Der Marienchor Olten bei einem Einsatz mit Orchester.
Konstruktiv

Marienchor Olten: An Pfingsten wird auf Ukrainisch gesungen

Chorleiterin Sandra Rupp Fischer gewinnt jährlich neue Mitglieder für den Marienchor Olten. Ihr Erfolgsrezept sind Vielfalt und Flexibilität. Und: Es singen auch ukrainische Geflüchtete mit. Die Projekte sind «in der Regel musikalische Perlen», sagt Rupp Fischer.

Barbara Ludwig

Der Marienchor hat vor einem Jahr Bekanntschaft mit Menschen aus der Ukraine gemacht und singt unterdessen auch ukrainische Lieder. Wie kam es dazu?

Sandra Rupp Fischer*: Wir haben drei neue Mitglieder sowie einige Projektsängerinnen im Chor, die im Frühjahr 2022 in die Schweiz geflüchtet sind. Zu diesen neuen Mitgliedern zählt die Sängerin Olesia Khramova. Bereits im April organisierte der Marienchor ein Friedenskonzert für die Menschen in der Ukraine und in anderen Kriegsgebieten. Rund 200 Menschen sangen mit. Die Kirche war proppenvoll. Gleichzeitig bildete sich in Olten ein ukrainischer Treff. Über diesen Treff fand Olesia den Weg zum Marienchor. Etwas später gründete sie hier ihren eigenen Chor. Mit ihr zusammen gestalte ich das diesjährige Pfingstprojekt.

Wie sieht das Pfingstprojekt aus?

Rupp Fischer: Olesia hat viel Literatur mitgebracht und wir selektionierten zusammen das Programm für das Pfingstprojekt. Es handelt sich um liturgische Gesänge aus ihrer Heimat. Wir werden auf Ukrainisch singen. Für uns ist das nicht völlig neu. Bereits in anderen Projekten führten wir Lieder in ukrainischer, polnischer oder russischer Sprache auf.

Friedenskonzert mit dem Marienchor Olten im April 2022.
Friedenskonzert mit dem Marienchor Olten im April 2022.

Wie ist das Singen auf Ukrainisch für die nicht ukrainisch sprechenden Chormitglieder?

Rupp Fischer: Aus musikalischer Sicht sollten die für Pfingsten ausgewählten Gesänge nicht zu anspruchsvoll sein. Es sind vorwiegend getragene Melodien dabei. Wir haben darauf geachtet, Lieder mit eher wenig Text auszuwählen. Die ukrainische Sprache wird jedoch eine Herausforderung sein, da es beispielsweise Laute gibt, welche wir nicht kennen. Bei den Proben werde ich deshalb von den Sängerinnen und Sängern aus der Ukraine unterstützt. Unsere Mitglieder sind es jedoch gewohnt, in verschiedenen Sprachen zu singen. Ich glaube, ihnen gefällt die Vielfalt des Marienchors. Wir leben eine Kultur der Offenheit. Das zeigt sich etwa auch darin, dass wir zum Beispiel schon interreligiöse Projekte realisiert haben.

«Als das Singen verboten war, organisierten wir Instrumentalproben.»

Viele Sängerinnen und Sängerinnen seien nach Corona nicht mehr in ihre Chöre zurückgekehrt, hiess es in einem Zeitungsbericht mit dem Titel «Das grosse Chorsterben». Wie war es in Ihrem Chor?

Rupp Fischer: Bei uns war das nicht der Fall. Eine gewisse Fluktuation im Chor ist jedoch normal. Mit 66 Mitgliedern, Stand heute, haben wir vier Mitglieder mehr als im Januar 2020. Wir hatten also Zuwachs.

Sandra Rupp Fischer leitet den Marienchor in Olten.
Sandra Rupp Fischer leitet den Marienchor in Olten.

Wie hat Ihr Chor das geschafft?

Rupp Fischer: Wir waren während der ganzen Corona-Zeit sehr aktiv und haben das realisiert, was mit den jeweilig geltenden Bestimmungen möglich war. Die ganze Corona-Zeit hindurch – ausser beim ersten Lockdown – gab es ein Angebot vor Ort, zum Beispiel mit Kurzkonzerten für vier Personen. Als das Singen verboten war, organisierten wir Instrumentalproben für die Chormitglieder und gestalteten damit Gottesdienste. Es gab zwei Ensemble, eines für Anfängerinnen und Anfänger und eines für Fortgeschrittene. Während des sechswöchigen Lockdowns, und auch später ab und zu, trafen wir uns zudem auf Zoom und blieben so miteinander in Kontakt. Wir hatten während der ganzen Pandemie nicht weniger Termine als in normalen Jahren.

«Sich vorwiegend an den ganz jungen Stimmen zu messen, ist kein Kriterium für uns.»

