Sie sich vorstellen, dass eine solche Regelung unter dem Segen Gottes steht? – Ich kann es nicht, nicht einmal unter einem göttlichen Segen von wenigen Sekunden.

«Davon, dass die einen länger Sonne haben, und die anderen länger im Regen stehen, ist in der Bergpredigt nicht die Rede.»

Was mich daran hindert, mir einen solchen Gott auch nur vorstellen zu wollen, ist die Bergpredigt, die Magna Charta des Christentums. Dort ist nachzulesen, dass der Gott und Vater Jesu «seine Sonne aufgehen lässt über Bösen und Guten und regnen lässt über Gerechte und Ungerechte» (Mt 5,45). Davon, dass die einen kürzer Sonne haben oder die anderen länger im Regen stehen, ist nicht die Rede.

Wenige Abschnitte später heisst es: «Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!» (Mt 7,1) Und warnend wird angefügt: «Denn wie ihr richtet, so werdet ihr gerichtet werden und nach dem Mass, mit dem ihr messt, werdet ihr gemessen werden» (Mt 7,2). Daher hüte ich mich, darüber zu «richten», ob die Rede von «irregulären Beziehungen» diesem Jesuswort standhält. Andernfalls fiele es auf mich selbst zurück. Aber die Frage zu stellen, verbietet das Evangelium mir nicht.

«Die Hoffnung auf eine vorsichtige Öffnung entschwindet.»

Der für seine spitze Feder bekannte Kirchenrechtler Norbert Lüdecke hatte seinen Beitrag zur vatikanischen Erklärung vom 18. Dezember unter den Titel «Toxische Barmherzigkeit» gestellt. Gerne hätte ich ihm damals widersprochen. Wie viele andere meinte ich, dass die vorsichtige Öffnung des Vatikans bei aller Fragwürdigkeit der gewundenen Erklärung die Tür für eine neue Praxis immerhin einen Spaltbreit öffne. Kein «Paukenschlag», wie kath.ch am 23.12.2023 schrieb, aber besser als nichts.

So zu argumentieren, schaffe ich heute nicht mehr, – so gern ich es täte. Denn die Erklärung liess Menschen aufatmen, die darunter leiden und die es verletzt, dass die Kirche ihre Lebensform als «irregulär» bezeichnet. Nun müssen sie zur Kenntnis nehmen, dass die Kirche sie höchstens in dunklen Nebenräumen segnen will und damit erst noch den Wunsch verbindet, dass sie von ihrer Sexualität «befreit» und «gereinigt» werden mögen.

Regenbogen mit Trauerflor: Die norwegische Kronprinzessin Mette-Marit gedenkt in der Osloer Kathedrale der Opfer des Anschlags, Juni 2022
Regenbogen mit Trauerflor: Die norwegische Kronprinzessin Mette-Marit gedenkt in der Osloer Kathedrale der Opfer des Anschlags, Juni 2022

«Noch stärker als der Sarkasmus ist die Trauer.»

Ich könnte in diesem sarkastischen Ton weiterfahren. Aber stärker als der Sarkasmus ist meine Trauer: Nicht nur die Trauer über eine römische Kirchenleitung, die mit diesem peinlichen Text einmal mehr Glaubwürdigkeit verspielt, Reformhoffnungen enttäuscht und es Menschen, die sich zur Kirche bekennen oder für sie arbeiten, noch schwieriger macht, ihr Engagement vor sich und vor anderen zu begründen. Mindestens ebenso traurig finde ich, dass die Kirchenleitung, wenn es konkret wird, ihre Einteilung von Menschen und Liebesbeziehungen in reguläre und irreguläre verteidigt, statt selbstkritisch zu fragen, ob darauf wirklich ein Segen liegt und ob sie damit der Botschaft des Evangeliums gerecht wird.

«Wie der Sonnenschein und der Regen gilt allen Gottes Segen.»

Was tröstet? Am ehesten noch die Redensart, die besagt: «An Gottes Segen ist alles gelegen». Da dieser Segen wie der Sonnenschein und der Regen unterschiedslos allen gilt, erhoffe ich ihn für alle Paare, die sich lieben, und natürlich auch für jene, die sich von Amtes wegen mit den kirchlichen Segnungen zu befassen haben.

Nachtrag

Gerne verweise ich zum Thema auf den Handlungstext 13 des Synodalen Weges der katholischen Kirche in Deutschland zu «Segensfeiern für Paare, die sich lieben» und die übrigen einschlägigen Texte. Zu lesen ist da unter anderem:

«Die Weigerung, die Beziehung zweier Menschen zu segnen, die ihre Partnerschaft in Liebe, Verbindlichkeit und Verantwortung zueinander und zu Gott leben wollen, erweist sich in einer Gesellschaft, die Menschenwürde und freie Selbstbestimmung als Maxime moralischer Normierung errungen hat, als unbarmherzig oder gar diskriminierend. Eine solche Weigerung lässt auch gnadentheologisch Fragen offen. Das belastet nicht nur die Verkündigung der Menschenfreundlichkeit Gottes und das Doppelgebot der Nächsten- und Gottesliebe, sondern stellt die Glaubwürdigkeit kirchlichen Handelns in unserem Kulturkreis vor gravierende Fragen».

Es ist für mich nicht nachvollziehbar, dass das römische Lehramt, das sich unter dem Stichwort «Synodalität» dem Zuhören verschrieben hat, solche Voten nicht ernster nimmt.

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*Daniel Kosch, Dr. theol., leitete von 1992-2001 die Bibelpastorale Arbeitsstelle des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks und war von 2001-2022 Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ). Seit kurzem ist er Präsident des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks. Der Beitrag ist zuerst auf feinschwarz.net erschienen.


Daniel Kosch spricht zu seinem erschienen Buch. | © Susanne Goldschmid
5. Januar 2024 | 13:00
Lesezeit: ca. 4 Min.
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