Natallia Hersche kommt am 18. Februar auf dem Flughafen Zürich an.
Schweiz

Aktivistin Natallia Hersche: «Die Welt hat Belarus nicht vergessen»

Natallia Hersche (52) demonstrierte gegen den Diktator Lukaschenko – und kam 17 Monate in Haft. Die schweizerisch-belarussische Doppelbürgerin freut sich über den Friedensnobelpreis, der dieses Jahr auch an den Regimekritiker Ales Bialiatski geht. Sie betet jeden Tag für ein freies Belarus.

Jacqueline Straub

Der Gründer der Menschenrechtsorganisation «Viasna», Ales Bialiatski, wird den Friedennobelpreis erhalten. Was bedeutet Ihnen das?

Natallia Hersche*: Das ist eine grosse Ehre für das belarussische Volk. Ich habe mich extrem gefreut. Ales Bialiatski verdient die Auszeichnung. Doch er weiss davon noch nichts. Er wurde zwar nicht bei den Demonstrationen verhaftet, wurde aber am 14. Juli 2021 festgenommen und sitzt seither im Gefängnis. Dennoch: Es ist ein Grund zum Feiern.

Ales Bialiatski
Ales Bialiatski

Ales Bialiatski wurde wie Sie bei Protesten in Belarus verhaftet. Sie kämpfen für mehr Demokratie und gegen das Regime des Machthabers Alexander Lukaschenko. Was bedeutet die Auszeichnung für die politischen Gefangenen in Belarus?

Hersche: Für alle in Belarus ist das eine grosse moralische Unterstützung. Es zeigt, dass die Welt das belarussische Volk nicht vergessen hat. Der Einsatz ist nicht umsonst.

Natallia Hersche mit dem stellvertretenden Staatssekretär Johannes Matyassy (Mitte) und dem ehemaligen Schweizer Botschafter in Belarus, Claude Altermatt.
Natallia Hersche mit dem stellvertretenden Staatssekretär Johannes Matyassy (Mitte) und dem ehemaligen Schweizer Botschafter in Belarus, Claude Altermatt.

Wie ist die politische Lage in Belarus?

Hersche: Noch immer schlecht und sehr gefährlich. Jeden Tag werden Menschen verhaftet, die damals bei den Protesten mitgemacht haben. Aus Furcht vor einer Inhaftierung haben viele das Land verlassen. Und jene, die noch dort leben, leben in ständiger Angst. Das Regime ist noch brutaler geworden. Für einen harmlosen Kommentar im Internet drohen lange Haftstrafen. Jede regimekritische Stimme wird sofort stumm gemacht.

«Das belarussische Volk traut sich momentan kaum, an Protesten teilzunehmen.»

Macht Ihnen der Friedensnobelpreis Hoffnung auf ein demokratisches Belarus?

Hersche: Es motiviert uns alle. Es lohnt sich, weiterhin für demokratische Werte zu kämpfen. Dennoch traut sich das belarussische Volk momentan kaum, an Protesten teilzunehmen. Das bedeutet aber nicht, dass sie zufrieden sind mit dem Regime. 

Kennen Sie Ales Bialiatski persönlich?

Hersche: Nein, leider nicht. 

Machen Sie sich Sorgen um ihn?

Hersche: Ja, allerdings sorge ich mich um alle politischen Gefangenen in den belarussischen Gefängnissen – das sind über 1300 Menschen. Jeden Tag kommen neue hinzu.

Natallia Hersche am 18. Februar in Zürich.
Natallia Hersche am 18. Februar in Zürich.

Könnte die Opposition durch den Friedensnobelpreis Rückenwind erhalten – und zu neuen Protesten aufrufen?

Hersche: Das ist schwierig zu sagen. Die Motivation ist auf jeden Fall da, denn wir werden von demokratischen Ländern wahrgenommen.

Im letzten Interview mit kath.ch sagten Sie, dass Gott Ihnen in der Gefangenschaft geholten hat. Beten Sie für ein freies Belarus?

Hersche: Ja, jeden Tag. 

* Natallia Hersche hatte am 19. September 2020 in Minsk an einer Kundgebung gegen das Regime des Machthabers Alexander Lukaschenko teilgenommen und wurde verhaftet. Im Dezember 2020 erhielt sie eine Gefängnisstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Seitdem gab es immer wieder diplomatische Vorstösse, die schweizerisch-belarussische Doppelbürgerin freizubekommen. Am 18. Februar 2022 konnte sie das Gefängnis nach diplomatischen Vermittlungen verlassen und flog nach Zürich. Sie lebt in der Schweiz.


Natallia Hersche kommt am 18. Februar auf dem Flughafen Zürich an. | © Keystone
7. Oktober 2022 | 17:47
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