Charlotte Küng-Bless setzt sich im Bistum St. Gallen für Reformen ein.
Porträt

Charlotte Küng-Bless: «Ich möchte die Bevollmächtigung, priesterlich zu handeln»

«Mama, bin ich mehr wert als meine Schwester?» Das fragt ein Junge seine Mutter. Weil er sieht, dass seine Mutter am Altar nicht alles machen darf wie der Pfarrer. Die Theologin Charlotte Küng-Bless (39) nimmt heute an einer Tagung zur Sakramentalität teil. Und will aufräumen auf der Grossbaustelle Kirche.

Regula Pfeifer

«Die Kirche ist eine Grossbaustelle im Baustopp «, sagt Charlotte Küng-Bless beim Gespräch im Pfarreihaus Goldach SG. Die Bauarbeiterinnen und Bauarbeiter seien frustriert. Einige springen ab. Sie aber bleibt, wie sie mehrfach versichert.

Eine Baustelle hat auch «ihre» Pfarrei Goldach SG. Charlotte Küng-Bless geht in ihrem luftig-farbigen Sommerkleid voran zur Kirche, betritt einen Nebeneingang. Eine breite Kapelle tut sich auf, hinter dem Altar eine weisse, mit modernen rot-violetten Figuren bemalte Holzwand. Diese soll weg – auch wenn das die Angehörigen des verstorbenen lokalen Künstlers wohl schmerzen würde.

"Die Kirche ist eine Grossbaustelle", sagt Charlotte Küng-Bless – hier in einer Gerümpelkammer der Pfarrei Goldach SG.
"Die Kirche ist eine Grossbaustelle", sagt Charlotte Küng-Bless – hier in einer Gerümpelkammer der Pfarrei Goldach SG.

«Wir wollen, dass die Kapelle in ihren Ursprungszustand zurückversetzt wird», sagt Küng-Bless. Eine Tür links führt zu einer engen, langen Gerümpelkammer. Aber nicht irgendeine. Charlotte Küng zeigt auf den Altar und das Christusgemälde linker Hand. Sie fallen kaum auf ob all der ausrangierten Möbel, eines Riesenholzkreuzes und undefinierbarer Plastikelemente: «Das wird renoviert und zum neu-alten Altarraum der Kapelle.»

Mitinitiantin der Junia-Initiative

Charlotte Küng-Bless will, dass sich die Kirche verändert, nicht nur jene in Goldach. Theologinnen und Theologen sollen eine sakramentale Sendung erhalten – und so in den Gemeinden sakramental wirken können. Dies nicht zuletzt, um dem Priestermangel entgegenzuwirken. So argumentiert auch die Junia-Initiative, die Charlotte Küng-Bless mitinitiiert hat.

Charlotte Küng-Bless im alten Chor der Kapelle, der aktuell Gerümpelkammer ist
Charlotte Küng-Bless im alten Chor der Kapelle, der aktuell Gerümpelkammer ist

Darüber wird diesen Dienstag an der Tagung zu Sakramentalität und Kirche diskutiert. Etwa, ob nicht ordinierte Theologinnen und Theologen taufen und die Krankensalbung spenden sollten. Zur Tagung an der Universität Freiburg geladen haben die Schweizer Bischofskonferenz, der Schweizerische Katholische Frauenbund und der Frauenrat.

«Ich freue mich darauf», sagt Charlotte Küng. Dialog sei wichtig. Allerdings fragt sie sich: Geben die Bischöfe nach? Sind sie am Dialog interessiert? Oder sind alle bereit, zukunftsträchtige Ideen zu entwickeln? «Letzteres wäre wunderbar», sagt Charlotte Küng-Bless strahlend. Sie möchte auf dem Podium ihre Sicht einbringen.

«Das Kernproblem aber liegt beim priesterlichen Amtsverständnis.»

Zwar ist Charlotte Küng-Bless froh um jedes Zugeständnis. «Das Kernproblem aber liegt beim priesterlichen Amtsverständnis», betont sie. Damit hätten viele Seelsorgerinnen ihre Mühe. Denn auch sie finden, priesterlich zu handeln.

Charlotte Küng-Bless vor dem Grab eines Mannes, dessen Beerdigung sie geleitet hat.
Charlotte Küng-Bless vor dem Grab eines Mannes, dessen Beerdigung sie geleitet hat.

Das tut Charlotte Küng-Bless auch bei Gelegenheit. So feiert sie nicht nur Abdankungen, sondern springt auch mal für eine Taufe ein. Kürzlich hat sie ein Abschiedsritual gestaltet, weil die Familie das für ihre sterbende Mutter gewünscht hatte. Dabei rieb die Goldacher Seelsorgerin die Hände und Stirne der alten Frau mit gesegnetem Öl ein – und nahm ein Wohlgefühl wahr.

«Auch der Papst sollte seine Grenzen stärker ausloten.»

Die Menschen sollten Grenzen überschreiten und Neues wagen, findet sie. «Auch der Papst sollte seine Grenzen stärker ausloten.» Petrus sei bei seinem Gang übers Wasser an seiner Angst gescheitert. Ebenso könnte die katholische Kirche an ihrer Angst scheitern.

Ölung einer Hand
Ölung einer Hand

Der 35. Geburtstag weckte in Charlotte Küng-Bless das feministische Bewusstsein. Da dachte sie: «Wäre ich ein Mann, würde ich jetzt zum Ständigen Diakon geweiht.» Bei ihr aber geschah: nichts. Da beschloss sie, aktiv zu werden. Vor allem, um gegenüber ihren Kindern glaubwürdig zu bleiben. Denn diese stellten zunehmend Fragen – sie sind aktuell zweieinhalb, fünf und fast acht Jahre alt.

