Martin Michalíček, Generalsekretär des CCEE

«Im Kleinen etwas Frieden bewirken»

Medienmitteilung

Abschiedsgottesdienst für den CCEE in der Kathedrale St.Gallen am Samstag: Nach 53 Jahren in der Schweiz zieht das Sekretariat des CCEE (Rat der Europäischen Bischofskonferenzen) von St. Gallen nach Rom. Am kommenden Samstag, 17.30 Uhr, sind alle zum Abschiedsgottesdienst in die Kathedrale St. Gallen eingeladen. Der CCEE nimmt für die katholische Kirche in Europa in allen Stürmen der Zeit wesentliche Aufgaben wahr, und das bereits seit dem Gründungsjahr 1971.

Martin Michalíček, Generalsekretär des CCEE, sieht durch den Umzug nach Rom drei Vorteile: Viele Bischöfe reisen regelmässig nach Rom, so sind auch spontane Begegnungen möglich. Der Kontakt mit Fachleuten, beispielsweise in den päpstlichen Universitäten, wird unkomplizierter. Ebenso die regelmässigen Treffen mit den Sekretariaten aus anderen Kontinenten wie Afrika oder Südamerika.

Die Kurzdefinition der Aufgaben des CCEE ist, die kollegiale Funktion der Bischöfe in Europa zu fördern. Der CCEE hat dabei keine exekutive Entscheidungsmacht, diese liegt beim Vatikan. Der CCEE besteht aus neununddreissig Mitgliedern, darunter dreiunddreissig Bischofskonferenzen, die Erzbischöfe von Luxemburg und Monaco, der maronitische Erzbischof von Zypern und die Bischöfe von Chişinău (Moldau), der Eparchie Mukatschewo und der Apostolischen Verwaltung von Estland. Sie alle zusammen repräsentieren die katholische Kirche in fünfundvierzig Ländern des europäischen Kontinents. Jährlich findet eine Vollversammlung statt. Alle Mitglieder haben dasselbe Stimmrecht. Vertreten sind auch drei verschiedene Riten: römisch-katholisch, griechisch-katholisch und die Maroniten. «Der Patriarch von Jerusalem ist regelmässiger Gast bei den Vollversammlungen, da er zuständig ist für die römisch-katholische Bevölkerung in Zypern», ergänzt Martin Michalíček.

In den vergangenen Jahren war die Vorbereitung der für 2024 geplanten Bischofssynode eine wesentliche Aufgabe des CCEE; konkret die Organisation der kontinentalen synodalen Versammlung. 200 Teilnehmende trafen sich in Prag, darunter auch eine Delegation aus der Schweiz, zugeschaltet wurden aus allen Ländern weitere Teilnehmende. Beteiligt waren Frauen, Männer, geweihte und nicht geweihte Katholikinnen und Katholiken aus den Ländern Europas. Reformforderungen wurden diskutiert, Möglichkeiten der Neuevangelisierung oder die Zukunft der Kirche allgemein. Das Schlussdokument ist verfasst und es ist eingeflossen in das Vorbereitungsdokument für die ordentliche synodale Versammlung im Oktober 2023 im Vatikan.

Der Krieg Russlands gegen die ganze Ukraine 2022 hatte Auswirkungen auf die Arbeit des CCEE, der ökumenische Dialog mit den orthodoxen Kirchen wurde schwieriger. Vernetzen, verschiedene Gruppen miteinander ins Gespräch bringen, die Fäden im Hintergrund ziehen, das bleibt in dieser Situation besonders wichtig. Der Generalsekretär nennt ein Beispiel: In Prag nahmen Delegierte aus Russland wie aus der Ukraine teil. «Trotz des Krieges war der Dialog noch möglich ist, so kann der CCEE etwas Frieden bewirken und den Boden bereiten für (künftige) Gespräche.»

Dass der jetzige Präsident Gintaras Grušas, Erzbischof von Vilnius, aus Litauen stammt ist für den Generalsekretär «eine Vorsehung», da Litauen ein Nachbar von Russland und Weissrussland ist, die miteinander sehr verbunden sind. «Ein Vorsitzender aus der Schweiz beispielsweise würde die Situation anders behandeln», ergänzt Martin Michalíček. Es gehe aber nicht nur um das Land, sondern auch um die Persönlichkeit. Der russische Vorsitzende der römisch-katholischen Bischofskonferenz ist momentan ein Italiener. er hat die Möglichkeit, zu den vermissten Ukrainern in Russland eine Verbindung herzustellen. «Was der CCEE bewirken kann ist weniger auf einer offiziellen Ebene, aber er kann Gespräche ermöglichen und gegenseitiges Verständnis wecken, das wirkt im Kleinen», betont der CCEE-Generalsekretär.

