Zum Kuchen backen werden im Tessin gerne Frauen eingespannt: Corinne Zaugg (dritte von links) bei einem Apéro.
Schweiz

Corinne Zaugg: Bischof Valerio Lazzeri hat am traditionellen Frauenbild festgehalten

Menschlich angenehm, für Frauenanliegen aber kaum empfänglich: So beschreibt Corinne Zaugg (62) den emeritierten Bischof von Lugano, Valerio Lazzeri (59). «Wir sind einige Jahre im Rückstand», sagt die Tessinerin. Sie werde von Priestern öfter gebeten, einen Kuchen zu backen – nicht aber, ihre journalistische Expertise einzubringen.

Regula Pfeifer

War der Rücktritt von Bischof Valerio Lazzeri vorhersehbar?

Corinne Zaugg: Nein, das war er nicht. Aber als der Rücktritt bekannt wurde, wurde mir einiges klar.

Tränenreicher Abschied: Bischof Valerio Lazzeri bei seiner Verabschiedung als Bischof von Lugano.
Tränenreicher Abschied: Bischof Valerio Lazzeri bei seiner Verabschiedung als Bischof von Lugano.

Was wurde Ihnen klar?

Zaugg: Ich verstand plötzlich seine langsame, aber schrittweise Entfernung von der Öffentlichkeit. Sein Bedürfnis nach Spiritualität konnte er in dem Amt, das auch Management-Aufgaben enthält, offenbar nicht genügend befriedigen.

Wie haben Sie den Bischof erlebt?

Zaugg: Ich kannte ihn bereits, bevor er Bischof wurde. Er hatte uns Frauen und die Ordensfrauen oft empfangen. Er hatte eine grosse Fähigkeit, zuzuhören. 

Und nach seiner Ernennung zum Bischof?

Zaugg: Die Verbindungen schwächten sich ab. Die Ausgangslage war nun eine andere, die Kontakte wurden institutioneller. 

Corinne Zaugg engagiert sich im Bistum Lugano. In der Mitte: Bischof Valerio Lazzeri, rechts davon ist Corinne Zaugg zu sehen.
Corinne Zaugg engagiert sich im Bistum Lugano. In der Mitte: Bischof Valerio Lazzeri, rechts davon ist Corinne Zaugg zu sehen.

War er nicht mehr zugänglich?

Zaugg: Doch, er nahm Einladungen unserer Frauenorganisation immer an. Auch wenn man ihn persönlich einlud, etwa zum Abendessen, war er immer bereit dazu. 

Aber…?

Zaugg (zögert): Bei diesen Gelegenheiten wurden die trennenden Themen eigentlich nicht angesprochen.

«Bischof Valerio sah das Frauenthema nie als ‘sein’ Thema an.»

Meinen Sie die Frauenfrage? 

Zaugg: Ja. Er sah das Frauenthema nie als «sein» Thema an. Damit war er allerdings nicht allein. Das entspricht der Haltung des gesamten Bistums. Das Bistum Lugano steht dem Thema Frau in der Kirche – neben wenigen Ausnahmen – ziemlich gleichgültig gegenüber. Die «Unione femminile cattolica ticinese» ist die einzige katholische Organisation im Kanton, die sich darum kümmert.

Schweizer Seminaristen zu Besuch im Tessin.
Schweizer Seminaristen zu Besuch im Tessin.

Weshalb dieses Desinteresse für das Frauenthema?

Zaugg: Für Bischof Valerio Lazzeri sind alle einfach Getaufte, sowohl Männer wie Frauen. Es ergibt für ihn keinen Sinn, sich speziell für die Frauen zu engagieren. 

«Bischof Valerio sagte zu den Frauen: ‘Bleibt, wie ihr gewesen seid.’»

Haben Sie als Präsidentin der Tessiner Frauenorganisation mit ihm zusammengearbeitet? 

Zaugg: Nein. Er war an unseren offiziellen Anlässen dabei, das schon. So auch an unserer 100-Jahr-Feier, die wir vor kurzem hatte. Da zelebrierte Valerio Lazzeri die Messe und fand anerkennende Worte. Allerdings sagte er zu uns Frauen: «Bleibt, wie ihr gewesen seid.» Er wollte also nicht, dass wir uns vom traditionellen Frauenbild entfernten.

