Organspende ja – aber nach welchen Regeln?

Im vierten «Ethik-Talk in der Stadt» im Festsaal St. Katharinen hiess das Thema «Organspende ohne oder mit ausdrücklicher Zustimmung»?

St. Gallen. – Norbert Ackermann begrüsste die Zuhörer im Namen der Christlichen Sozialbewegung KAB SG und betonte, dass es bei der Auseinandersetzung über das Thema Organspende nicht um die Frage «Organspende ja oder nein» gehe, sondern um «Organspende ja – aber nach welchen Regeln»! Zwei kompetente Persönlichkeiten waren für Kurzreferate eingeladen worden. Dr. sc. nat. Daniel Gregorowius, Leiter Forschung bei der Stiftung Dialog-Ethik Zürich, sprach über die ethische Perspektive, PD Dr. med. Franz Immer, CEO Swisstransplant Bern, über die medizinischen Aspekte der Organspende. Beim anschliessenden Podiumsgespräch kamen Michelle Hug-Seitz, betroffen von Transplantation, und Sepp Koller, Seelsorger am Kantonsspital St. Gallen hinzu. Georg Schmucki, Pfarrer im Ruhestand, führte durch den Abend.

Gesetzliche Grundlagen.

Leben und Tod, wir leben in dieser Wirklichkeit. Gott will das Leben, ist ein Gott des Lebens, wähle das Leben. Um das geht es heute Abend und in der Abstimmung, die am 15. Mai stattfinden wird. Mit diesen Worten eröffnete Georg Schmucki den Ethik-Talk und gab das Wort an Daniel Gregorowius zum ersten Kurzreferat. Dieser wies als erstes darauf hin, dass die Organspende in der Schweiz durch das Transplantationsgesetz geregelt ist und sich an bestimmten ethischen Prinzipien orientiert. Es gelten der Schutz der Menschenwürde, der Persönlichkeit, der Gesundheit und der Wille des Verstorbenen auch über den Hirntod hinaus. Ausserdem die Festlegung des Todeskriteriums und das Verfahren der Organzuteilung. Bisher galt die sogenannte erweiterte Zustimmungslösung. Die dokumentierte Zustimmung des Patienten oder die der Angehörigen aufgrund des mutmasslichen Willens des Patienten ist dabei nötig. Neu steht die sogenannte Widerspruchslösung zur Diskussion, die in Europa sehr verbreitet ist. Die erweiterte Widerspruchslösung, die zur Abstimmung steht, bedeutet, dass jedermann automatisch Spender ist, sofern er sich nicht zu Lebzeiten dagegen ausgesprochen und das im entsprechenden Register eingetragen hat. Dabei gibt es ein Einspruchsrecht der Angehörigen, sofern kein dokumentierter Wille vorliegt.

Ethische Aspekte der Organentnahme.

Dabei geht es um die Risiken infolge der Transplantation bei den Organempfängern, zugleich um ein Abwägen zwischen der über den Tod hinaus bestehenden Menschenwürde des Spenders und dem Recht auf Leben einer schwer kranken Person. Die Risiken der Organtransplantation werden in der Medizin intensiv diskutiert. Die Abstossungsreaktion zwingt zur Einnahme von Immunsuppressiva mit teilweise schweren Nebenwirkungen. Es geht um die Prinzipien der Lebenserhaltung, der Lebensverlängerung und Lebensqualität.

Eine ethische Frage ist vor allem die der Würde und Autonomie des Spenders. Um die Menschenwürde über den Tod hinaus zu achten, bedarf es der Willensäusserung zur Organentnahme. Das Eigentumsrecht am eigenen Körper kann als Freiheitsrecht angesehen werden. Wichtig ist auch, wie der Hirntod, nach dem die Organentnahme geschieht, verstanden wird. Ist er eine Phase des Sterbeprozesses oder der Gesamttod einer Person?

Wichtig ist auch die Frage nach der Zuteilung von Organen. Dabei müssen Chancengleichheit und Verteilungsgerechtigkeit gewahrt werden. Problematisch ist, was bei der Widerspruchslösung mit urteilsunfähigen Menschen geschieht, mit solchen, die wenig Zugang zu Wissen und Information haben? Der Gedanke der Solidarität spielt bei der Widerspruchslösung aus ethischer Sicht eine grosse Rolle. Die Deutsche Bischofskonferenz nennt die Bereitschaft zur Organspende ein Zeichen der Nächstenliebe. Eine moralische Verpflichtung zur Organspende würde hingegen der Selbstbestimmung entgegenstehen. Es gibt keinen Anspruch auf Organe anderer Menschen. Dies würde auch der Freiwilligkeit einer Spende widersprechen.