Wie jung oder alt sind die Sängerinnen und Sänger des Vereins Marienchor?

Rupp Fischer: Zwei Drittel sind zwischen 45 und 70 Jahre alt, ein Viertel zwischen 71 und 89 und sechs Personen sind unter 40. Unsere jüngste Sängerin ist 18 Jahre alt. Sich vorwiegend an den ganz jungen Stimmen zu messen, ist kein Kriterium für uns. Auch mit 50, 60 oder 70 ist die Stimme eines Menschen perfekt für das Singen in einem gemischten Chor. Wenn jemand mit 50 einem Chor beitritt, ist er oder sie im besten Alter.

Aber in Bezug auf den Nachwuchs wäre es doch schön, man hätte auch jüngere Mitglieder, die im Alter von 50 plus immer noch dabei sind?

Rupp Fischer: Das ist sicher schön. Für mich ist jedoch vor allem wichtig, dass allgemein immer wieder neue Menschen zum Chor stossen: Wenn ich jedes Jahr Mitglieder aufnehmen kann, bleibt mein Chor in einer guten Dynamik und wird nicht zu einer geschlossenen Gruppierung. Dann nimmt man uns wahr als Chor, bei dem man mitsingen kann. Diese Strategie verfolge ich seit Jahren. Nehmen wir zwei Jahre lang kein neues Mitglied auf, müssen wir uns ganz schnell überlegen, was wir anders machen sollten. Denn in einer solchen Situation könnten sich ungute Dinge einschleichen. Zum Beispiel fix reservierte Plätze für bestimmte Sängerinnen oder Sänger.

Musik im Gottesdienst: Eine Bratsche wartet auf ihren Einsatz.
Musik im Gottesdienst: Eine Bratsche wartet auf ihren Einsatz.

Was trägt zu einer solch positiven Dynamik bei?

Rupp Fischer: Ich leite den Chor mit einer gewissen Konstanz. Meine Proben haben eine ausgeglichen gleiche Qualität und die Leute wissen, welchen Charakter der Chor hat. Zum anderen haben wir ein Projektsystem, wie mittlerweile fast alle Chöre. Der Marienchor hat damit jedoch bereits 1996 angefangen, also sehr früh. Bei uns können Interessierte pro Jahr bei fünf bis sechs Projekten mitsingen, ohne dass man sie nachher um ihre Mitgliedschaft im Chor anfleht: Wir freuen uns über alle, die bei einem Projekt mitmachen. Hat es ihnen gefallen, kommen sie vielleicht wieder. Oder sie machen anderswo mit. Das ist auch gut. Hauptsache, die Menschen singen. Drittens legen wir grossen Wert auf eine gelebte Willkommenskultur und ganz allgemein auf die Beziehungspflege. Wir gehen offen auf neue Leute zu, denn sie tragen viel dazu bei, dass unser Chor vital bleibt.

Der Marienchor gestaltet eine liturgische Feier zu Allerseelen.
Der Marienchor gestaltet eine liturgische Feier zu Allerseelen.

Sie haben vorhin die Vielfalt des Marienchores erwähnt. Liegt darin seine Spezialität?

Rupp Fischer: Ja. Wir sind musikalisch sehr breit unterwegs. Von der Klassik über den Jazz zu Schweizer Volksmusik in Mundart bis hin zu World-Music. Vergangenes Jahr waren zum Beispiel Faurés Requiem, die Misatango, die Messe des argentinischen Komponisten Martín Palmeri oder eine Volksmusikmesse in Schwedisch auf dem Programm. Dieses Jahr sind es Haydns Paukenmesse, Mozarts Requiem, das ukrainische Projekt oder die Misa Criolla, die Messe des argentinischen Komponisten Ariel Ramírez. Wir sangen auch schon interreligiöse Projekte mit Literatur aus den grossen Weltreligionen.

«Durch den Wechsel von Jazz zu klassischer Musik bekommt der Chor eine ganzheitliche Sing-Fitness.»

Was ist Ihnen dabei wichtig?

Rupp Fischer: Ich finde es wertvoll, wenn man eine gute Balance hat zwischen Repertoire und Neuem. Der Marienchor studiert jedes Jahr auch neue Werke ein. Das macht den Chor musikalisch sehr flexibel, weil er sich ständig Neues aneignen muss. Durch den Wechsel von Jazz zu klassischer Musik oder von einer Sprache zur andern bekommt er eine ganzheitliche Sing-Fitness und kann schnell auf neue Tonalitäten, Rhythmen oder Sprachen umsteigen. Weiter sind unsere Projekte in der Regel musikalische Perlen. Die Menschen freuen sich, wenn sie bei einem einschlägigen Werk mitmachen können.

