Weihbischof Martin Gächter
Schweiz

Ist Kurt Koch ein Wendehals, Weihbischof Martin Gächter?

Der emeritierte Weihbischof von Basel, Martin Gächter (82), ist ein Weggefährte Kurt Kochs. Als junger Professor sei Kurt Koch für Reformen gewesen – er habe auch das Frauenpriestertum befürwortet. Nun irritiert Kurt Koch mit NS-Vergleichen. «Die Deutschen sind da überempfindlich», findet Martin Gächter.

Jacqueline Straub

Seit wann kennen Sie Kurienkardinal Kurt Koch?

Martin Gächter*: Ich habe ihn schon 1975 kennengelernt. Ich wurde Pfarrer in Heiliggeist in Basel und er wurde Professor am Liturgischen Institut, später Professor an der Universität Luzern. Ich habe gerne seine Bücher gelesen, etwa seine originellen Auslegungen der Sonntagsevangelien. Ich stellte fest: Wenn ich Kurt Koch lese, lerne ich vieles von einer guten neuen Theologie.

Der emeritierte Weihbischof Martin Gächter
Der emeritierte Weihbischof Martin Gächter

Sie sehen ihn als modernen Theologen?

Gächter: Oh ja. Vor 1994 stand er für das Frauenpriestertum ein. Er hielt sich an den Galaterbrief 3,28 des Apostels Paulus: «Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus.»

Ein Ölbild in Solothurn erinnert an den früheren Bischof von Basel, Kurt Koch (1996–2010).
Ein Ölbild in Solothurn erinnert an den früheren Bischof von Basel, Kurt Koch (1996–2010).

Was ist dann passiert?

Gächter: Papst Johannes Paul II. hat 1994 sein Apostolisches Schreiben «Ordinatio Sacerdotalis» veröffentlicht. Demnach ist die Priesterweihe der Frau unmöglich. Kurt Koch hat sich an diese Weisung aus Rom gehalten. Zwei Jahre später wurde er Bischof von Basel. Viele warfen ihm vor, er sei ein Wendehals geworden.

«Dass Frauen Priesterinnen werden sollten, war unsere Überzeugung.»

Ist Kurt Koch ein Wendehals?

Gächter: Nein! Auch ich habe mich an das gehalten, was Rom gesagt hat, auch wenn mich der Papst nicht ganz überzeugt hat. Kurt Koch hat immer gesagt, dass ein Professor neue Wege für die Kirche überlegen müsse. Als Bischof müsse er aber die Meinung der katholischen Kirche vertreten. So ist es auch in der Schweizer Politik: Wenn vor einer Volksabstimmung vier Bundesräte eher für ein Nein sind und drei eher für ein Ja, müssen dann alle sieben für ein Nein einstehen. So will es das Kollegialitätsprinzip des Bundesrates, auch wenn die drei lieber anders stimmen möchten. Kurt Koch war schon immer loyal und solidarisch. Dass Frauen Priesterinnen werden sollten, war unsere Überzeugung. Uns ist aber auch klar, dass die Kirche noch länger braucht, bis eine Mehrheit so denkt.

Papst Benedikt XVI. und Kurt Koch im November 2010.
Papst Benedikt XVI. und Kurt Koch im November 2010.

Wurde Kurt Koch Bischof von Basel, weil er treu zu Rom war?

Gächter: Ja, er ist treu zu Rom. Dennoch hat Papst Johannes Paul II. ihn nicht schnell zum Bischof gemacht. Wir mussten lange warten, bis er nach seiner Wahl durch das Basler Domkapitel auch vom Papst als Bischof bestätigt wurde. Kardinal Joseph Ratzinger, damals noch Präfekt der Glaubenskongregation, hatte seine Bücher gelesen und zitierte ihn daraufhin nach Rom. Es war ihm wohl nicht ganz geheuer, solch einen fortschrittlichen Theologen als Bischof zu haben. Kurt Koch konnte ihn aber überzeugen, dass er romtreu ist. Ratzinger und Koch wurden gute Freunde. Er hat dann als Papst Benedikt XVI. im Jahre 2010 Kurt Koch zum Kardinal ernannt und ihn nach Rom geholt.

Warum hat eigentlich Johannes Paul II. Kurt Koch zum Bischof geweiht?

Gächter: Papst Johannes Paul II. hat damals gerne neu ernannte Bischöfe in Rom jeweils am 6. Januar zum Bischof geweiht.

Barbara Hallensleben und Kurienkardinal Kurt Koch
Barbara Hallensleben und Kurienkardinal Kurt Koch

Trägt Kurt Koch im Herzen noch immer fortschrittliche Ideen? Oder hat er sich verändert?

Gächter: Die, die ihn gut kennen, halten Kurt Koch nach wie vor für modern. Als Kardinal müsse er aber die Lehre der Kirche vertreten. Er ist immer noch aufgeschlossen. Für ihn steht fest, dass die Kirche sich stets erneuern muss.

«Ich hätte nicht auf den Nationalsozialismus hingewiesen.»