Menschen sterben wegen Organmangel.

Im zweiten Kurzreferat sprach Franz Immer über Organspende ohne oder mit ausdrücklicher Zustimmung. Er hat 14 Jahre als Herzchirurg gearbeitet und viele Herztransplantationen durchgeführt. Vor zehn Jahren noch hat Swisstransplant die Widerspruchslösung nicht anerkannt. 2015/16 wurde eine Initiative gestartet, um Spender zu erkennen und so die Anzahl der Organspenden zu erhöhen. Trotz grosser Anstrengungen gab es nicht mehr Spender. Heute müssen oft die Angehörigen stellvertretend entscheiden, da die Ansicht der Sterbenden nicht bekannt ist. Die Angehörigen sind in dieser Situation meist nicht in der Lage, die Angelegenheit klar zu beurteilen. Viele Angehörige, die nein sagen, ändern Monate später ihre Haltung. Tragisch an der Tatsache, dass es mit der heutigen Zustimmungslösung zu wenige Organspenden gibt ist, dass in der Schweiz jede Woche zwei Personen sterben, die auf ein Organ warten. Auch Kinder sterben deswegen. Für Arzt oder Eltern ist das eine traurige Sache. 2021 waren 2169 Patienten auf der Warteliste für eine Transplantation, 587 Transplantationen wurden ausgeführt und 72 Menschen starben, weil kein Organ verfügbar war.

Beim Angehörigengespräch ist das Ziel immer, herauszufinden, was für die Angehörigen stimmt. Es wird nie Druck aufgesetzt. Der Hirntod ist formaljuristisch der Tod. Danach gibt es keine Rückkehr ins Leben mehr. Für Ärzte und Pflege ist die Würde des Verstorbenen wichtig. Franz Immer bedankt sich immer beim Verstorbenen für das gespendete Organ. Er ist ein klarer Verfechter der Widerspruchslösung. Seiner Meinung nach sind Zustimmungs- und Widerspruchslösung ethisch vertretbare Lösungen. Alle können ja oder nein sagen.

Keine Altersgrenze für Organspenden!

Im anschliessenden Podiumsgespräch sprach Michelle Hug-Seitz über ihre Herztransplantation. Mit 18 Jahren hatte sie einen Hirnschlag. Danach wurde ein angeborener Herzfehler festgestellt. Ihre Schwester hat den gleichen Fehler. Mit 27 Jahren war sie angewiesen auf ein neues Herz. Heute, viele Jahre nach der Transplantation ist sie gesund, arbeitet 100 Prozent und treibt Sport. Sie sagt, wer nehmen will, muss auch geben. Wer im Notfall ein fremdes Organ bekommen will, muss auch seine Organe zu geben bereit sein. Bezüglich der Spendensituation meint sie, auch eine minime Verbesserung wäre gut.

Franz Immer betonte, dass Frankreich mit der Widerspruchslösung prozentual doppelt so viele Spenden wie die Schweiz hat. Viele Spenderorgane kommen aus Frankreich. Für Sepp Koller ist es das Wichtigste, dass darüber geredet wird. Vielleicht kennen wir jemand, der ein Organ empfangen hat, das seien wunderbare Geschichten.

Zur Frage aus dem Publikum nach dem Spendenalter führte Franz Immer aus, dass es keine Altersgrenze gibt. Vor allem die Leber kann noch von Spendern über 90 Jahre gebraucht werden. Die Leber kann 150 Jahre alt werden. Etwas weniger die Niere, dann die Lunge, das Herz. Die Westschweizer haben nichts gegen die Widerspruchslösung, nur die Deutschschweizer. Eine einzelne Person kann mehrere Organe spenden, also viele Leben schenken. Für Organspenden gibt es keine Entschädigung.

Michelle Hug-Seitz erwähnte abschliessend auch die Familientreffen von Angehörigen von Spendern, die sich informieren können, wie es den Empfängern geht. Die Eltern ihres Spenders freuten sich über einen Brief von ihr in deutscher Sprache. Der Spender habe die deutsche Sprache geliebt. Sie erwähnte auch die gute Betreuung, die sie als Empfängerin erlebt hat.

Abschliessend ein Hinweis auf den Bericht «Organspende – Ethische Erwägungen zu den Modellen der Einwilligung in die Organentnahme» der Nationalen Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin. Sie empfiehlt eine Erklärungs- bzw. Zustimmungsregelung, bei der die Menschen in der Schweiz regelmässig aufgefordert werden, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und sich dazu zu äussern. In der Widerspruchsregelung sieht sie keine Lösung der Problematik mangelnder Spenderorgane.

Altstätten, 07.03.2022  /   Theodor Looser