Ruth Schäfer ist heute reformierte Pfarrerin in Biel
Schweiz

Als Ordensfrau vom Bistum kaltgestellt – wegen Einsatz fürs Frauenpriestertum

«Ich war eine junge Ordensfrau und wollte Priesterin werden», sagt die promovierte Theologin Ruth Schäfer (56). Das Bistum Essen stellte sie kalt. Sie verlor jegliche berufliche Chance in der römisch-katholischen Kirche. 2003 trat sie aus, 2011 wurde sie evangelisch-reformiert. Heute ist sie Pfarrerin in Biel.

Regula Pfeifer

Sie waren früher katholische Ordensfrau, heute sind Sie reformierte Pfarrerin in Biel. Wie geht es Ihnen heute?

Ruth Schäfer: Als Pfarrerin in der reformierten Kirche fühle ich mich sehr viel wohler als früher in der römisch-katholischen Kirche. Die Stellung der Frauen ist mir so wichtig, dass ich froh bin konvertiert zu haben.

«Ich bekannte mich im Buch ‹Zur Priesterin berufen›.»

Sie setzten sich für die Frauenordination ein. Das wurde Ihnen in der katholischen Kirche zum Verhängnis. Wie waren Sie engagiert?

Schäfer: Ich war im Bistum Essen an der Fachakademie zur Ausbildung von Gemeindereferentinnen und Gemeindereferenten als Dozentin mit Honorarvertrag angestellt.

Hildegard Schmittfull erklärt im Buch ihre Berufung zur Priesterin.
Hildegard Schmittfull erklärt im Buch ihre Berufung zur Priesterin.

1998 kam das Buch «Zur Priesterin berufen» heraus – quasi ein Vorgängerbuch von Schwester Philippa Raths Zeugnisbuch. Darin schrieben Frauen, die sich zu ihrer Berufung bekennen, auch ich. Damals war ich eine junge Ordensfrau, voller guten Willens und Enthusiasmus. Ich wollte in der katholischen Kirche Priesterin werden.

«Ich organisierte Wallfahrten für die Frauenordination.»

Und was taten Sie weiter?

Schäfer: Ich organisierte auch Lila-Stola-Aktionen. Das waren Mahnwachen vor den Kirchentüren bei Weihen von Diakonen und Priestern. Ich habe Wallfahrten für die Frauenordination organisiert, immer in der Karwoche. Und zwar zum Grab des Jesuiten Friedrich Spree in Trier, der im 17. Jahrhundert ein Buch gegen die Hexenverfolgung publiziert hat. Ich war also in der Frauenordinationsbewegung aktiv – auch international – und organisierte Veranstaltungen.

«Ein Kollege – ein Priester – meldete meine Kritik dem damaligen Bischof.»

Wurde deshalb Ihr Bischof auf Sie aufmerksam?

Schäfer: Nicht direkt. Mir wurde zum Verhängnis, dass ein Kollege an der Fachakademie – ein Priester – theologisch andere Positionen vertrat den Studierenden gegenüber. Da wünschten diese eine gemeinsame Veranstaltung. Doch statt mitzumachen meldete der Priester meine Kritik am Weiheausschluss von Frauen dem damaligen Bischof Hubert Luthe. Das war mein Pech.

Die Riehener Gemeindeleiterin Dorothee Becker erhält Segenswünsche von einer Weggefährtin, November 2020
Die Riehener Gemeindeleiterin Dorothee Becker erhält Segenswünsche von einer Weggefährtin, November 2020

Waren Sie auch an einer unerlaubten Priesterinnenweihe beteiligt?

Schäfer: Sie meinen die Priesterinnenweihe auf der Donau, in Passau, 2002? Ich wurde angefragt, ob ich da mitmachen wolle. Doch ich lehnte ab, mich weihen zu lassen. Denn ich erwog damals bereits einen Austritt. Aber ich fuhr hin und sprach ein Grusswort.

«Ich finde richtig, dass sich diese Frauen haben weihen lassen.»

