Friedensaktivistinnen  des Netzwerks "Friedensfrauen weltweit" in Ramallah (Palästina)
Schweiz

2005 wurden 1000 Frauen für den Friedensnobelpreis nominiert: «Viele sind noch heute dankbar dafür»

Bern, 21.10.15 (kath.ch) Alles begann mit einer kühnen Initiative: Vor zehn Jahren nominierten Friedensaktivistinnen aus aller Welt 1000 Frauen für den Friedensnobelpreis. Die Frauen gingen damals leer aus. Aus der Aktion entstand jedoch ein internationales Netzwerk, die «Friedensfrauen weltweit – PeaceWomen Across the Globe» (PWAG). kath.ch hat mit Co-Präsidentin Ruth-Gaby Vermot-Mangold aus Anlass des zehnten Geburtstages gesprochen, der diese Woche in der Schweiz mit verschiedenen Aktionen und Veranstaltungen gefeiert wird.

Sylvia Stam

Vor 10 Jahren nominierten Sie 1000 Frauen für den Friedensnobelpreis. Entstanden ist damals ein Buch mit 1000 Portraits und Karten, auf denen die Gesichter der Frauen abgedruckt sind. Was ist heute aus diesem Projekt geworden?

Ruth-Gaby Vermot-Mangold: Es lebt und entwickelt sich weiter. Eines der wichtigsten Ziele unserer Initiative «1000 Frauen für den Friedensnobelpreis 2005» war ja, nicht nur den Nobelpreis zu gewinnen, sondern vor allem auch die vielfältige, mutige und oft gefährliche Friedensarbeit von Frauen auf der ganzen Welt sichtbar zu machen. Wir wussten, dass wir mit unserer Initiative auch dazu beitragen konnten, ein grosses und engagiertes Netzwerk von Friedensfrauen zu errichten. Nach 2005 konsolidierten wir die Organisation, erarbeiteten Vorschläge und befragten die Frauen im Netzwerk, wie und ob sie weiterarbeiten wollen. Die Antworten waren klar: Wir müssen dieses Netzwerk hüten und nutzen, die Erfahrungen zusammenbringen, austauschen und lernen voneinander, öffentlich machen, wenn Frauen gefährdet sind und gemeinsame Projekte und Kampagnen entwickeln.

Die 1000 Frauen haben den Friedensnobelpreis seinerzeit nicht bekommen. Welche Auswirkungen hatte die Nominierung dennoch für die Frauen und die Friedensarbeit?

Vermot-Mangold: Eigentlich mussten wir ja damit rechnen, dass die 1000 Frauen den Friedensnobelpreis nicht erhalten, das Nobelkomitee  – das spürten wir auch in direkten Gesprächen – konnte mit dieser überwältigenden Frauenpower nicht umgehen. Viele Frauen sind noch heute dankbar für die Nomination, sie fühlen sich geehrt und besser wahrgenommen. Noch immer hören wir von Frauen, dass sie die Nomination als Türöffner nutzen, wenn sie bei Regierungsmitgliedern ihre Forderungen deponieren oder mit Geldgebern verhandeln wollen. Jede Frau hat ein Dokument ihrer Nomination erhalten. Die Nomination hat auch dazu geführt, dass sich viele Frauen zugehörig zum Netzwerk fühlen, sie können ihre Sorgen, Nöte und Erfreuliches mitteilen und Rat suchen bei Frauen, die sich mit den gleichen politischen Problemen auseinandersetzen müssen.

Wo engagieren sich die Friedensfrauen heute anlässlich der Krisen in Syrien, Irak oder Nigeria?

Vermot-Mangold: In Syrien und Irak haben wir nur wenige Friedensfrauen. Wir wissen nicht, ob diese Frauen noch leben, auf der Flucht sind oder was mit ihnen passiert ist. Mit vielen Frauen sind auch die Kontakte schwieriger, vor allem in Kriegsgebieten. Wir wissen von unserer Koordinatorin Sima Samar, der bekannte Menschenrechtsaktivistin, dass trotz angespannter und frauenfeindlicher Situation in Afghanistan sehr viel läuft. So hat Samar mit anderen Aktivistinnen eine private Universität gegründet, in der auch Friedensaufbau gelehrt wird.   

Sie führen weltweit Kurse in Konfliktlösung, Demokratisierung oder Mediation durch. Welche Projekte gibt es in der Schweiz?

