«Die Einseitigkeit ist eine Krankheit» , sagt Al Imfeld

Lotta Suter hat ein packendes Buch über das abenteuerliche Leben von Al Imfeld geschrieben. Nun stellen sie es in Zürich vor

Von Rudolf Walther

Der Priester, Journalist, Entwicklungshelfer, Kulturvermittler und Lyriker Alois Imfeld wurde als ältestes von dreizehn Kindern am 14. Januar 1935 in eine kleinbäuerliche Familie im luzernischen Napfgebiet hineingeboren. Der Vater, aus Obwalden «eingewandert» , und die Mutter brachten die Familie unter Entbehrungen durch, lehrten die Kinder aber Solidarität und Ehrfurcht vor dem anderen, was Alois Imfeld mehr prägte als das Internat der Schweizerischen Missionsgesellschaft Immensee, das Noviziat und das Priesterseminar.

Nach der Priesterweihe 1961 setzte Imfeld das Theologiestudium an der Gregoriana in Rom fort, scheiterte jedoch beim Abschluss. Er wurde aus Rom buchstäblich verjagt, weil er im Vorfeld des Zweiten Vatikanischen Konzils, an dessen Vorbereitung er als Sekretariatsmitarbeiter beteiligt war, Informationen an Journalisten weitergegeben hatte. Zu den so Informierten gehörte auch der kürzlich verstorbene NZZ-Redaktor Hanno Helbling.

Von Vietnam nach Afrika

Die Missionsgesellschaft schickte Imfeld zunächst zum Englischlernen nach London, danach zum Soziologie- und Journalismusstudium nach New York, wo er im März 1963 eintraf. Der erzkonservative und antikommunistische Kardinal Francis Spellmann, der mit dem FBI gegen die Bürgerrechtsbewegung Martin Luther Kings zusammenarbeitete, sorgte dafür, dass Imfeld nur in New Jersey predigen durfte.

Die Soutane legte der junge Priester bald ab und engagierte sich im Stab der Bürgerrechtsbewegung Kings. Nebenher reichte er die in Rom abgelehnte Dissertation über den Buddhismus beim Protestanten Paul Tillich ein und wurde promoviert.

Dafür musste er als protestantischer Pastor auftreten, was ihn die Unterstützung aus Immensee kostete. In einer Männerwohngemeinschaft mit einem Juden und einem Atheisten wurde Alois Al genannt. Diesen Namen behielt er bis heute. Damals fand er seine Lebensmaxime: «Ich bin vor allem für so viel Freiheit als möglich.» Auf diesen Lebensabschnitt in den USA folgte eine etwas undurchsichtige Phase von September bis Dezember 1966, für die überprüfbare Fakten ganz rar sind. Lotta Suter präsentiert kritisch und vorsichtig eine wahrscheinliche Variante, wie es gewesen sein könnte. Mit der riesigen Summe von 100 000 Dollar ausgestattet, wurde der Priester mit Schweizer Pass vom CIA angeworben und nach Vietnam geschickt. Hier herrschte Krieg, und Imfeld sollte berichten und Informanten anwerben. Das Unternehmen lief gründlich schief. Imfeld gab auf und schickte die übrig gebliebenen 90 000 Dollar – eigenen Angaben zufolge – nach Immensee.

Im Frühjahr 1967 ging er für die Missionsgesellschaft nach Afrika. Im damaligen Rhodesien sollte er eine freie Presse aufbauen, wurde jedoch wegen seiner Haltung gegen das Apartheidregime bald ausgewiesen. Im unabhängigen Malawi arbeitete er in der Priesterausbildung und lernte die Liebe zu einer Frau kennen, was ihn nicht weiter in Schwierigkeiten brachte, weil er nur den Verzicht auf eine Ehe geschworen hatte und in Afrika kinderlose Priester ohnehin eher selten sind.

In den folgenden Jahren lehrte er als Do- zent in Tansania und Nairobi und arbeitete als Journalist für deutsche und schweizerische Zeitungen. Zurück in der Schweiz baute er nach 1971 in Bern den Informationsdienst Dritte Welt auf, der Afrika erstmals aus der Perspektive des Südens und nicht von aussen darstellte. Imfeld war einer der Initiatoren für eine nachhaltige Landwirtschaft, wozu er zahlreiche Radiofeatures, Zeitungsartikel und Bücher schrieb. Unter Hans A.

Pestalozzi arbeitete er seit 1976 am Gottlieb- Duttweiler- Institut und betreute Seminare zur Zuckerproduktion und zum Tourismus. Das mutige Experiment endete nach drei Jahren abrupt mit dem Rauswurf von Pestalozzi, Imfeld und deren Mitarbeiter. Imfeld schrieb fortan vermehrt für Zeitungen, darunter die WOZ, und organisierte europaweit die Vernetzung von entwicklungspolitischen Initiativen und Organisationen sowie die Verbreitung afrikanischer Literatur. Denn anders als die staatliche Entwicklungspolitik sah er immer auch die kulturelle Dimension von Entwicklung. Von 1985 bis zum Jahr 2000 lehrte er an der Höheren Schule für Gestaltung in Luzern. Durch seine Mitarbeit an der Novartis- Festschrift im letzten Jahr machte er sich bei vielen Mitstreitern unbeliebt. Lotta Suters spannend geschriebenes Buch besticht durch Klarheit, Distanz und zugleich Respekt vor einer widersprüchlichen, kämpferischen Persönlichkeit mit einem Lebenslauf, der weder geradlinig noch dogmatisch fixiert war. Imfeld, für den «die Einseitigkeit eine Krankheit» ist, liess sich von niemandem zurechtbiegen.

Lotta Suter: In aller Welt zu Hause. Al Imfeld – eine Biografie. Rotpunktverlag, Zürich 2005. 313 S., 36 Fr. Am Dienstag, 28. Juni, um 19.30 Uhr lesen und diskutieren Al Imfeld und Lotta Suter in der Zürcher Paulus- Akademie an der Carl- Spitteler- Strasse 38.

Tages-Anzeiger
27. Juni 2005 | 00:00