Kardinäle unter sich: Rainer Maria Woelki (rechts) im Gespräch mit Kurt Koch im August 2022.
Schweiz

Ökumene-Minister im Abseits: Kritik an Kurt Koch hält an

Der Salzburger Theologe Hans-Joachim Sander wirft dem Ökumene-Minister Kurt Koch vor, auf Kosten des Protestantismus innerkatholisch Stimmung zu machen. Kochs Vergleich des Synodalen Wegs mit protestantischen Nazis sei «indiskutabel» und «die Empörung zu Recht gross». Kritik kommt auch aus der Schweiz.

Raphael Rauch

Soll man auf die protestantische Kirche verweisen, um innerkatholische Probleme zu lösen? Nein, findet Hans-Joachim Sander. Der Theologe ist Professor für Dogmatik an der Uni Salzburg.

«Eine weitere inhaltliche Kritik nicht nötig»

Der Schweizer Kurienkardinal Kurt Koch hatte sich in seiner Kritik am Synodalen Weg auf die Deutschen Christen während der Nazi-Zeit bezogen – also auf protestantische Nazis, die mit dem Zeitgeist Hitlers paktierten.

Joachim Sander, Professor für Dogmatik an der Universität Salzburg
Joachim Sander, Professor für Dogmatik an der Universität Salzburg

Hans-Joachim Sander schreibt in einem Gastbeitrag für das Portal katholisch.de, Kochs Vergleich sei «indiskutabel, die Empörung zu Recht gross und eine weitere inhaltliche Kritik nicht nötig».

Koch instrumentalisiert die protestantische Kirchengeschichte

Es gebe «allerdings ein formales Moment, das wir nicht zum ersten Mal aus dem Vatikan hören. Der Vergleich spielt über die Bande der protestantischen in die katholische Kirche hinein.» 

Kurt Koch beim Benedikt-Schülerkreis.
Kurt Koch beim Benedikt-Schülerkreis.

«Einerseits nutzt der Kardinal die Deutschen Christen, um gegen angebliche neue Offenbarungsquellen in der katholischen Kirche in Deutschland im Jahr 2022 in Gestalt der Zeichen der Zeit anzugehen.» Deshalb habe Koch die Barmer Theologische Erklärung gelobt, die 1934 gegen derlei Erweiterung aufstand.

Kochs «Über-die-Bande-Vergleiche»

Doch solche «Über-die-Bande-Vergleiche» richteten sich an die deutschen Katholikinnen und Katholiken – und an niemanden sonst. Kochs Botschaft laute: Unter keinen Umständen solle sich die katholische Kirche in Deutschland am Protestantismus orientieren. 

«Der Hinweis des Kardinals auf die Bekennende Kirche hilft hier nicht; schliesslich stand sie als ohnmächtige Minderheit gegen den Irrsinn in einer überlegenen kirchlichen Macht. Man kann sie nicht zu Gunsten einer überlegenen Macht einsetzen, was die römische Kurie ist, ohne den Widerstand zu verfälschen», schreibt Hans-Joachim Sander.

Auch bei den «loci theologici» auf Abwegen

Auch hält der Salzburger Dogmatiker Kochs Lesart der «loci theologici» für «abwegig». Denn «selbst nach klassischer Lesart» gehöre die Geschichte zu den «loci theologici alieni», in der die Zeichen der Zeit platziert seien. Auch sei das pastorale Lehramt des Konzils nach «Gaudium et spes» 11 und 4 für katholische Glaubensbotschaften unverzichtbar. 

«Der springende Punkt bei den Zeichen der Zeit sind die Zeichen, die allerdings nur zu fassen sind, wenn man eine Musterung der eigenen Gegenwart danach anstellt, wo Menschen hier und heute um die Anerkennung ihrer Würde ringen müssen, weil ihre Würde von überlegenen Mächten und Gewalten bestritten, attackiert oder sogar zerstört wird», schreibt Hans-Joachim Sander.

Hausaufgaben für Kurt Koch

Der Salzburger Theologe wirft dem Ökumene-Minister vor, Protestantinnen und Protestanten vor den Kopf zu stossen. Konkret empfiehlt er Koch eine Lektüre von «Gaudium et spes».

Dort werde von der Kirche eingefordert, «in den Ereignissen, Bedürfnissen und Wünschen, an denen es zusammen mit den übrigen Menschen unserer Zeit Anteil hat, zu unterscheiden, was darin wahre Zeichen der Gegenwart oder des Ratschlusses Gottes sind. Der Glaube erhellt nämlich alles mit einem neuen Licht, macht den göttlichen Ratschluss in Bezug auf die ganzheitliche Berufung des Menschen kund und lenkt daher den Geist auf voll menschliche Lösungen hin.» 

Warum muss sich der Ökumene-Minister vom Protestantismus absetzen?

Damit würden die Zeichen der Zeit beschrieben «und kein Zweifel daran gelassen, dass sie sowohl mit Gottes Geist jetzt wie mit heutigen Menschen zu tun haben». 

Gott habe ein Präsens und die heutigen Menschen hätten ein Recht auf Anteilnahme. «Erst wenn eine Kirche sich beidem hier und jetzt aussetzt, lassen sich für sie die Zeichen erfassen, mit deren Hilfe eine Erhellung des Lebens durch den Glauben möglich ist», betont Hans-Joachim Sander. «Wer die Zeichen der Zeit in eine Zerreissprobe mit dem Katholischen stellen will, das sich vom Protestantismus unbedingt absetzen muss, wird nur das Katholische zerreissen. Mehr ist damit nicht zu erreichen.»

Heinz Angehrn kritisiert Kurt Koch

Kritik kommt auch aus der Schweiz. Heinz Angehrn, Priester des Bistums St. Gallen, schreibt in seinem Blog auf kath.ch: Die Quellen christlicher Offenbarung seien über 1000 Jahre alt «und bedürfen darum immer der Übersetzung in das Denken und Sprechen der aktuellen Zeit, bedürfen darum der wissenschaftlich korrekten Übersetzung mit den Mitteln der Geschichts-, Sprach- und Naturwissenschaften. Solche Übersetzung muss ideologiefrei sein und darf keinerlei Gefälligkeit an irgendeinen Zeitgeist sein.»

Heinz Angehrn
Heinz Angehrn

Kurt Koch verwechsele jedoch den Zeitgeist mit dem «Geiste der Neuzeit», die «mit der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, der Französischen Revolution und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, alles Entwicklungen auf Basis des jüdisch-christlichen Menschenbildes, begann».

Trifft Kardinal Koch Bischof Bätzing in Rom?

Laut Heinz Angehrn stehen die «Gleichberechtigung der Geschlechter und der sexuellen Orientierungen» nicht zur Disposition: «Die Offenbarung muss weitergedacht werden.»

Kurienkardinal Kurt Koch war am Sonntag nicht zu erreichen. Unklar ist, ob er sich mit dem Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, in Rom trifft. Bätzing weilt in der Ewigen Stadt, um den Ad-limina-Besuch im November vorzubereiten.


Kardinäle unter sich: Rainer Maria Woelki (rechts) im Gespräch mit Kurt Koch im August 2022. | © Keystone
2. Oktober 2022 | 18:13
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