Vermot-Mangold: Die Schweiz beherbergt immer wieder Friedenskonferenzen und Friedensgespräche. Wir selber sind international organisiert, unterstützen in unserem Internationalen Büro Projekte und versuchen Finanzen zu finden, damit die Friedensfrauen diese durchführen können. Zum Beispiel organisieren wir mit ägyptischen Friedensfrauen seit drei Jahren Dialog-Foren zur Unterstützung des Demokratisierungsprozesses, von dem die Frauen nach dem ägyptischen Frühling weiterhin systematisch ausgeschlossen sind. Jährlich organisieren wir eine öffentliche Veranstaltung. Dieses Jahr war das Thema «Menschenhandel im Sinai», mit der engagierten Eritreerin Meron Estefanos. Es gehört zu unseren Prinzipien, dass wir erfahrene Friedensfrauen einladen, aber auch für Veranstaltungen in anderen Ländern vermitteln. So können wir auch dazu beitragen, dass endlich Frauen in Friedensveranstaltungen, in Friedensgesprächen, in männerdominierten Konferenzen gehört werden. Unser Pool straft die Behauptung Lügen, wonach es kaum Frauen gäbe, die sich zu Friedensfragen äussern können – oder gar wollen.

Inwiefern ist die spezifische Situation weiblicher Flüchtlinge für die Friedensfrauen ein Thema?

Vermot-Mangold: Sehr viele Friedensfrauen leben in Konflikt-oder Nachkonfliktgebieten und sind täglich mit weiblichen Flüchtlingen konfrontiert. Frauen auf der Flucht sind meist mehrfach gefährdet, sie sind Frauen, haben oft Kinder und erleiden oft Vergewaltigungen und sexuellen Missbrauch. Diese Frauen brauchen Schutz, der ihnen in vielen Regionen von Frauenorganisationen angeboten wird. Unsere Koordinatorin aus Bosnien-Herzegowina arbeitet gemeinsam mit anderen Friedensfrauen auch 20 Jahre nach dem Krieg noch immer mit traumatisierten Frauen. Unsere Friedensfrau, die Gynäkologin Monika Hauser, hat mit «Medica Mondiale» ein weltweites Netzwerk zur psychosozialen Traumaarbeit aufgebaut.

Die Friedensfrauen gehen bei ihrer Vorstellung von Frieden von einer Gleichstellung der Geschlechter aus. Gelingt es Ihnen, diesen Aspekt auch in Ländern mit ausgeprägt patriarchaler Kultur einzubringen?

Vermot-Mangold: Nirgendwo ist die Gleichstellung der Geschlechter gratis zu haben – bei uns nicht und selbstverständlich auch in patriarchalen Kulturen nicht. Viele Frauen befassen sich in ihren Projekte genau mit dieser Frage: In Indien, Indonesien, Mexiko und anderen Ländern. Das geht nie direkt und nie frontal, die Frauen sind jedoch schlau und erfahren. Sie finden Wege!

In Anbetracht der weltweiten Krisen kann einem die Hoffnung auf Frieden abhandenkommen. Was tun Sie gegen Resignation?

Vermot-Mangold: Arbeiten, die Trauer teilen, aber auch die Wut, den Mut nicht verlieren und hören, was Frauen an den vielen schlimmen Ecken der Welt uns mitteilen. Diese oft winzigen Sternstunden lassen hoffen!

Menschen, die sich jahrelang für Frieden engagieren, werden oft als naive Gutmenschen belächelt. Wie gehen Sie damit um?

Vermot-Mangold: Das ist mir egal. Ich kann damit ohne Schaden leben.

Welches ist Ihr persönliches intensivstes Erlebnis in der Friedensarbeit?

Vermot-Mangold: Da gibt es neben Enttäuschungen viele: 2005 war es der 10. Oktober, als wir nach drei intensiven Jahren in unserem kleinen Büro sassen und warteten, bis um Punkt elf Uhr verkündet wurde, wer nun den Friedensnobelpreis 2005 erhält. Auf den Wettlisten waren wir auf dem neunten Platz. Nicht schlecht. Die Journalistinnen und Journalisten war da, Blumen wurden gebracht, endlos warten. Die Spannung war mit Händen zu greifen. Mohammed el Baradei, der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde, erhielt damals den Friedensnobelpreis. Ein Aufschrei aus all den zugeschalteten Telefonlinien!

Im Juli lancierten wir die Idee, am 15. Oktober rund um die Welt aktive Friedenstische zu organisieren zum Thema «Frieden und Friedensforderungen». Die Idee wurde weltweit aufgenommen und in kurzer Zeit wurden Friedenstische auf die Beine gestellt: In Palästina, im Sudan, in Kenya, Brasilien und Bangladesh, in Mali, Dubai und an vielen anderen Orten. Die Erzählungen über alle Kanäle, Fotos und Filme in den Sozialen Medien kamen vielfältig zurück. Hunderte von Frauen und Männern wurden mit den Botschaften der Friedenstische erreicht. Klar ist, dass wir diese Kampagne in den nächsten Jahren weiterführen. Die Arbeit geht uns nicht aus! (sys/bal)

Hinweis: Dieses Interview wurde schriftlich geführt.

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Friedensaktivistinnen des Netzwerks «Friedensfrauen weltweit» in Ramallah (Palästina) | © Pressebild/zVg
21. Oktober 2015 | 18:27
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