Dietrich Wiederkehr
Schweiz

Dietrich Wiederkehr über Kardinal Koch: «Je bischöflicher Koch wurde, umso weniger Kurt war er»

Dietrich Wiederkehr (89) ist Kurt Kochs Doktorvater. Als junger Theologe hielt Koch die Schweizer Bischöfe mit modernen Ansichten auf Trab. Doch aus dem fortschrittlichen «Kudi» sei ein «Bremse-Bischof» geworden, kritisiert Wiederkehr. «Kurt Koch hält den römischen Wind für das Wehen des Pfingstgeistes.» Er wolle um jeden Preis dem Papst gefallen.

Jacqueline Straub

Seit wann kennen Sie Kurt Koch?

Dietrich Wiederkehr*: Er war mein Student an der Universität Luzern und wurde später mein Assistent. Er hat dann eine Dissertation bei mir angefangen, die aber ins Stocken kam, weil er nebenher sehr viel publizierte. Der Basler Bischof Otto Wüst machte ihm Beine, dass er seine Promotion endlich zu Ende bringen soll. Mit den Jahren wurde er zum Weiterbilder vieler Bischofskonferenzen, indem er sie über die aktuellen Strömungen und Publikationen informierte. Er hatte einen sehr guten Ruf. Er war sehr belesen und hielt sich selbst und die Bischöfe auf Trab.

Georg Vischer, Kurt Koch, Heinz Rüegger, Hans Gerny, Heinrich Bolleter
Georg Vischer, Kurt Koch, Heinz Rüegger, Hans Gerny, Heinrich Bolleter

Inwiefern?

Wiederkehr: Seine pastoral-aufgeschlossene Art in Form von vielen Publikationen war sehr geschätzt. Er hat mit seinen Veröffentlichungen die moderne Theologie und die Reformideen vorangetrieben und multipliziert. Er wusste, was aktuell ist, und hat die neuen Entwicklungen in der Kirche begrüsst.

Wann hat sich das geändert?

Wiederkehr: Schon als Professor wurde es behutsamer um ihn. Ich weiss nicht, ob er damals schon das Bischofsamt im Blick hatte. Dennoch war er schon als Bischofskandidat im Gespräch.

«Es sprach sich auch herum, dass Kurt Koch ein Treuebekenntnis an den Papst ablegen musste.»

Wie ging es weiter?

Wiederkehr: Als bekannt wurde, dass er Bischof wurde, hatte ich grosse Hoffnungen. Er galt als Reformer, als Hoffnungsträger. Diese Hoffnungen kühlten sich fast vom ersten Tag an ab. Das war nicht mehr der Kurt Koch, der Kudi. Kurz bevor er Bischof wurde, erschien in der NZZ ein Beitrag von ihm. Er verteidigt dort plötzlich den Zölibat und entkräftete sämtliche Gegenargumente. Ich war schockiert. Da habe ich gemerkt, dass er alles tut, um dem Papst zu gefallen. Es sprach sich auch herum, dass Kurt Koch für die Ernennung zum Bischof ein Treuebekenntnis an den Papst ablegen musste. Das mussten alle Bischofskandidaten.

Wie haben Sie reagiert?

Wiederkehr: Im Artikel schrieb er, dass das Charisma der gottgeweihten Ehelosigkeit noch gelebt werden müsse. Ich sagte ihm daraufhin: Es gibt doch den Ordensstand. Dabei den Ordensstand nicht zu vergessen, wäre auf eine Entbehrlichkeit des Weltpriesterzölibats hinausgekommen. Sein Duktus war aber: Wenn der Priesterzölibat fällt, fehlt das Charisma der Ehelosigkeit. Er sagte mir wörtlich, dass er nicht über alles schreiben konnte. Das habe ich oft von ihm gehört. Bei dieser verlegenen Ausrede ist mein Respekt ihm gegenüber gefallen.

«Kurt Koch betrieb Weltkirchenschwindel.»

Wie war er als Bischof?

Wiederkehr: Ich wurde einmal ins Ordinariat Solothurn zitiert, weil ich einen Artikel über die Ortskirche geschrieben hatte. Das hat er nicht gutgeheissen und meinte, dass wir die Weltkirche im Blick haben müssen. «Ihr Schweizer dürft euch nicht so wichtig nehmen», sagte er oft. Unsere Probleme seien Aschenbecherbrändchen. Doch in der Welt gibt es die gleichen Brände wie in der Schweiz. Er machte mit dem Argument Weltkirche den Ortskirchen ein schlechtes Gewissen und meinte immer wieder, dass in Polen oder Simbabwe diese, unsere Probleme gar nicht existieren. Kurt Koch betrieb Weltkirchenschwindel.

Was meinen Sie damit?

Wiederkehr: Weltkirchenschwindel ist die zentralistische Uniformierung der Ortskirche. Er war so schlau bei allen Themen die Weltkirche vorzuschieben. Anstatt zuzugeben, dass es purer Zentralismus ist. Zudem: Er sagte damit auch, dass er unsere Probleme nicht haben will. Das ist zynisch und menschenverachtend.

Kardinal Kurt Koch an einem Gottesdienst 2021 in Rom.
Kardinal Kurt Koch an einem Gottesdienst 2021 in Rom.

