Kurt Aeschbacher kritisiert Cancel Culture

Vortrag von Kurt Aeschbacher anlässlich der Verleihung des Filmpreises der Kirchen im Kanton Zürich am 1. Oktober 2020 am ZFF

Bevor Ihnen die Jury bekanntgibt, wer dieses Jahr mit dem Filmpreis der Kirchen ausgezeichnet wird, fasste ich die Aufgabe, Sie noch ein paar Minuten auf die Folter zu spannen. Als Unterhaltungsfuzzi a. D. nehme ich natürlich freudig jede Chance wahr, auf irgendeiner Bühne eine kurze Predigt zu halten.

Nun, Kirchen und Bilder. Eine über Jahrhunderte bewährte Liaison: heute abend stehen berührende Geschichten, erzählt in bewegten Bildern im Mittelpunkt.

 Die Kirche spricht aber seit jeher mit Bildern zu den Gläubigen. Nur waren es früher statische, meisterhaft gemalte Gemälde, welche sich ikonografisch über Jahrhunderte in unseren Köpfen eingruben. Zum Beispiel die fast schon comixmässigen Darstellungen der Schöpfungsgeschichte, wenn sie mir diesen Ausdruck zu den 500 jährigen Fresken von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle erlauben. Fresken, die das ganze Elend des Menschseins zeigen. Von der Erschaffung Adams (Eva war da ja eher ein Nebenprodukt) über den Sündenfall (da hat interessanterweise Eva den Lead) bis zum Desaster des jüngsten Gerichts. Wenn diese Darstellungen evolutionsgeschichtlich auch nicht mehr ganz dem heutigen Wissenstand entsprechen, begleiten diese Bilder heute noch unser Denken und bestimmen im Zeitalter der Rassismus- und Gender Diskussion unsere Wahrnehmung. Deshalb ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis diese Darstellungen auf Druck der zunehmend empfindlichen Vertreter* (Sternchen) INNen einer modernen Diskriminierungs-Diskussion, – auch Cancel Culture genannt – entfernt oder zumindest abgedeckt werden müssen.

Aber lassen Sie mich da kurz verweilen und filmtechnisch gesprochen auf einen Bildausschnitt Michelangelos fokussieren. ……Den Sündenfall nämlich und die daraus resultierende Vertreibung aus dem Paradies mit der Konsequenz, das ewige Leben gegen die Endlichkeit des menschlichen Daseins eintauschen zu müssen. Eine Entwicklung, die ich als äusserst positiv beurteile. Denn erst der Tod macht das Leben wertvoll (und diese Chance der Sinngebung hätten wir Erdenbürger verloren, wenn wir zum ewigen Dasein verurteilt worden wären – Paradies hin oder her). Allerdings hat dieser dumme Biss des NOTA BENE weissen Adams in den Apfel der vermeintlichen Erkenntnis, uns Menschen eine andere Krux beschert. Die Erbsünde nämlich. Was mich schon als Kind im Religionsunterricht irritierte: weshalb sollte ich wegen einem Fehltritt von Adam und Eva schon mit meiner Geburt sündig geworden sein. Nachdem ich ja vom Biologie Lehrer erfuhr, dass wir nicht von Adam und Eva, sondern von den Affen abstammen.

Nun: alle theologisch gebildeten Zuhörerinnen werden mir entgegenhalten, dass man im Lauf der Jahrhunderte diese ganze christliche Erbsünden Diskussion, die uns der Apostel Paulus eingebrockt hat, in der neueren Theologie etwas weiter fasst, etwas weniger persönlich als Schuld definiert, sondern mit der allgemeinen Verführbarkeit des Menschen zur Sünde erklärt. Immerhin gilt in der christlichen Welt die erlösende Erkenntnis, dass sich dieser Erb-Sündenmakel kraft der Taufe aufheben lässt. Meiner Ansicht nach ein grossartiger Marketing Trick der christlichen Religion, der bis vor einigen Jahren stets für genügend Nachwuchs der kirchlichen Mitgliederverzeichnisse sorgte. Diese Zeiten sind sichtbar verblasst. Und dies nicht nur weil das Bild der Erbsünde etwas ausbleichte.

Nur kämpfen wir heute mit einer ganz neuen und viel fundamentaleren und gefährlichen Dimension der Erbsünde

Lassen Sie mich das etwas ausführen:

Das Ganze beginnt mit der Tatsache nämlich, dass in der Darstellung von Michelangelo nicht nur Gott, der Adam zum Leben erweckte ein weisser alter Mann ist, sondern das Urpaar Adam und Eva offensichtlich auch noch heterosexuell agieren. Und damit sind wir mitten in der neuartigen Diskussion des strukturellen Rassismus, der laut seinen Vertreter* INNen  in der westlichen Welt bereits durch die Geburt eines weissen Menschen grundsätzlich festgelegt ist. Wer weiss ist, funktioniert in dieser Rassismusdefinition immer rassistisch. Sprich Michelangelos Fresken sind reiner Rassismus. Sie helfen mit, dass weisse Menschen in Kunst, Literatur, oder Filmen weiss geprägt werden: immer mehr greift diese erschreckende Logik bar jeder Redlichkeit um sich und droht eine vernünftige Diskussion um ein vorurteilsloses Zusammenleben zu verhindern.

