Adrian Loretan
International

Kirchenrechtler Loretan: Papst-Entscheid zu Frauen ist revolutionär

Ob Arbeitsrecht oder Missbrauchsskandal: Beim Umgang damit bläst den Kirchen ein scharfer Wind entgegen. Bei einer Tagung in Berlin loteten Fachleute Wege aus der Krise aus. Unter ihnen der Luzerner Kirchenrechtler Adrian Loretan.

Gregor Krumpholz

Es war ein symbolträchtiger Ort: In der Berliner Heilig-Geist-Kapelle, heute Festsaal der Humboldt-Universität, berieten Fachleute aus Theologie und Rechtswissenschaft zwei Tage über «Religionspolitische Reformperspektiven für die Kirchen».

Eine allumfassende Erleuchtung, wie deren Krise zu überwinden wäre, die der Berliner Dogmatikprofessor Georg Essen für die katholische Kirche als «ebenso brisant wie dramatisch» diagnostizierte, hatten sie nicht. Immerhin gab es aber manche Erkenntnis.

Breitere Aufarbeitung sexualisierter Gewalt

So betonte Pater Klaus Mertes, dass die Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt nicht in dem Masse wie bisher den Kirchen überlassen bleiben dürfe. Diese seien den Betroffenen weithin nicht «auf Augenhöhe begegnet», erklärte der Jesuit.

Klaus Mertes
Klaus Mertes

Er hatte als damaliger Rektor des Berliner Canisius-Kollegs Missbrauchsfälle an dem Gymnasium seines Ordens bekannt gemacht und damit den Anstoss gegeben, dass der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche in Deutschland insgesamt aufgedeckt wurde.

Auch die evangelische Kirche befasste sich dann mit sexualisierter Gewalt in ihren Einrichtungen. Der Göttinger Staatskirchenrechtler Hans Michael Heinig kritisierte, dass auch staatliche Strafverfolgungsbehörden aus einem falschen Verständnis von Kirchenautonomie solchen Fällen lange nicht im erforderlichen Masse nachgegangen seien.

Staat als unabhängige Instanz

Mertes forderte, der Staat müsse stärker die Rolle einer «unabhängigen und vermittelnden Instanz» zwischen der Kirche als Täterorganisation und den von sexualisierter Gewalt betroffenen Menschen übernehmen.

Bei diesem Verlangen unterstützte ihn Matthias Katsch, Sprecher des «Eckigen Tisches», und plädierte für eine stärkere staatliche Förderung solcher Betroffenen-Initiativen. Dringlich ist sie nach Einschätzung der Regensburger Pastoraltheologin Ute Leimgruber auch für unabhängige Studien über bislang unerforschte Aspekte sexualisierter Gewalt etwa an erwachsenen Frauen.

Hindernis Arbeitsrecht

Ein Hindernis auf dem Weg aus der Krise ist nach den Worten von Generalvikar Manfred Kollig auch das katholische Arbeitsrecht in Deutschland. Die laufende Reform dieser Grundordnung, an der er mitarbeitet, hält der Verwaltungschef des Erzbistums Berlin daher für dringend notwendig. Bisher sei sie «zu sehr an der persönlichen Lebensführung der Mitarbeitenden festgemacht», erklärte Kollig.

Dies führe dazu, dass etwa Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft leben, dies verheimlichen, um eine Kündigung wegen des Verstosses gegen katholische Normen zu verhindern. Vergleichbare Loyalitätsverpflichtungen sind nach Aussage des Bochumer Arbeitsrechtlers Jacob Joussen auch in der evangelischen Kirche auf dem Prüfstand.

Die Kirche müsse lernen, «zu ihrem Ideal zu stehen und zugleich damit umzugehen, dass kein Mensch ideal ist», riet Kollig. Und die Leitungen kirchlicher Einrichtungen müssten selbst mehr dafür sorgen, dass deren christlicher Charakter deutlich werde.

Unternehmenskultur ändern

Es gehe nicht nur um eine Änderung der rechtlichen Grundlagen, sondern auch um deren Umsetzung in die Unternehmenskultur, ergänzte die Berliner Caritas-Direktorin Ulrike Kostka. Angesichts solcher Reformforderungen sagte die Flensburger Staatsrechtlerin Katharina Mangold, sie sei gespannt, wie der Vatikan auf die Reform des katholischen Arbeitsrechts reagieren werde.

Bei der Suche nach Wegen aus der Kirchenkrise auf den Staat zu hoffen, ist, so die einhellige Position der Fachleute, kein Ausweg. Zwar hat das deutsche Staat-Kirchen-Modell einer Trennung und Kooperation zugleich immer noch einflussreiche Unterstützer in der Politik und Rechtswissenschaft wie – bei der Tagung – den Grünen-Politiker Konstantin von Notz und den Berliner Staatsrechtler Christian Waldhoff, auch wenn es, so der Staatskirchenrechtler Ansgar Hense (Bonn/Dresden) eine «ständige Aufgabe» ist, die Grenzen der Kompetenzen von Staat und Religionsgemeinschaften auszuloten.

Hilfe gegen Fundamentalismus

Der Darmstädter Theologe und Sozialethiker Hermann-Josef Grosse Kracht hob ebenfalls die Vorzüge des deutschen Religionsverfassungsrechtes hervor. Es trage durch Status einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft für die grossen Kirchen dazu bei zu verhindern, dass sie sich in eine «fundamentalistische Ecke zurückziehen».

Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller wandte indes dagegen ein, dass die Kirchen die Erwartungen des Staates, in der Gesellschaft Orientierung zu geben und Beziehungen zu stiften, wegen des Mitgliederschwundes immer weniger erfüllen könnten.

«Eine Selbstmodernisierung muss die Kirche schon selbst leisten.»

Georg Essen, Berliner Dogmatikprofessor

Staatliche Eingriffe in die inneren Angelegenheiten der Kirchen verböten sich andererseits wegen des verfassungsrechtlichen Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften, hob Georg Essen hervor. «Die überfällige Aufgabe einer Selbstmodernisierung muss die Kirche schon selbst leisten», lautete sein Fazit.

Frauen in Spitzenfunktionen: «revolutionär»

Einen Ansatz dazu machte der Luzerner Staatskirchenrechtler Adrian Loretan bereits aus. Er würdigte die Entscheidung von Papst Franziskus, auch Spitzenfunktionen im Vatikan für Frauen zu öffnen, als revolutionär. (kna)

Aufzeichnung der Tagung


Adrian Loretan | © Philipp Schmidli
26. Juni 2022 | 17:02
Lesezeit: ca. 3 Min.
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