Adventsgottesdienst: Der Marienchor musiziert gemeinsam mit der Jugendmusik Olten.
Adventsgottesdienst: Der Marienchor musiziert gemeinsam mit der Jugendmusik Olten.

Würden Sie Ihren Chor als erfolgreich bezeichnen?

Rupp Fischer: Ja, ich würde sagen, wir sind im Umfeld der Kirchenchöre ein erfolgreicher Chor.

Warum finden Sie ihn erfolgreich?

Rupp Fischer: Weil er sehr vital ist, dynamisch, beweglich, offen für vieles. Und dank seiner Vitalität ist er attraktiv.

Wie lautet denn Ihr Erfolgsrezept zur Leitung eines Chors?

Rupp Fischer: Da gibt es zwei Schienen, die musikalische und die gesellschaftlich-soziale.

«Bei gesellschaftlichen Anlässen bin ich stets präsent.»

Können Sie das etwas ausführen?

Rupp Fischer: Wir sind immer zu zweit. Ich leite die Probe, unser Organist begleitet am Klavier. Das Setting mit Korrepetition ist toll. Das Proben geht viel flinker, als wenn eine Person alles macht. Zudem proben wir zügig, damit die Leute in den einzelnen Stimmen nicht lange warten müssen, bis sie wieder singen dürfen. Ich wähle daher oft eher kleine Abschnitte, wenn ich ein Stück neu probe. Das benötigt eine hohe Konzentration bei allen. Ich habe es gerne, wenn ein Stück bald musikalisch klingt und die Sängerinnen und Sänger die grossen Linien erkennen. Ausserdem ist auch die Konstanz in der Chorleitung ein Pluspunkt. Chöre mit ständigem Wechseln in der Leitung haben sicher einen schwierigeren Stand.

Dann haben Sie den sozialen Aspekt angesprochen.

Rupp Fischer: Der Marienchor hat einen äusserst engagierten Vorstand. Mit diesem arbeite ich sehr eng zusammen. Gerade im Bereich der Beziehungspflege ist dies enorm wichtig. Persönlich versuche ich, zu meinen Sängerinnen und Sänger eine Beziehung aufzubauen. Bei gesellschaftlichen Anlässen bin ich stets präsent, präge diese auch mit und helfe bei der Organisation. Nach der Probe bieten wir oft ein «Beizli» im Pfarrsaal an. Auch wenn die Pfarrei oder der Pastoralraum einen Anlass hat, bei dem der Chor nicht singt, bin ich in der Regel dabei. Denn dort treffe ich auch auf meine Sängerinnen und Sänger und kann mit ihnen zusammensitzen und plaudern. Die Beziehungspflege ist sehr wichtig für den Chor. Dies gilt ja auch für kirchliches Engagement insgesamt oder für jedes andere Unternehmen.

Mehr als doppelt so viele Mitglieder in rund 30 Jahren

Sandra Rupp Fischer leitet den Marienchor in Olten seit 1994. Als sie den Chor übernahm, hatte er 30 Sängerinnen und Sänger. Heute zählt der Verein 66 aktive Sängerinnen und Sänger. «Dies ist der höchste, unter meiner Leitung erreichte Mitgliederstand. Die Entwicklung zeugt von einem langsamen, gesunden Wachstum», sagt Rupp Fischer. Der Marienchor zählt 25 Sopranistinnen, 23 Altistinnen, sieben Tenöre und elf Bässe. Nicht mitgezählt sind hier die zahlreichen Projektsängerinnen und -sänger, die sich in ausgewählten Projekten engagieren. Für langjährige Mitglieder, die aufgrund ihres hohen Alters oder ihres Gesundheitszustandes, nicht mehr aktiv mitsingen können, hat der Marienchor den Status Ruhestandsmitglied geschaffen. Derzeit gehören weitere neun Mitglieder dieser Kategorie an. Das Pensum von Sandra Rupp Fischer als Chorleiterin beträgt 19 Stellenprozente. (bal)

*Sandra Rupp Fischer (52) leitet den Marienchor Olten. Sie war von 2011 bis 2022 kirchenmusikalische Mitarbeiterin am Liturgischen Institut in Freiburg. Aktuell hat sie die Projektleitung für die Arbeitsgruppe Kirchengesang KG_neu inne. Seit 2003 ist Rupp Fischer Mitglied im Vorstand des Schweizerischen Katholischen Kirchenmusikverbandes (SKMV). Sie initiierte und leitete das «Cantars Kirchenklangfest» 2011, 2015 und 2021/22. Rupp Fischer ist zudem Schulleiterin der Musikschule Olten.


Der Marienchor Olten bei einem Einsatz mit Orchester. | © zVg
12. April 2023 | 05:00
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