Fronleichnam in Appenzell im Jahr 2021.
Theologie konkret

«Die Hostie ist direkt vor meinen Augen»: Fronleichnam als sinnliches Glaubensfest

Fronleichnam stellt den christlichen Glauben zur Schau. Ist Fronleichnam eine Art Hollywood? Und was empfindet ein Pfarrer, wenn er den Leib Christi durch die Strassen trägt? Der Zuger Pfarrer Reto Kaufmann (56) spricht über seine Seelenzustände.  

Wolfgang Holz

Was ist das Besondere am Fronleichnamsfest?

Reto Kaufmann: Wir feiern Christus, der ja das Zentrum unseres Glaubens darstellt, in der Eucharistie. An Fronleichnam zeigt sich die Liebe Gottes zu uns Menschen und zur ganzen Schöpfung. Deshalb tragen wir den Leib Christi in Form der Hostie in der Monstranz bei der Prozession durch die Zuger Altstadt: dorthin, wo die Menschen leben, wo sie arbeiten und wo sie ihre Freizeit verbringen.

Pfarrer Reto Kaufmann in St. Michael in Zug.
Pfarrer Reto Kaufmann in St. Michael in Zug.

Was empfinden Sie als Pfarrer, wenn Sie den Leib Christi durch die Strassen tragen?

Kaufmann: Es ist ein besonderer Moment. Ein Moment, der mich auch persönlich betrifft. Weil es auch meinen Glauben zum Ausdruck bringt, dass Christus in Gestalt des Brotes unter uns ist. Und normalerweise feiert man die Eucharistie im geschützten Raum der Kirche.

«Chinesische Gäste zücken ihre Handys, um Fotos zu schiessen.»

An Fronleichnam wird die Eucharistie draussen gefeiert. Das ist etwas Besonderes. Es gibt Touristen, die in Cafés sitzen oder durch die Stadt flanieren und die Prozession beobachten. Beispielsweise chinesische Gäste, die eine solche Prozession noch nie gesehen haben und dann ihre Handys zücken, um Fotos zu schiessen. Vielleicht überlegen sie sich auch, was da gerade im Rahmen dieser Prozession passiert. Die Musik geht voraus, dann kommen die Erstkommunikanten. Es nehmen Trachtenfrauen teil, die sich schön angezogen haben. Behördenvertreter sind mit von der Partie. Und alle gehen Jesus hinterher, folgen ihm quasi nach, könnte man sagen.

Die Monstranz in der Pfarrei St. Michael in Zug.
Die Monstranz in der Pfarrei St. Michael in Zug.

Wie konzentriert ist man als Priester bei der Prozession? Wird man da nicht auch abgelenkt von äusseren Einflüssen?

Kaufmann: Nein, ich lasse mich nicht ablenken. Denn ich bin fokussiert auf die Monstranz und auf die Hostie. Die Hostie in der Monstranz befindet sich direkt vor meinen Augen. Ich muss mich zudem auf den Weg konzentrieren – mit der Monstranz in meinen Händen. Ich nehme in meinem Blickfeld schon wahr, was sich rechts und links von mir abspielt. Aber ich konzentriere mich voll und ganz auf die Monstranz. 

Pfarrer Reto Kaufmann
Pfarrer Reto Kaufmann

Die Monstranz ist ein liturgisches Schaugerät. Die Monstranz Ihrer Pfarrei St. Michael ist über einen Meter hoch und hat mit rund vier Kilogramm ein ordentliches Gewicht. Wenn Sie da eine knappe halbe Stunde unterwegs sind: Spüren Sie das Gewicht im Arm?

Kaufmann: Ja, mit der Zeit spürt man die Monstranz sicher im Arm. Es geht schon, es ist sicher keine Form der Kasteiung, die Monstranz zu tragen (lacht). Am Anfang halte ich die Monstranz mit beiden Händen. Und wenn ich dann das Gewicht zusehends spüre, stütze ich zwischendurch die Monstranz mit einer Hand von unten. Das ist meine Technik, die hilft. Am Abend merke ich dann schon die Anstrengung im Arm. Aber ich trainiere vorher deshalb nicht mit einer Hantel.

Fronleichnam in Appenzell im Jahr 2021.
Fronleichnam in Appenzell im Jahr 2021.

Als Ministrant durfte ich einmal bei der Fronleichnamsprozession die Hostienaufbewahrungskassette mit mehreren Reservehostien tragen. Ich fühlte mich stolz, den geweihten Leib Christi sozusagen in mehrfacher Form in den Händen halten zu können – während in der Monstranz ja nur eine Hostie gezeigt wird. Kindlicher Irrglaube?

Kaufmann: Kindlicher Glaube. Dieser Glaube entwickelt sich später und wird erwachsen. Das ist gut so. Der Glaube ist ein Weg und wird reifer.

Hauptgasse in Appenzell am Herrgottstag – so heisst hier der Fronleichnam.
Hauptgasse in Appenzell am Herrgottstag – so heisst hier der Fronleichnam.

Kann man sagen: Fronleichnam ist das sinnlichste Fest der Kirche?

Kaufmann: Es ist sicher eines der sinnlichsten Feste der Kirche. Zum einen durch die grundsätzliche Ausgestaltung mit einer Prozession. Zum anderen wird Fronleichnam auf dem Land noch traditionell viel feierlicher mit Blumenteppichen gefeiert. Das ist in der Stadt nicht mehr so.