Sehen Sie eine Parallele zwischen Kochs hierarchischem Aufstieg und seiner kirchenpolitischen Haltung? Denn als Professor klangen seine Schriften anders.

Wiederkehr: Ja, sehr. Je bischöflicher er wurde, umso weniger Kurt war er. Herbert Haag sagte mal, dass die Mitra der Feuerlöscher der Theologie ist. Das traf auf Kurt Koch leider zu. Er wurde immer mehr zur Stimme des Papstes. Niemand hat bedauert, als er Kardinal und nach Rom befördert wurde.

Warum?

Wiederkehr: Die Frustrationen wurden immer häufiger. Kurt Koch war ja einst ein fortschrittlicher Theologe und entwickelte sich dann zu einem Bremse-Bischof.

Wollte Kardinal Kurt Koch als Bischof von Basel die Laienpredigt abschaffen?

Wiederkehr: Er kam unter Druck, diese abzuschaffen. Aber er war so basis-sensibel, dass er wusste, dass das nicht geht.

Weihbischof Martin Gächter
Weihbischof Martin Gächter

Weihbischof Martin Gächter sagte zu kath.ch, dass Kardinal Kurt Koch im Herzen liberal und für Reformen sei. Wie schätzen Sie ihn ein?

Wiederkehr: Jeder Mensch hat zwei Herzkammern. Kurt Koch hat auch zwei getrennte Kreisläufe. Er hält den römischen Wind für das Wehen des Pfingstgeistes und den Kurs der römischen Zentrale für den Kompass der Weltkirche. Sollte morgen der Papst das Frauenpriestertum einführen, wird Kardinal Koch der erste sein, der Frauen weiht. Er wird dann sagen: Es braucht halt immer seine Zeit. Die Kirche lügt ihre Verspätungen um, indem sie sagt, es müsse reifen.

«Die NS-Keule haben die deutschen Bischöfe nicht verdient.»

Kürzlich hat Kardinal Koch in einem Interview den Synodalen Weg mit den «Deutschen Christen» der NS-Zeit vergleichen. Was sagen Sie dazu?

Wiederkehr: Dümmer ging es ja nicht. Diese Aussage bringt er nicht mehr weg. Er müsste doch wissen, dass die «Tagespost» das Blatt der rechtskonservativen-fundamentalistischen Katholiken ist. Und dann noch so einen schlimmen Vergleich bringen – das haben die deutschen Bischöfe nicht verdient. Sogar gegenüber den Bischöfen im Zweiten Weltkrieg wäre diese NS-Keule ungerecht gewesen. Denn es gab in den letzten Jahrhunderten immer wieder mutige Bischöfe.

«Deutsche Bischöfe haben dem kleinlauten Rom Widerrede geleistet.»

An wen denken Sie?

Wiederkehr: Ich denke an die Bischöfe, die mit der «Königsteiner Erklärung» nach der Veröffentlichung der Enzyklika «Humanae vitae» einen pastoralen Ausweg aus der vom Vatikan verursachten Sackgasse geschafft haben. Sie betonten, dass Eheleute in Bezug auf Verhütung ihr Gewissen befragen sollen.

Ein anderes Beispiel ist die kleinlaute Weltkirche mit dem schweigenden Papst Pius XII., der kein Wort zum Morden an den Juden sagte. In dieser Zeit gab es durchaus mutige Bischöfe, etwa der Bischof von Münster, Clemens August Graf von Galen, der entschlossen gegen die Nazis predigte.

Und dann gab es mutige Bischöfe im Jahr 1875. Der Reichskanzler Otto von Bismarck liess in einer Circular-Depesche verlautbaren, dass der Bischof von Rom der Weltbischof ist und die anderen Bischöfe nur noch seine lokalen Umsetzer. Die deutschen Bischöfe haben sich gegen diese Interpretation des päpstlichen Zentralismus gewehrt. Der Bischof von Köln ist der Bischof von Köln und nicht ein Ministrant des Papstes. Sie haben dem kleinlauten Rom Widerrede geleistet, waren gar Widerzeugen.

Papst Franziskus 2018 in Genf zwischen Olav Fykse Tveit (l.) und Agnes Abuom. Kardinal Kurt Koch rechts im Bild.
Papst Franziskus 2018 in Genf zwischen Olav Fykse Tveit (l.) und Agnes Abuom. Kardinal Kurt Koch rechts im Bild.

Hat Kardinal Kurt Koch schlechte Berater?

Wiederkehr: Nein, Kurt Koch hält sich nicht für beratungsbedürftig.

Darf er sich das als Ökumene-Minister und als Verantwortlicher für den Dialog mit dem Judentum solch einen Fauxpas erlauben?

Wiederkehr: Auf keinen Fall. Das schadet der Ökumene und dem christlich-jüdischen Dialog.

Er hat sich nun für seine Entgleisungen beim Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz entschuldigt. Ist diese Entschuldigung aufrichtig?

Wiederkehr: Das Dementi ist unaufrichtig. Ich glaube, er hat sich nur entschuldigt, weil der Druck zu gross wurde.

*Dietrich Wiederkehr (89) ist emeritierter Professor für Fundamentaltheologie. Er lehrte an der Universität Luzern. Wiederkehr ist Kapuziner und lebt im Kapuzinerkloster Schwyz.


Dietrich Wiederkehr | © Jacqueline Straub
10. Oktober 2022 | 09:06
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