Dass der Auftrag des CCEE durchaus Auswirkungen haben kann, zeigt ein Rückblick in seine Geschichte, konkret in die Zeit des Eisernen Vorhangs. 47 Jahre lang war der Rat in St.Gallen beheimatet. Das hat viel mit dem langjährigen Generalsekretär des CCEE (1977-1995) und späteren St. Galler Bischof Ivo Fürer zu tun. Als Schweizer und zusätzlich im Besitz eines Vatikan-Passes war es ihm möglich, hinter den Eisernen Vorhang zu reisen. Der Einfluss der Kirchen in dieser Zeit war nicht unbedeutend. So wurden beispielsweise die Lichterprozessionen in der ehemaligen DDR stark von Kirchenvertreterinnen und Kirchenvertretern gefördert – ein kleiner Beitrag auf dem Weg zum Fall der Grenzen und zur Wiedervereinigung Deutschlands. Und mitten drin in diesem Prozess, auch in Ungarn, Rumänien oder der Tschechoslowakei, der CCEE. Er zieht Fäden, wirkt im Stillen, schafft gegenseitiges Verständnis – Diplomatie im Hintergrund, aber nicht ohne Folgen. Das gilt auch kirchenpolitisch.

Rückblickend wieder nur ein Beispiel von vielen: Die Europäische Ökumenische Versammlung in Basel (1989) mit dem Thema «Frieden in Gerechtigkeit» wurde zum ökumenischen Grossereignis. Bei der thematischen Vorbereitung spielte der Philosoph Carl Friedrich von Weizsäcker zur Frage der Atomenergie eine grosse Rolle. Der Bau von Atomkraftwerken setzt, sollen sie soweit wie möglich sicher sein, Frieden voraus. Doch Frieden gibt es nicht ohne eine gerechte Ordnung. Was das heute beispielsweise für das Kernkraftwerk Saporischja in der Ukraine bedeutet ist bekannt, die Geschichte wiederholt sich. Dass in Basel schliesslich aus den verschiedensten Stimmen aller Kirchen ein gemeinsames Schlussdokument verabschiedet wurde, grenzte damals an ein kleines Wunder.

Zurück in die Gegenwart. Vermehrt wird heute zusätzlich zur ökumenischen Zusammenarbeit mit der evang.-ref. Kirche oder den Orthodoxen auch der interreligiöse Dialog gepflegt, eine eigene CCEE-Sektion befasst sich damit. Innerkirchlich wird sich der CCEE weiter intensiv für die Vorbereitungen zur Bischofssynode 2024 engagieren. «Es ist viel von Dezentralisierung die Rede», sagt Martin Michalíček. Während in den deutschsprachigen Ländern beispielsweise die Frauenordination ein Thema ist oder die Abschaffung des Pflichtzölibates, haben andere Teile des Kontinents ganz andere Probleme und Vorstellungen. Wie kann so Zusammenarbeit gelingen?

Der Generalsekretär blickt für die Antwort über Europa hinaus in die römisch-katholische Weltkirche. Der CCEE ist, angesichts der Kontinentalversammlungen von Asien, Afrika oder Lateinamerika die geografisch kleinste, aber bunteste Gruppe. Mit Luxemburg oder Monaco sind die kleinsten Länder vertreten, die Unterschiede west-ost oder nord-süd sind beachtlich. Es gibt grosse gemeinsame Themen, die in aller Welt beschäftigen wie Frieden oder Migration, und es gibt die ganz verschiedenen Zukunftsvisionen wie die Stellung der Frauen in der Kirche oder der Pflichtzölibat für Priester. Die Missbrauchs-Verbrechen beschäftigen selbstverständlich alle Mitglieder des CCEE, Erfahrungsaustausch und gegenseitiges Lernen haben eine grosse Bedeutung im Bereich Prävention und Reaktion auf Übergriffe.

Die Bischofskonferenzen Europas verbindet vor allem mehr als sie trennt: «Die grösste Gemeinsamkeit ist die Normalität der Pluralität und der Freiheit in den meisten Regionen unseres Kontinentes», sagt der Generalsekretär. Und dass jedes Land mehr oder weniger christliche Wurzeln habe, die undenkbar seien ohne Jerusalem, Athen und Rom. «Die hebräische, griechische und römische Kultur; alles fliesst ein in das kirchlich-christliche Erbe, auf dem wir bauen und aus dem wir leben», ergänzt Martin Michalíček.

Er wird nun noch den Umzug und die Einarbeitung in Rom begleiten, dann zieht es ihn zurück in sein Heimatland Slowakei. Ab Juli 2024 möchte er wieder in der Seelsorge tätig sein. Gefragt nach der Zukunft der Kirche in Europa sagt der gebürtige Slowake: «Es wird keine Volkskirche mehr sein, kleiner, mit weniger Privilegien, aber sie hat auf jeden Fall eine Zukunft». An dieser möchte er mitarbeiten, zuerst noch für einige Zeit in Rom beim CCEE, danach zurück an der kirchlichen Basis in seinem Heimatland. (BistumSG/Sabine Rüthemann)

Martin Michalíček, Generalsekretär des CCEE | © Sabine Rüthemann
Bistum St. Gallen
9. April 2024 | 14:50