Bischof Valerio Lazzeri
Bischof Valerio Lazzeri

Haben Sie ihm gegenüber Anliegen vorgebracht? 

Zaugg: Wir sind nicht mit konkreten Wünschen an ihn gelangt. Von ihm kam umgekehrt auch kein Input. Er bat uns nie, uns eines Themas oder auch einer Frau anzunehmen, die an ihn gelangt war. Aber er blockte auch nie etwas ab. Er hatte in der Bistumsleitung teilweise auch Frauen als Mitarbeiterinnen – die frühere Sprecherin und die Ökonomin der Diözese. 

«Der Pfarrer ist der einzige bezahlte Kirchenmitarbeiter.»

Wie funktioniert die Tessiner Kirche? Und was ist die Rolle der Frauen darin?

Zaugg: Im Tessin spielt sich das kirchliche Leben in den Pfarreien ab. Und da dreht sich alles um den Pfarrer. Die Laiinnen und Laien sind vor allem in den Pfarreiräten aktiv – den sogenannten «Consigli parrocchiali». Hier geht’s vor allem um administrative Aspekte. Zudem engagieren sie sich in der Katechese – hier vor allem Frauen. Der Pfarrer ist der einzige bezahlte Kirchenmitarbeiter. Alle anderen arbeiten ehrenamtlich mit, das sind geschätzt zu 80 Prozent Frauen. Und doch ist die Frauenfrage ist bei uns kein Thema, auch bei den meisten Priestern nicht.

Südliches Flair am Seeufer von Lugano
Südliches Flair am Seeufer von Lugano

Haben Sie Erfahrungen als Ehrenamtliche?

Zaugg: Ja, ich habe bereits in mehreren Pfarreien ehrenamtlich mitgearbeitet. Kein Priester hat mich je gefragt, ob ich an seinem Pfarrblatt mitarbeiten wolle – obwohl ich Journalistin bin. Dafür immer, ob ich Kuchen für einen Anlass mitbringen würde… Die Frau wird in der Kirche mehr als Mutter und Ehefrau wahrgenommen, weniger als Berufstätige und selbstständige Person.

«Wir sind kulturell nach Italien hin ausgerichtet.»

Wie erklären Sie sich das?

Zaugg: Das ist eine kulturelle Frage. Der «Röstigraben» existiert auch in der Kirche. Wir sind kulturell nach Italien hin ausgerichtet, sind aber keine Italienerinnen und Italiener. Und im Vergleich zur Schweiz jenseits des Gotthards fühlen wir uns auch nicht ganz heimisch.

Abschied von Bischof Valerio Lazzeri in der Kathedrale von Lugano.
Abschied von Bischof Valerio Lazzeri in der Kathedrale von Lugano.

Was bedeutet das für die katholische Swissness? 

Zaugg: Mein Eindruck ist, dass viele Tessinerinnen und Tessiner wenig wissen von der Kirche in der Deutschschweiz und in der Romandie. Und wer nicht weiss, was möglich wäre, für den oder die ist die eigene Realität einfach normal. Das gilt für viele Frauen, die aktuell in der Kirche sind. Sie wünschen keine Änderung, wollen nicht gestört werden. 

«Auch Frauen, die Theologie studiert haben, verlassen die Kirche.»

Gibt es keine kritischen Frauen?

Zaugg: Wir reden oft vom «Scisma rosa», dem «rosaroten Schisma». Viele Frauen haben sich in den letzten Jahren still von der Kirche verabschiedet, weil sie keinen Platz darin gefunden haben. Darunter befinden sich insbesondere geschiedene Frauen, aber auch Frauen, die Theologie studiert haben. Das Frauenbild, das die Tessiner Kirche abbildet, gefällt ihnen nicht. Sie sagen: Wir haben den Entscheid getroffen, wir wollen nicht zurückkehren. Dieser Abgang wird allerdings statistisch nicht erhoben. Da wir keine Kirchensteuern zahlen, muss auch niemand offiziell austreten.

