Pastoralinstitut der Theologischen Hochschule Chur startet Internationales Praktisch-Theologisches Forschungsprojekt «Religion-Kultur-Tourismus»  

Medienmitteilung

Anfang 2023 startete am Pastoralinstitut der Theologischen Hochschule Chur ein dreijähriges Forschungsprojekt, das die vielfältigen Schnittstellen zwischen Kirchen und Tourismus in der Schweiz in den Blick nimmt: In allen Kantonen boomt das Pilgern und die Gästebetreuung ist ein wichtiger Teil der Touristen-Seelsorge. Im Kulturtourismus ziehen Kathedralen und Klosterkirchen als architektonische Baudenkmäler Menschen aus Nah und Fern in ihren Bann. Die Citykirchen in Basel, Bern, Zürich und St. Gallen sind mit ihrem reichhaltigen Programm fester Bestandteil der städtischen Event-Angebote. Und im Sommer sind Velowegkirchen und Bergkapellen bei Wanderern und Bikern sehr beliebt, weil ihre angenehm kühlen Räume nicht nur Gelegenheit für Ruhe und Rast bieten, sondern auch die Möglichkeit, ein Gebet zu sprechen oder eine Kerze anzuzünden.

Was sich im Alltagsstress in Beruf und Familie oft als schwierig erweist, nämlich die Schwelle der Kirchentür zu überschreiten, präsentiert sich in den Ferien oft anders. Weil sonst keine Zeit für Entschleunigung bleibt, werden spirituelle und kulturelle Angebote der Kirchen in den Ferien als bereichernd empfunden. Umfragen zeigen, dass den Kirchen in diesen Bereichen nach wie vor eine hohe Kompetenz zugesprochen wird.

Das praktisch-theologische Forschungsprojekt «Religion – Kultur – Tourismus» am Pastoralinstitut der TH Chur geht von der Beobachtung aus, dass die Sinnsuche in den Ferien für viele Menschen ein wichtiges Motiv ist. Spiritueller Tourismus ist seit 2020 einer der Megatrends im Tourismus. Ausserdem sind Freizeit und Tourismus sowohl ökonomisch als auch gesellschaftlich ein zentraler Schlüssel für die Zukunft. Da sich die Tourismus-Branche immer deutlicher als Dienstleistungsbereich für das Wohlbefinden der Menschen unserer Gegenwart entwickelt, können auch die Kirchen neue Sinnfenster für die Menschen des Jahres 2023 öffnen. Das Engagement der Kirchen in der Tourismuspastoral ist daher mehr als sinnvoll, denn die in den gegenwärtigen Tourismustrends zu findenden Spuren des Religiösen und des Spirituellen müssen sorgfältig analysiert und interpretiert werden. Die vielfältigen und oft originellen Aktivitäten der Kirchen im Tourismus bilden das Untersuchungsfeld des Forschungsprojekts «Religion – Kultur – Tourismus». Es wird durch drei erkenntnisleitende Dimensionen strukturiert:

1.) Mapping: Die beiden grossen Kirchen der Schweiz bereichern in Tourismus-Destinationen schon seit Jahren das Freizeit-Angebot durch zahlreiche Aktivitäten. Sie werden auf einer Online-Plattform kartografiert, dokumentiert und öffentlich zugänglich gemacht.

2.) Networking: Zur Nutzung der Synergien ist es wichtig, dass die zahlreichen Akteure und Initiativen im Feld kirchlicher Präsenz im Tourismus voneinander wissen und miteinander vernetzt werden. In Kooperation mit dem Verein ‹Kirchen und Tourismus Schweiz› (ktch.ch) fördert das Forschungsprojekt die Kommunikation, den Erfahrungsaustausch und die Vernetzung an der Schnittstelle von Kirchen und Tourismus durch Tagungen und Publikationen.

3. Researching:  Es wird immer wieder von Tourismus-Verantwortlichen betont, dass es im Bereich des Kultur-Tourismus ein grosses Entwicklungspotenzial für Theologie und Kirchen gibt, das bei weitem noch nicht ausgeschöpft ist. Im Rahmen des Forschungsprojekts wird eine praktisch-theologische Konzeption kirchlicher Präsenz im Tourismus entwickelt, welche die verschiedenen Handlungsfelder bündelt.  