Sie unterstützten also diese Aktion?

Schäfer: Ja, ich finde richtig, dass sich diese Frauen haben weihen lassen, besonders Ida Raming und Iris Müller. Die beiden haben grosse Verdienste in der theologischen Aufarbeitung der Frage und in ihrem Einsatz. Sie hatten das Anliegen der Frauenordination bereits ins Zweite Vatikanum eingebracht, wurden aber über Jahrzehnte hingehalten. Da finde ich die Entscheidung legitim, eine Weihe durchzuführen, auch wenn dies gemäss dem immer noch geltenden sexistischen Kirchenrecht illegal war.

«Mir wurde gesagt, ich müsste schweigen.»

Sie haben im Buch «Heillose Macht» als eine der wenigen Autorinnen Ihren Namen bekannt gegeben. Fühlen Sie sich freier zu reden als früher?

Schäfer: Dank der Konversion kann mir nichts mehr passieren. Ich war aber bereits in der römisch-katholischen Kirche nicht bereit zu schweigen zu meinem Anliegen, der Gleichberechtigung von Frauen und der Frauenordination. Dafür wurde ich zunächst von einem Dezernenten und dann vom Bischof selbst abgemahnt.

Schweigen
Schweigen

Mir wurde gesagt, ich müsste schweigen, wenn ich meine Stelle in der römisch-katholischen Kirche behalten und eine künftige antreten wolle. Ich habe mich immer frei genug gefühlt, meine Meinung zu sagen. Und die Konsequenzen zu tragen, die ja sehr hart waren in meinem Fall. Ich verlor meine Stelle und viel entscheidender: meine innerkirchliche berufliche Zukunft.

«Männer werden sogar bei schlimmen Vergehen gedeckt.»

Wie erlebten Sie die «Heillose Macht»?

Schäfer: Da ist einerseits die faktisch schlechtere kirchenrechtliche Stellung von Frauen im Vergleich zu Männern in der katholischen Kirche – was oft verschwiegen und beschönigt wird. Und dazu kam die Verpflichtung, zu dieser Ungerechtigkeit auch noch den Mund zu halten. Und das war wirklich zu viel. Kommt hinzu: Während Männer sogar bei schlimmen Vergehen gedeckt werden, hat es bei mir als Frau gereicht, dass ich öffentlich sagte: Ich wäre gerne Priesterin.

«Die Drohung reicht. Alle wissen: Es könnte mir passieren.»

Das war vor mehr als 20 Jahren. Denken Sie, heute wäre Ihnen dasselbe passiert?

Schäfer: Ich denke, das hängt von den konkreten involvierten Personen ab. Wenn einen jemand denunziert und meldet – wie das bei mir der Fall war – und der Bischof eine kirchenrechtlich strenge Linie vertritt, würde heute dasselbe Verdikt fallen. Kirchenrechtlich war das Vorgehen gegen mich korrekt. Es muss eine (sic! Red.) nicht treffen. Aber es hat mich getroffen. Und diese Drohung reicht. Alle wissen: Es könnte mir passieren.

«Den Ausschlag gab für mich die Frage: Will ich einer Kirche, die Frauen unterdrückt, ein freundliches Gesicht liefern?»

Was machten Sie in den fünf Jahren von der bischöflichen Kaltstellung 1998 bis zu Ihrem Kirchenaustritt 2003?

Schäfer: Ich habe mir lange überlegt: Kann ich in der Kirche etwas ändern, als von der Macht Ausgeschlossene? Den Ausschlag gab für mich dann die Frage: Will ich einer Kirche, die Frauen unterdrückt, ein freundliches Gesicht liefern? (lacht) Und so tun, als wäre etwas möglich, was nicht möglich ist? Da ich sehr verwurzelt war in der katholischen Kirche und in der Ordensgemeinschaft, war das für mich eine sehr schwierige Entscheidung. Die habe ich – ganz klassisch – in Exerzitien geklärt.

Ordensfrauen im Gespräch.
Ordensfrauen im Gespräch.