Engagiert für "Kirche mit* den Frauen": Die Bischöfe Felix Gmür und Markus Büchel und Abt Urban Federer 2016 in Rom.
Engagiert für "Kirche mit* den Frauen": Die Bischöfe Felix Gmür und Markus Büchel und Abt Urban Federer 2016 in Rom.

Wie ist das für Sie?

Zaugg: Diese Situation hat mir und meinen Kolleginnen bei der «Unione femminile» immer mehr zu schaffen gemacht. Aber für uns ist das kein Grund zu sagen: Wir belassen alles, wie es ist. Wir versuchen unseren Weg zu finden. Und nun ist überraschend neuer Wind in die Tessiner Kirche gekommen.

Vorgänger und Nachfolger: Bischof Valerio Lazzeri (Mitte) und Weihbischof Alain de Raemy (links) beim synodalen Prozess in Einsiedeln.
Vorgänger und Nachfolger: Bischof Valerio Lazzeri (Mitte) und Weihbischof Alain de Raemy (links) beim synodalen Prozess in Einsiedeln.

Sie meinen den Apostolischen Administrator Alain de Raemy, der übergangsweise das Bistum leitet?

Zaugg: Ja. Er hat sich letzte Woche den Medien vorgestellt. Und am Dienstag war er bereits bei katholischen Medienschaffenden im Centro San Giuseppe. Nun schauen wir, wie es weitergeht. Wir sind gespannt. 

«Wir sind einige Jahre im Rückstand gegenüber dem Rest der Schweiz.»

Was macht Ihnen sonst Hoffnung?

Zaugg: In den letzten Jahren konnte ich mich mit dem Schweizerischen Katholischen Frauenbund und dem Frauenrat der Bischofskonferenz austauschen. Das hat mich gestärkt und bereichert. Ich sah, wie anderswo in der Schweizer Kirche die Frauenfrage angegangen wird. Ich habe gemerkt: Wir sind einige Jahre im Rückstand gegenüber dem Rest der Schweiz. Aber es ist gut möglich, dass wir schnell aufholen – und ein paar Fehler überspringen können. Vielleicht finden wir auch einen anderen Weg.

Transparent des Projekts "Kirche mit* den Frauen" 2016 bei der Ankunft der Pilgerinnen und Pilger in Rom.
Transparent des Projekts "Kirche mit* den Frauen" 2016 bei der Ankunft der Pilgerinnen und Pilger in Rom.

Inwiefern ein anderer Weg?

Zaugg: Ich bin sehr auf der Seite der Bewegung «Frauen mit*». Wir Tessiner Frauen wollen gemeinsam mit den Männern weitergehen – aber auf Augenhöhe. Wir wollen beteiligt und wahrgenommen werden. Die Kirche darf nicht nur eine männliche Welt bleiben. Es braucht auch die Frauen, es braucht Diversität. Wir sind anders. Aber zusammen können wir eine bunte Kirche werden. 

Diese Betonung auf das Anderssein erinnert mich an die italienische Frauenbewegung.

Zaugg: Wir stehen in freundschaftlichem Kontakt zu italienischen Theologinnen. Sie unterstützen uns.

Monika Schmid während ihres Abschiedsgottesdienstes.
Monika Schmid während ihres Abschiedsgottesdienstes.

Theologinnen in der Deutschschweiz wollen gleichberechtig in der Kirche mitwirken. Haben Sie von der Konzelebration der Gemeindeleiterin Monika Schmid gehört?

Zaugg: Ja, aber in unserem Umfeld wirkt sich so etwas nicht positiv aus. Bei uns sagen viele: Wir wollen nicht übers Thema Frau reden, weil wir nicht übers Frauenpriestertum reden wollen. Dabei gäbe es bereits jetzt viel zu ändern, bevor die Frage des Frauenpriestertums auf den Tisch kommt. 

* Corinne Zaugg (62) ist seit 2010 Präsidentin der katholischen Tessiner Frauenorganisation «Unione femminile cattolica ticinese». Sie arbeitet als Redaktorin von «Chiesa in Diretta» bei Radio RSI.


Zum Kuchen backen werden im Tessin gerne Frauen eingespannt: Corinne Zaugg (dritte von links) bei einem Apéro. | © zVg
25. Oktober 2022 | 13:21
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