Martin Werlen
Schweiz

Tote bestatten

Einsiedeln, 28.10.16 (kath.ch) Alles hat ein Ende. Auch das Jahr der Barmherzigkeit endet bald. Der November erinnert ebenso an das Ende des Lebens: den Tod. Martin Werlen sagt in seiner Kolumne*, wieso er das Bestatten von Toten als barmherzig empfindet.

Das Jahr der Barmherzigkeit geht dem Ende entgegen. Es ist ein prophetisches Zeichen, das Papst Franziskus in allen Nöten dieser Zeit gesetzt hat. Das Heilige Jahr wurde wohl weltweit wahrgenommen wie noch nie zuvor. Viele Menschen haben die Bedeutung der Barmherzigkeit neu entdeckt. In verschiedenen Diözesen, Pfarreien und Gemeinschaften wurde nicht nur über Barmherzigkeit gesprochen. Zeichen sind gesetzt worden und Initiativen gestartet. Das Jahr der Barmherzigkeit hat beigetragen zu einer neuen Kultur in der Kirche.

Im Jahr der Barmherzigkeit wurde die Bedeutung der Werke der Barmherzigkeit neu entdeckt. Auch darüber wurden Artikel geschrieben und Vorträge gehalten. Dabei wurde allerdings ein Werk der Barmherzigkeit kaum thematisiert. Wahrscheinlich denken viele: Das war einmal aktuell. Die Menschen mussten darauf aufmerksam gemacht werden, aber heute ist das eine Selbstverständlichkeit. Der bevorstehende Monat November legt uns dieses Werk geradezu ans Herz: Tote bestatten.

Dass Tote bestattet werden ist nicht nur ein Akt des Respekts gegenüber den Verstorbenen, sondern hat auch für die Hinterbliebenen eine grosse Bedeutung. Der Besuch des Grabes ist oft ein wichtiger Beitrag zu einem gelungenen Trauerprozess. Es ist Menschen immer wieder ein Bedürfnis, zum Ort der Bestattung hinzugehen. Über den Tod hinaus kann so die Gemeinschaft in besonderer Weise gesucht und gepflegt werden. Dabei geht es nicht nur um die engsten Angehörigen. Das zeigt zum Beispiel der Besuch der Gräber bekannter Persönlichkeiten. Bis heute berührt es unangenehm, dass man nicht weiss, wo Wolfgang Amadeus Mozart 1791 bestattet wurde.

Die Bestattungskultur hat heute Formen angenommen, die auch in der Öffentlichkeit thematisiert und zumindest hinterfragt werden müssten. Hier nur ein paar Beispiele: Asche wird verstreut. Damit wird verunmöglicht, dass Angehörige und Nachkommen zum Grab eines für sie wichtigen Menschen gehen können. Vergessen wir dabei nicht: Jeder Mensch ist wichtig! Oft entdeckt man das erst Jahre nach dem Tod eines Menschen. Asche wird unter Angehörigen verteilt, die damit völlig überfordert sind. Schlussendlich werden die sterblichen Überresten eines Menschen an verschiedenen Orten einem Gemeinschaftsgrab beigelegt. Die Urne mit der Asche eines Menschen wird nach Hause gekommen, damit die anderen Angehörigen keinen Zugang zum Grab haben. Die verstorbene Person wird so als Machtinstrument missbraucht, um die anderen an einer sehr empfindlichen Stelle zu treffen.

Das Werk der Barmherzigkeit «Tote bestatten» ist höchst aktuell. Ob wir es nicht gerade darum kaum thematisieren? Es betrifft das einzige, was in unserem Leben todsicher ist. Der heilige Benedikt fordert die Mönche auf, den drohenden Tod jeden Tag vor Augen zu haben. Denn richtig leben kann nur, wer auch sterben kann. Und gut sterben kann nur, wer auch leben kann. Wer den Tod ausblendet hat nicht mehr vom Leben, sondern weniger. Das Werk der Barmherzigkeit «Tote bestatten» fordert uns heraus, den eigenen Tod nicht zu verdrängen. Dazu gehören auch unsere Überlegungen über unsere eigene Bestattung und die Bestattung unserer Angehörigen. Früher oder später wird es uns alle betreffen. Das ist todsicher.

*Diese Kolumne ist im «Sonntag» vom 27. Oktober erschienen. Martin Werlen schreibt regelmässig für den «Sonntag».

Martin Werlen | © Kloster Einsiedeln
28. Oktober 2016 | 10:48
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