Die Kinder sahen: Der Priester hält am Altar eine Schale in die Höhe, ihre Mutter aber nie. Sie wollten wissen, weshalb. Und der Sohn stellte die Anschlussfrage – zum Schrecken seiner Mutter: «Bin ich mehr wert als meine Schwester?»

«Ich habe etwas gegen die Ungleichbehandlung unternommen.»

Dass die Kirche Frau und Mann ungleich behandelt, stört Charlotte Küng-Bless enorm. Deshalb engagiert sie sich. Nicht zuletzt, um vor ihren Kindern geradestehen zu können, falls diese später kritisieren: «Du trägst diese Institution mit.» Sie will antworten können: «Nein, ich habe etwas gegen die Ungleichbehandlung unternommen.»

Aussteigen aus der katholischen Kirche kommt für Charlotte Küng-Bless nicht in Frage. Ihr Nein kommt wie aus der Pistole geschossen. Sie fühle sich hier beheimatet, sagt sie. Die reformierte Kirche wäre keine Option.

Kinder schauen gebannt – Pfingstlager von Jungwacht Blauring, 2022
Kinder schauen gebannt – Pfingstlager von Jungwacht Blauring, 2022

Lebensschule Blauring

Zur Kirche gekommen ist sie über den Blauring. «Das war eine geniale Lebensschule», sagt Charlotte Küng-Bless. In St. Maria Emmenbrücke LU engagierte sie sich, auch als Leiterin. «Die Art, wie wir das lebten, gefiel mir», sagt sie. Sie verbrachte viel Zeit im Pfarreiheim. Einmal habe sie mit anderen Blauringleiterinnen eine Osterkerze designt, erinnert sie sich. Diese hätten sie dann tatsächlich mit der Erlaubnis des Pfarrers so anfertigen dürfen.

Bei einem Jubla-Verbandskurs interviewte sie zum Thema «Kirche und Jubla» den Luzerner Theologen Adrian Wicki. Seine Aussagen begeisterten sie. Mit Wicki ging sie auf Romreise und lernte Theologiestudierende kennen.

Fast-Primarlehrerin

Sie stand damals davor, Primarlehrerin zu werden. Doch ein missglücktes Praktikum schreckte sie ab. Und auch die Tatsache, dass sie leistungsschwache Kinder schlecht benoten müsste. Ein Berufsberater riet ihr damals zum Theologiestudium.

«Die theologische Ausbildung an der Universität Luzern gibt mir Selbstvertrauen», sagt Charlotte Küng-Bless heute. Sie stehe den Priestern fachlich in nichts nach.

Charlotte Küng-Bless mit einem zerbrochenen Topf, einem Element ihres Religionsunterrichts.
Charlotte Küng-Bless mit einem zerbrochenen Topf, einem Element ihres Religionsunterrichts.

Kinder unterrichtet Charlotte Küng-Bless heute doch. In Goldach führt sie die dritte Klasse zur Erstkommunion. «Diese Aufgabe übernehme ich sehr gerne», sagt sie. Sie lernt so kirchlich engagierte Familien kennen. Katechese ist für sie Beziehungsarbeit.

Im Religionsunterricht kann sie schulschwachen Kindern sagen: «Lesen und Schreiben ist nicht dein Ding. Aber Gott hat dich gern.» Auch Beerdigungen leitet sie in Goldach. Zudem ist sie Kantonsschullehrerin für Religion in St. Gallen – am Burggraben – und persönliche Beraterin der Schülerinnen und Schüler.

«FM1-Pfarrerin» als «Integrationsmassnahme»

Zuvor war Charlotte Küng-Bless sieben Jahre lang «FM1-Pfarrerin» beim regionalen Radio. Die Sendung «Gott und d’ Wält» ist inzwischen zum Podcast «Fadegrad» mutiert. Das sei ihre «Integrationsmassnahme in die Ostschweiz» gewesen, sagt sie lachend. Die Luzerner Theologin hat für ihren Appenzeller Mann die Zentralschweiz verlassen.

Als «FM1-Pfarrerin» führte sie jede Woche ein Interview – und lernte so viele Ostschweizerinnen und Ostschweizer kennen. Gleichzeitig erhielt sie Einblick in die Medienwelt, was ihr bei ihren öffentlichen Auftritten zugutekommt.

«Das ganze Areal an Heilszeichen»

Und was wünscht sie sich persönlich? «Ich möchte die Bevollmächtigung, priesterlich zu handeln», sagt sie. Und zwar «das ganze Arsenal an Heilszeichen, um Menschen in vielfältigen Situationen zu begleiten.» Gleichzeitig ist sie sich bewusst: Macht ausüben kann gefährlich sein. Damit hat sie selbst eine Erfahrungen gemacht.

So habe sie einmal eine Frau überredet, in der Firmband mitzumusizieren, sagt Charlotte Küng-Bless. Sie merkte aber dann: Die Frau fühlte sich dem nicht gewachsen. Die beiden sprachen sich aus – und die Frau sagte ihr Engagement ab. (korrigiert, 11.10 Uhr)

Charlotte Küng-Bless setzt sich im Bistum St. Gallen für Reformen ein. | © Regula Pfeifer
6. September 2022 | 05:00
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