So gibt es in der heutigen Gesellschaft eine neue Form der ultimativen Erbsünde, die weder durch die Taufe, noch durch ein anständiges Leben getilgt werden kann: begründet durch die Lehren der militanten Antirassismus Bewegung, verstärkt durch die radikalen Aktivisten des Feminismus, sowie Schwulen und Transgender Vertreter. Nach dem Konzept des strukturellen Rassismus bedeutet dies: wer weiss ist, ist Rassist.

Immer.

Kraft seiner Hautfarbe.

Das sagt Robin di Angelo in Ihren Betrachtungen «White Fragility». Durch die Geburt und durch die Privilegien, die Weisse in der weissen Mehrheitsgesellschaft geniessen. Dadurch, dass sie sich in der weissen Gesellschaft bewegen, machen sie sich an all denen schuldig, die anders sind als sie. Weil ihr Denken grundsätzlich von rassistischen Klischees bestimmt ist. Wer anderes behauptet, gehört in die Schmuddelecke

Was wie eine intellektuelle Verwirrung aussieht, macht jedoch auch in anderen Bereichen immer mehr Schule. Wer Heterosexuell ist, macht sich schuldig, weil er oder sie keine Ahnung hat, was es bedeutet als Schwuler oder Transgender in einer «heteronormativen» Gesellschaft zu leben. Ein Mann weiss sowieso nicht, was eine Frau in gewissen Situationen empfindet. Umso mehr als unsere Rechtsordnung seit der Aufklärung von weissen Männern entwickelt wurde. So die Argumente, die in diesem unredlichen Kampf für Gleichstellung immer häufiger auch politisch Gehör finden.

Mit dieser immer akzeptierteren Denkweise der Empfindlichkeiten und damit der automatischen Schuldzuweisung reduziert man Menschen auf ihre Hautfarbe, ihr Geschlecht, ihre sexuelle Identität oder gesellschaftliche Zugehörigkeit. Alle anderen Merkmale des Menschseins blendet man aus und verhindert damit einen Dialog. Legitimiert, eine Diskussion zu führen, ist nur noch, wer sich als Opfer ausweisen kann. Nur wer Diskriminierung erlebte, darf sich dazu äussern und spricht im Namen einer höheren Wahrheit. Damit lädt eine Mehrheitsgesellschaft eine neue Form von Erbsünde auf sich, die sich mit nichts tilgen lässt. Zur Schuld von Adams Biss in den Apfel kommt nun neu die Schuld der Geburt und der Zugehörigkeit zu einer weissen Mehrheit.

So funktioniert Rassismus und Diskriminierung mit umgekehrten Vorzeichen. Als ätzendes Gift. Repression wird durch eine andere Form der Repression ersetzt und mit dem Etikettenschwindel der Freiheit versehen.

Freiheit ist jedoch unteilbar. Sie gilt für alle. Und Freiheit benötigt den offenen Diskurs. Sie braucht den Respekt vor dem anderen, die Bereitschaft des Zuhörens, die Fähigkeit nicht über Schuldzuweisungen seine Eigeninteressen zu vertreten, sondern dem ehrlichen Willen, gemeinsam Ungerechtigkeiten zu verhindern. Niemand ist berechtigt, einem anderen die Legitimät einer Meinungsäusserung zu verbieten. Niemand kann für den sogenannten Makel seiner Augenfarbe oder seines Geschlechts verantwortlich gemacht werden. Wohl aber für die Verantwortung, was wir tun, aber auch was wir dulden. Darauf sollte sich wieder vermehrt politisches Handeln und gesellschaftliche Verantwortung konzentrieren.

Die Verleihung eines Filmpreises durch die Kirchen ist ein sympathischer Schritt seine Offenheit für das Kulturgut Film zu beweisen. Im Alltag gilt es aber auch Stellung zu beziehen. Zum Beispiel gegen die neuzeitliche Rückkehr der Erbsünde als rassistisches Kains-Mal, das einen sinngebenden Diskurs für ein respektvolles Zusammenleben unter Menschen verunmöglicht. Wer die Devise vertritt: rede nur mit Menschen, die grundsätzlich deine Positionen mit dir teilen, wird keine bessere Gesellschaft schaffen. Ich gehe so weit zu behaupten: wer schweigt macht sich mitschuldig. Das gilt für unbewältigte Probleme in den Kirchen, das galt vor über 70 Jahren politisch und ist heute gegenüber totalitären Ideologien wichtiger denn je. Lassen Sie mich damit schliessen: Der Lohn der richtigen Handlung liegt nicht im Jenseits. Er liegt in der mutigen Handlung im Hier und Jetzt. Im Mut zu einer eigenen Meinung, im Mut seine Ansichten auch zu äussern und in der Bereitschaft, sich dem Diskurs zu stellen, mit dem Ziel einen Konsens zu finden.

AMEN

Gastbeitrag
2. Oktober 2020 | 13:19