Vom Matterhorn bis in den Vatikan

Aus historischer Perspektive ist zu beachten, dass die Relevanz der Thematik bereits früh erkannt wurde: Im Jahr 1965, also vor bald 60 Jahren, gründete der damalige Churer Bischof Johannes Vonderach die erste kirchliche Kommission Kirche im Tourismus (KAKIT). Diese Kommission wurde im folgenden Jahr von der Schweizer Bischofskonferenz auf nationaler Ebene weitergeführt. Diese Idee zog sogar Kreise bis in den Vatikan, wo 1970 die Päpstliche Kommission für Wanderer- und Touristenseelsorge gegründet wurde. Seitdem blieb es jedoch bei eher zaghaften Versuchen, Kirchen und Tourismus stärker zu vernetzen. Dass hier Forschungsbedarf besteht, betonte Markus Vogler, der 1990 bei Prof. Dr. Leo Karrer an der Universität Fribourg die bislang einzige Schweizer praktisch-theologische Dissertation zum Thema «Kirche und touristische Mobilität» verfasste. Seither wurde dieses kirchliche Handlungsfeld jedoch wenig weiterentwickelt.

Als wegen Mangel an Ressourcen 2019 sowohl die «Kommission für Tourismus-, Freizeit- und Pilgerseelsorge» der Schweizer Bischofskonferenz (SBK) als auch die Kommission «Kirche und Tourismus» des damaligen Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds (SEK) sistiert wurden, entstand 2020 der ökumenisch getragene Verein «Kirchen und Tourismus Schweiz» (www.ktch.ch). Er versucht der Präsenz der Kirchen im Tourismus neuen Schwung zu verleihen und die zahlreichen kirchlichen und kulturellen Aktivitäten im Schweizer Tourismus miteinander zu vernetzen und weiterzuentwickeln. Der Verein KTCH hat seine Bereitschaft erklärt, eng mit dem neuen Forschungsprojekt der TH Chur zusammenzuarbeiten. Gemessen an der Bedeutung, die der Tourismus für das weltbekannte Ferienland Schweiz hat, wurde dem Beitrag der Kirchen zum Kulturtourismus in der Schweiz bislang nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt. Dieses Defizit möchte das neu gestartete Forschungsprojekt beheben.

Forschungsgeschichte und Entwicklungspotenzial

Um die Frage kirchlicher Präsenz im Tourismus wissenschaftlich zu reflektieren, hat das Pastoralinstitut der TH Chur in Zusammenarbeit mit dem Institut für Tourismus und Freizeit (ITF) der FH Graubünden (damals HTW) und weiteren Kooperationspartnern bereits im Jahr 2016 die Tagung «Gelebte Gastfreundschaft – Kirchen im Tourismus» veranstaltet. Diese Netzwerk-Tagung verstand sich als Nachfolge-Veranstaltung zu einem Anlasse, der bereits 2011 zusammen mit der ZHAW in Wergenstein/Andeer durchgeführt wurde und bereits damals der Vernetzung zwischen den Tourismus-Verantwortlichen in den Kirchen, in der Wirtschaft und in der Politik dienen sollte. Die Ergebnisse der Tagung wurden zusammen mit weiteren externen Beiträgen zum Forschungs- und Entwicklungsbedarf kürzlich in einer Publikation zusammengetragen. Der Band thematisiert Grundsatzfragen der Tourismusforschung und bilanziert Aktivitäten im Bereich der Schweizer  Tourismuspastoral. Es werden ebenso Best-Practice-Beispiele beschrieben wie Desiderate in der Grundlagenforschung und konzeptionellen Entwicklung aufgezeigt: Cebulj, Christian/Schlag, Thomas (Hg.): Zwischen Kreuzfahrt und Klosterküche. Formen kirchlicher Präsenz im Tourismus (Forum Pastoral Bd. 8) 230 S., Theologischer Verlag Zürich 2021.  

Internationale Vernetzung

Das Forschungsprojekt «Religion – Kultur – Tourismus», das eine dreijährige Laufzeit hat (2023-2025), knüpft an diese Ergebnisse an und versucht vor allem das Forschungsfeld des ‹spirituellen Tourismus› weiterzuentwickeln. Zu diesem Zweck ist das Forschungsprojekt der TH Chur neu Mitglied im EU-geförderten Internationalen Netzwerk ‹Future for Religious Heritage› in Brüssel ( www.frh-europe.org ). Anna-Lena Jahn und Christian Cebulj nahmen im April 2023 an der Internationalen FRH-Tagung im schwedischen Lund teil. Als Ergebnis der Konferenz in Lund sind Kooperationen mit Forscher-gruppen in Spanien, Deutsch-land und England im Entstehen.

Im Juni 2024 findet an der Theologischen Hochschule Chur eine Internationale Forschungs-tagung zum Thema ‹Spiritueller Tourismus› statt. Weitere Forschungs-Ergebnisse werden auf der Website des Projekts publiziert.

Prof. Dr. Christian Cebulj (Projektleitung)

MA Anna-Lena Jahn (Forschungsmitarbeiterin) BA Tourismus, MA Religion-Wirtschaft-Politik (Stand 11.05.2023)

Theologische Hochschule Chur
16. Mai 2023 | 09:09