Die „Täfeli-Meedle“ tragen 15 bemalte Holztafeln mit den Geheimnissen des Rosenkranzes. Sie sind ledig und haben eine „schwarze Jungferntracht“ an.
Die „Täfeli-Meedle“ tragen 15 bemalte Holztafeln mit den Geheimnissen des Rosenkranzes. Sie sind ledig und haben eine „schwarze Jungferntracht“ an.

Ist Fronleichnam eine Art Hollywood der katholischen Kirche?

Kaufmann: Wenn es positiv gemeint ist, warum nicht. Es handelt sich ja um eine Zurschaustellung. Und Monstranz kommt ja von «monstrare», zeigen. Das passt sicher zu dieser Form der Schaustellung und Prozession. Vor allem handelt es sich um eine Art Veröffentlichung des Glaubens. Oft wird gesagt, Glauben sei nur eine private Angelegenheit. An Fronleichnam wird aber deutlich, dass Glauben auch eine öffentliche Dimension mit gesellschaftlicher Bedeutung hat. Denn die vielen Leute, die an einer Prozession teilnehmen, zeigen mit ihrer öffentlichen Teilnahme, dass sie zu ihrem Glauben stehen.

Der Priester Felix Hunger feiert Eucharistie.
Der Priester Felix Hunger feiert Eucharistie.

Über Fronleichnam hinaus betrachtet – wie muss man sich eigentlich den Seelenzustand eines Pfarrers oder Geistlichen während einer Messe vorstellen? Trance? Konzentration? Religiöse Erfüllung? Oder klerikale Routine?

Kaufmann: Es ist hoffentlich nie Routine. Ich bin nie im gleichen Zustand. Wahrscheinlich trifft der Begriff Konzentration meine persönliche Verfasstheit während einer Messe am besten. Wobei es nicht nur um die Liturgie der Messe geht. Der Wortgottesdienst spielt auch eine bedeutende Rolle. Im Wort, in der Predigt, begegnet uns Christus genauso wie in Gestalt des Brotes und des Weins auf dem Altar. Ich feiere den Gottesdienst nicht für mich, sondern mit den Menschen zusammen, den Mitfeiernden. 

Kirche St. Michael in Zug: Grosszügiger Jugendstil
Kirche St. Michael in Zug: Grosszügiger Jugendstil

Wie meinen Sie das konkret?

Kaufmann: Da ich mich als Pfarrer auch als Mensch während einer Eucharistiefeier zeige, kann natürlich meine persönliche Verfasstheit eine Rolle spielen – wenn ich beispielsweise gerade traurig bin. So eine Gemütsverfassung kann sicherlich unabsichtlich in eine Eucharistiefeier miteinfliessen. Genauso, wie wenn ich mich glücklich und zufrieden fühle. Was ich sagen muss: Auch nach 25 Jahren Priestererfahrung bin ich vor Sonntagsgottesdiensten, in denen ich predige, noch immer ein bisschen nervös. Und das ist gut so. Denn wenn das nicht mehr der Fall ist, wird Gottesdienst zur Routine. Und das würden die Leute in der Kirche merken. Um vor dem Gottesdienst zur Ruhe zu kommen, sammle ich mich deshalb oft im Pfarrhaus in Form eines Gebets.

* Pfarrer Reto Kaufmann (56) ist seit 24 Jahren katholischer Priester. Er leitet seit sechs Jahren den Pastoralraum Zug-Walchwil. Zuvor war er in Cham und Luzern tätig.

Corpus Christi – Fronleichnam

Am zweiten Donnerstag nach Pfingsten feiert die katholische Kirche das Fest Fronleichnam. Der Name bedeutet übersetzt so viel wie «Hochfest des Leibes und Blutes Christi». Er leitet sich ab aus dem Althochdeutschen. Dabei steht «vron» für «Herr» und «licham» für «Leib».

Mit dem Fest bringen die Katholikinnen und Katholiken öffentlich ihren Glauben zum Ausdruck, dass Gott in Brot und Wein mitten unter ihnen ist. Als sichtbares Zeichen wird eine reich verzierte Monstranz mit einer geweihten Hostie in feierlicher Prozession durch die Straßen getragen. 

Papst Urban IV. führte Fronleichnam 1264 als allgemeines Kirchenfest ein, 1317 ordnete Papst Johannes XXII. den Donnerstag als Festtag an. Das Fest geht zurück auf eine Vision der Augustinernonne Juliana von Lüttich im Jahr 1209; sie wurde später heiliggesprochen.

Mit einer Prozession wurde Fronleichnam erstmals in den 1270er-Jahren in Köln begangen. In der Reformation entwickelte sich das Fest zu einem konfessionsscheidenden Merkmal. Luther bezeichnete es 1527 als «allerschädlichstes Jahresfest», dem die biblische Grundlegung fehle.

Der Gegensatz hat sich inzwischen abgeschwächt: Auch auf evangelischen Kirchentagen gab es in den vergangenen Jahren mehrfach gemeinsame Fronleichnamsprozessionen. (kath.ch)


Fronleichnam in Appenzell im Jahr 2021. | © Christian Merz
16. Juni 2022 | 05:00
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