«Auch die Ordensgemeinschaft auferlegte mir ein Schweigen.»

Sie lebten damals noch in Ihrer Ordensgemeinschaft…

Schäfer: Ja, und ich prüfte all diese Gedanken vor Gott. Die Ordensgemeinschaft war aber überfordert mit einem solchen binnenkirchlichen Konflikt. Sie auferlegte mir ein Schweigen, an das ich mich hielt. Ich durfte nicht über den Konflikt mit dem Bischof sprechen.

Haben Sie Hilfe erhalten?

Schäfer: Ich habe mir eine vernünftige Exerzitien-Begleitung durch einen Pater gesucht. Das Bistum veröffentlichte übrigens 1998 offensiv selbst eine Pressemitteilung und einen Leitartikel in der Kirchenzeitung zu meinem Fall. Darin stand sinngemäss, dass die einfachen Gläubigen vor Gemeindereferentinnen geschützt werden müssten, die von mir ausgebildet würden. Daraufhin bekam ich viele Solidaritätsbekundungen – etwa von «Wir sind Kirche», dem Schweizer Theologen Hans Küng und von der erwähnten Ida Raming.

Hans Küng.
Hans Küng.

Vermissen Sie etwas aus Ihrem früheren katholischen Leben?

Schäfer: Es gibt Seiten an der römisch-katholischen Kirche, die ich bis heute schätze. Etwa das spirituelle Umfeld. Natürlich sind meine Kolleginnen und Kollegen in der reformierten Kirche ebenso spirituell unterwegs. Aber Ordensgemeinschaften sind strukturiert-spirituell – und viel verbreiteter als in der reformierten Kirche. Auch sich als Teil der Weltkirche zu fühlen, ist in der römisch-katholischen Kirche besser verwirklicht. In der reformierten Tradition scheint diese Dimension weiter weg. Aber diese positiven Seiten der katholischen Kirche treten weit zurück, wenn ich mir ihre Ehelehre, ihren Umgang mit anderen Konfessionen oder ihre Diskriminierung von Frauen vor Augen führe.

Buch über Machtmissbrauch

Ein neues Buch zeigt Mechanismen von Machtmissbrauch in der katholischen Kirche auf. Es heisst: «Heillose Macht! Von der Kultur der Angst im kirchlichen Dienst» und wurde von Thomas Hanstein, Hiltrud Schönheit und Peter Schönheit herausgegeben. Darin bezeugen verschiedene kirchliche Mitarbeitende in Deutschland Situationen, die als Machtmissbrauch interpretiert werden können. Unter ihnen Ruth Schäfer, die im obigen Interview beschreibt, wie sie aufgrund ihres Engagements für Gleichberechtigung jegliche Chance auf eine Anstellung in der katholischen Kirche verlor.

Weitere Zeugnisse belegen – meist in anonymer Form – Machtmissbrauch. So annullierte ein Bischof die Diakonenweihe eines Theologen, ohne diesen über den Grund dafür aufzuklären. Ein Spitalseelsorger wurde vom Pfarrer zum Handlanger degradiert, er wurde dann zum Mobbing-Opfer durch Kollegen und erhielt keinerlei Unterstützung durch das Ordinariat. Eine Gemeindereferentin erfuhr beim Bistumswechsel eine Gehaltskürzung und eine vorübergehende Degradierung zur Assistentin. Ein Gefängnisseelsorger kümmerte sich erst erfolgreich um alle Insassen, wurde aber von einem jungen Vorgesetzten zurückgepfiffen und durfte fortan nur mit katholischen Insassen Gespräche führen. Eine Frau mit Theologiestudium und einer Diakonatsausbildung vom Netzwerk «Diakonat der Frau» durfte nicht in der Seniorenseelsorge arbeiten und wurde mit ständigen Sticheleien zermürbt, bis sie erkrankte. (rp)


Ruth Schäfer ist heute reformierte Pfarrerin in Biel | © Stefan Weber
6. Oktober 2022 | 12:32
Lesezeit: ca. 5 Min.
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