Tiere und Religion: Verachtet und verteufelt

Während manche Tiere in religiöser Sicht heilig sind, gelten andere als unrein und abscheulich. Und nicht wenige sind beides zugleich, oft sogar innerhalb der gleichen Kultur.

von Viktor Dormann

Die widersprüchliche Einstellung des Menschen zum Tier zeigt sich pointiert im Sprichwort: «Wenn ein Schwein kein Schwein hat, ist es eine arme Sau.» Das Schweinchen als Glücksbringer darf sich – in Marzipan geformt – sogar auf Geburtstagskuchen zeigen, doch wenn der Mensch zur Beleidigung seinesgleichen nach Schimpfwörtern sucht, kommt er ebenso schnell auf die Sau. Dasselbe Schicksal teilt der Hund, der gleichzeitig als Vorbild der Treue wie als Beispiel einer falschen, «hündischen» Anhänglichkeit gilt. «Sauhund» ist der Inbegriff eines miesen Menschen; nicht viel besser steht es um den Ruf dieser Tiere, wo es den «inneren Schweinehund» zu überwinden gilt.

Was macht Tiere unrein?

Die Bibel unterscheidet ausführlich zwischen reinen und unreinen Tieren (Levitikus 11; Deuteronomium 14,3–20). Dabei geht es nicht um Reinlichkeit oder Unsauberkeit in dem Sinn, wie wir etwa einen Schmutzfink als Drecksau beschimpfen. Im Blick sind auch nicht hygienische Massnahmen, weil das Fleisch der einen Tiere eventuell gesünder wäre als das der anderen. Keine Rolle für die Reinheit von Tieren spielt auch ihr moralischer Ruf – ob sie beispielsweise als faul oder fleissig, zuchtvoll oder geil gelten. Und wenn die Bibel Landtiere, die «gespaltene Klauen haben, Paarzeher sind und wiederkäuen» (Levitikus 11,3), als rein und geniessbar erklärt, hat dies nichts mit wissenschaftlichen Kriterien im heutigen Sinn zu tun.

Über die Reinheit der Tiere entschied vor allem, ob sie in der öffentlichen Wahrnehmung als geniessbar galten. So ähnlich, wie bei uns beispielsweise Rindfleisch oder Poulet auf der Speisekarte beliebt sind, während das Essen von Katzen unschicklich ist. Damit verbunden war die Eignung der Tiere für die kultische Opferung. Reinheit galt dabei als Qualitätsbezeichnung − so, wie man etwa von reiner Seide oder reinem Wasser spricht. Da für die Gott gewidmete Darbringung nur das Beste gut genug ist, suchte man dafür Tiere aus, die auch im täglichen Umgang grosse Wertschätzung genossen. Daher wurden die einen Tiere für den Gottesdienst «sanktioniert» (wörtlich: «geheiligt»), während andere als unrein und abscheulich galten.

Verpönte Schweine

Eine Ausnahmestellung hatten die Schweine, die zu den ältesten Haustieren zählen und auch im alten Orient verbreitet waren. Der Freiburger Bibelwissenschaftler Thomas Staubli vermutet, Schweine könnten in der Bibel als unrein erklärt worden sein, damit man sich gegen die Philister abgrenzen konnte – politische Gegner, die als Schweineliebhaber galten. Dazu kommt, dass Schweine nur Fleisch hergeben, während andere Haustiere wie Rind, Huhn und Schaf überdies Milch, Eier, Wolle, Felle und Leder liefern. Diese Wertsteigerung machte sie auch als Opfer für Gott wertvoller.

In der Folge bekamen die Schweine in der Bibel den schlechten Ruf, den sie zum Teil bis heute haben. «Ein goldener Ring im Rüssel eines Schweins ist ein Weib, schön, aber sittenlos», heisst es in Sprichwörter 11,22. Der Prophet Jesaja verurteilte das Essen von Schweinefleisch als heidnisch und gotteslästerlich (65,4; 66,17). Der Verzicht darauf wurde zum Glaubensbekenntnis, als fremde Herrschaften wie die Seleukiden die Juden zum Verzehr von Schweinefleisch zwingen wollten, um ihren religiösen Unabhängigkeitswillen zu brechen (2 Makkabäer 6,18; 7,1). Auch die Evangelien festigen den schlechten Ruf der Schweine, wenn der verlorene Sohn in seiner äussersten Not Schweine hütet (Lukas 15,15) oder wenn Jesus die unreinen Geister eines Besessenen in eine Schweineherde fahren lässt (Markus 5,11–13). Dennoch nimmt das junge Christentum erstaunlich locker von den jüdischen Reinheitsgeboten Abschied – mit der einfachen Begründung: «Was Gott für rein erklärt, nenne du nicht unrein!» (Apostelgeschichte 10,13–15).

Wolf im Schafspelz

«Hütet euch vor den falschen Propheten; sie kommen zu euch wie Schafe, in Wirklichkeit aber sind sie reissende Wölfe», mahnt das Matthäusevangelium (7,15). Ezechiel 22,27 vergleicht auch korrupte Beamte mit der Raubgier dieser Tiere. Der Wolf teilt in der Bibel den schlechten Ruf des Hundes, mit dem er verwandt ist. Auch verschiedene Märchen vermitteln dieses Negativbild: Ein Wolf verschluckt Rotkäppchen samt seiner Grossmutter, ein anderer frisst sieben Geisslein auf ein Ma(h)l.