Der Synodale Weg in Deutschland versucht genau das. Dennoch hat Kurt Koch das Reformprojekt mit den Nazis der «Deutschen Christen» verglichen. Wie passt das zusammen?

Gächter: Ich denke, dass der Kardinal falsch verstanden wurde. Die Deutschen sind diesbezüglich überempfindlich. Es kommt nicht gut an, wenn die Deutschen an ihren ungenügenden Widerstand während der Nazizeit erinnert werden. Ich hätte heute darauf nicht hingewiesen. Damals haben sich viele Deutsche, wie übrigens viele Christinnen und Christen in der ganzen Welt, zu wenig für den Schutz der Juden eingesetzt. Erst nach der Nazizeit hat die katholische Kirche öffentlich erklärt, dass die heutigen Juden nicht mehr «Gottesmörder» genannt werden dürfen, wie das oft geschah.

Georg Bätzing und Kurt Koch bei der Ökumenischen Vollversammlung in Karlsruhe.
Georg Bätzing und Kurt Koch bei der Ökumenischen Vollversammlung in Karlsruhe.

Was wollte Kurt Koch stattdessen sagen?

Gächter: Er wollte sagen, dass die Deutschen mit ihren fortschrittlichen Ideen keine neue deutsche Kirche gründen sollen, wie es in der Zeit von Luther geschah. Oder wie es manche «Deutsche Christen» während der Nazizeit wollten. Diese Angst, die heute manche Katholiken in der ganzen Welt haben, ist aber unbegründet. Denn die deutschen Bischöfe betonen immer wieder, dass sie romtreu bleiben wollen, auch wenn nicht alle ihre fortschrittlichen Wünsche von der weltweiten katholischen Kirche angenommen würden.

«Es gab in seiner Amtszeit aber den Fall des Pfarrers Franz Sabo, bei dem gelebte Homosexualität vermutet wurde.»

Wie war Kurt Koch als Bischof von Basel?

Gächter: Er war sehr offen und volksnah. Mit Kurt Koch konnte man gut diskutieren. Es gab in seiner Amtszeit aber den Fall des Pfarrers Franz Sabo, bei dem gelebte Homosexualität vermutet wurde, weil er nicht in seiner Pfarrei Röschenz, sondern mit seinem Freund in Basel zusammenwohnte. Die Kirchgemeinde von Röschenz wollte aber ihren Pfarrer Sabo behalten. Für den Bischof war es eine schwierige Sache. Pfarrer Sabo wollte nicht zum Bischof nach Solothurn kommen. Daher musste Kurt Koch ins Kapuzinerkloster nach Olten reisen, um mit Pfarrer Sabo zu sprechen. Sie wurden sich dort nicht einig. Es brauchte noch einige Jahre, bis sie sich versöhnen konnten.

Heutige Verkünderin: Dorothee Becker leitet eine Kommunionfeier in der Kirche St. Franziskus, Riehen.
Heutige Verkünderin: Dorothee Becker leitet eine Kommunionfeier in der Kirche St. Franziskus, Riehen.

Im Bistum Basel erzählt man sich, Kurt Koch wollte verbieten, dass Laiinnen und Laien an einer Eucharistiefeier predigen. 

Gächter: Das stimmt nicht. Ihm ist wichtig, dass auch Laiinnen und Laien im Bistum Basel das Wort Gottes verkünden und für Christus ein Zeugnis abgeben. Rom verlangt, dass Priester, die geheiratet hatten, keinen Dienst mehr in der Kirche ausführen dürfen. Bischof Koch hat diese dennoch zugelassen. Einzig dürfen sie nicht die Gemeindeleitung übernehmen, denn ein Gemeindeleiter muss mit Rom im Reinen sein. Auch hat Bischof Koch, wie viele Schweizer Pfarreien, Ministrantinnen erlaubt, lange bevor Rom das zuliess.

Roland Trauffer (links) und Kurt Koch 2005 in Liestal.
Roland Trauffer (links) und Kurt Koch 2005 in Liestal.

Wie haben Sie Kochs Gottesdienste erlebt?

Gächter: Seine Predigten waren manchmal wie kleine Vorlesungen und dauerten oft 20 Minuten. Er wollte den Zuhörenden etwas mitgeben. Er hat sie gerne abgelesen, weil ihm manchmal schwindelig wurde. Er ist ein fragiler, feinfühliger Mensch. Manche sagen, er könnte Papst werden. Das glaube ich aber nicht, denn gesundheitlich geht es ihm nicht gut genug, um das schwere Papstamt anzunehmen.

* Martin Gächter (82) ist emeritierter Weihbischof des Bistums Basel. Die Bischofsweihe hatte er 1987 von Bischof Otto Wüst erhalten. Martin Gächter war also schon acht Jahre Weihbischof, bevor Kurt Koch im Jahre 1995 Bischof von Basel wurde. 


Weihbischof Martin Gächter | © Jacqueline Straub
7. Oktober 2022 | 09:38
Lesezeit: ca. 5 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!