Dieses Image ist noch heute verbreitet, wenn einzelne Wölfe nach einer Periode völliger Ausrottung wieder in die Schweiz einwandern und gelegentlich Schafe reissen. Obwohl Wölfe unterdessen in unserem Land geschützt sind, werden relativ viele zum Abschuss freigegeben, da die Furcht vor ihnen um einiges grösser ist als ihre tatsächliche Gefährlichkeit. So gehen nicht einmal ein Prozent der Todesfälle, die Schafe und Ziegen jährlich bei der Alpsömmerung erleiden, auf das Konto des Wolfes; die meisten Tiere sterben an Krankheiten, Abstürzen, Wetterumstürzen und wildernden Hunden, wie der Zoologe Urs Tester im Januar-Magazin 2008 von Pro Natura festhält. Der Wolf teilt so das Schicksal des Bären und des Luchses, die für manche Menschen als Raubtiere gelten, die bei uns keinen Platz haben.

Fliegen und Mücken, Mäuse und Motten

Neben grossen Raubtieren haben auch manche kleine Biester einen schlechten Ruf. Die Stechmücken zählen in der Bibel zu den zehn Plagen, von denen Ägypten heimgesucht wurde (Exodus 8,12–15). Die lästigen Fliegen werden buchstäblich verteufelt, denn sie stecken im Wort Beelzebul (Herr der Fliegen), das in Matthäus 12,24 als Teufelsname verwendet wird. Vom heiligen Bernhard von Clairvaux wird erzählt, er hätte eine Schar Fliegen kurzerhand exkommuniziert, als sie ihn beim Predigen störten. Darauf sei der ganze Schwarm wie vom Blitz getroffen zu Boden gefallen.

Mäuse sind Schädlinge, die «das Land verwüsten» (1 Samuel 6,5) und in der Liste der unreinen Tiere namentlich aufgeführt werden (Levitikus 11,29). Mäuseplagen gefährdeten in früheren Zeiten nicht selten die Nahrungsvorräte der Menschen, weshalb die an sich putzigen Tiere sogar den heiligen Augustinus an Gottes allumfassender Güte zweifeln liessen. Zu den Schädlingen gehören ebenso die Motten, die es in dieser Funktion sogar in die Bergpredigt Jesu gebracht haben (Matthäus 6,19).

Schlangen – giftig und klug

Kaum ein anderes Tier hat in der Bibel ein derart widersprüchliches Image wie die Schlange. Schlangen sind mit ihrem Gift todgefährlich (Numeri 21,6), wirken in ihren Verstecken heimtückisch (Amos 5,19) und unberechenbar (Sprichwörter 30,18–19). «Flieh vor der Sünde wie vor der Schlange; kommst du ihr zu nahe, so beisst sie dich», rät deshalb Jesus Sirach 21,2. Das Matthäusevangelium (3,7; 2,33) verwendet «Schlangenbrut» als Schimpfwort im Munde des Täufers Johannes wie im Munde Jesu.

Andererseits gelten Schlangen aber auch als schlau (Genesis 3,1) und klug (Matthäus 10,16). Das macht die Sache allerdings nicht besser, denn ein intelligenter Bösewicht ist schlimmer als ein dummer. In der Schöpfungserzählung macht die Schlange Adam und Eva bewusst, dass das Leben todgefährlich und die Welt kein Paradies ist. Das weckt Zweifel, ob es Gott mit dem Menschen wirklich gut meint. Daher wird die dem Menschen gegebene Erlaubnis, von allen Bäumen des Gartens ausser vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen (Genesis 2,16–17), einige Zeilen weiter von der Schlange als Totalverbot formuliert: «Hat Gott wirklich gesagt: Ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen?» (Genesis 3,1). Die Frau stellt zwar die Sache sofort richtig, doch durch die falsch gestellte Frage sitzt der Zweifel, ob Gott tatsächlich wohlwollend oder nicht vielleicht missgünstig hinter dem Leben steht. Die Schlange wird so zur Widersacherin in einem theologischen Drama, das sich bis ins letzte Buch der Bibel fortsetzt (Offenbarung 12).

Dummer Esel

Der Esel ist eines der ältesten Haustiere und wird auch in der Bibel als Reit- und Zugtier sowie als Lastenträger oft erwähnt (Exodus 4,20; Genesis 42,26; Deuteronomium 22,10). Trotz seiner Nützlichkeit wird er als dumm, störrisch, faul und geil verachtet, was sich in den Redewendungen vom dummen oder faulen Esel bis heute zeigt. Das negative Bild ist aber nicht durchgehend. Ausgerechnet eine scheinbar störrische Eselin bewahrt den Seher Bileam davor, ins Verderben zu laufen (Numeri 22,22–35). Auf einer Eselin reitet auch Jesus in Jerusalem ein und lässt sich als Gesandter Gottes feiern (Matthäus 21,1–10) – ein Fingerzeig, dass die vom Menschen verachtete Kreatur in Gottes Augen ihren Wert behält. «Denn hättest du, Gott, etwas gehasst, so hättest du es nicht geschaffen» (Weisheit 11,24).

Sonntag
3. April 2008 | 16:48